Die Kinder der Anderen
Von Joachim Lange
/ Fotos © Salzburger Festspiele / Bernd Uhlig
Nach Mozarts Figaro war Macbeth die zweite der großen aktuellen Festspielpremieren. Philippe Jordan hat für den erkrankten Franz Welser-Möst das Pult übernommen. Dass er die Wiener Philharmoniker, also sein Orchester, für Verdis so düsteren wie packenden Wurf gut im Griff haben würde, war klar. Dass er es auch (hoch-)dosiert von der Leine lassen würde, von eindrucksvoller Vehemenz.
Macbeth und Banco bei der ersten Prophezeiung
Der polnischer Regisseur Krzysztof Warlikowski hat sich - nach seiner Brüsseler Inszenierung vor 13 Jahren - Macbeth das zweite Mal vorgenommen. Einfach so übernehmen hätte er seine Version von damals schon deshalb nicht können, weil die Bühne im Großen Festspielhaus deutlich größer ist als die recht bescheiden bemessene in Brüssel. Zentrale Leitmotive seiner Deutung hat er aber jetzt für Salzburg wiedererkennbar beibehalten.
Warlikowski kann große Bühnen füllen. Das XXL-Format im Großen Festspielhaus wird nicht künstlich verkleinert. Der Regisseur lässt immer wieder von der Seite transparente Tunnel (wie auf Flughäfen) in den Raum fahren, die dann jeweils das Personal quasi absaugen oder auf die Bühne gelangen lassen. Eine Galerie in der Höhe - für den Auftritt von König Duncan etwa, von dem dort nur die Beine sichtbar sind, wird frontal gefilmt und dann auf einen Videoschirm übertragen. Auf der Bühne befindet sich eine schlichte Sitzbank mit Überlänge. Bei Bedarf werden Tribünen hereingefahren, auf denen das Volk als Publikum für die Selbstinszenierung der Macht platziert wird. Dass hier etwas Exemplarisches gemeint ist, erschließt sich auch durch die Strahlenskulpturen, die an die Vorliebe für die Metaphorik der aufgehenden Sonne in autoritären bzw. diktatorischen Systemen des 20. Jahrhundert beliebt waren und es heute noch sind, erinnert.
Die Königsmörder am Ziel - Macbeth und seine Frau auf dem Höhepunkt ihrer Macht
Der mit rotem Linoleum ausgeschlagene Raum ist durch ein Vorbild in Versailles inspiriert. In jener Halle des "Jeu des Paumes" war der dritte Stand ausgewichen, als ihm der Zugang zur gemeinsamen Versammlung mit dem Adel und Klerus, zu der Ludwig XVI. im Frühjahr 1789 gerufen hatte, verweigert wurde. Was die Revolution abwenden sollte, beschleunigte ihren Ausbruch. Diese aparte historische Anspielung (zu der passt, dass Macbeth beim Bankett dem Sprössling von Macduff, den er offensichtlich mag, einen Schläger für dieses Spiel "Jeu des Paumes" schenkt), entfaltet ihren subversiven Charme, wenn man sie im Programm nachgelesen hat. Von selbst erschließt sie sich nicht. Als Menetekel vor dem Umschlag jedes Machtwechsels in einen Blutrausch mag das schlüssig sein. Allerdings ging es in Frankreich um den Sturz eines etablierten Systems, das sich so weit in eine Schieflage manövriert hatte, dass dessen Kentern nicht zu verhindern war. Im Schottland der Shakespeare-Tragödie ging es im Falle (bzw. mit dem Fall) von Macbeth um die Wiederherstellung des legitimen Machtgefüges. Das Grundvertrauen in die Ordnung stand nicht zur Debatte.
Eine zweite These, die Warlikowski exzessiv betont, ist die Kinderlosigkeit von Lady Macbeth. Gleich zu Beginn begleiten wir sie im Video zum Frauenarzt, der ihr ihre Unfähigkeit, Kinder zu bekommen, bescheinigt. Deren Machtstreben bis zur Bereitschaft am Königsmord aber als Folge von Kinderlosigkeit zu diagnostizieren, erklärt die Lady dennoch nur zum Teil. Für die Inszenierung aber werden Kinder zu einem optischen Leitmotiv. Kleine Pagen tragen den Sarg des ermordeten Duncan (wie der Enkel des aktuellen britischen Königs) auf die Szene. In den Szenen mit den Prophetinnen (so werden die Hexen in den Übertiteln genannt) spielen sie eine Rolle. Dass das Abschneiden von Haarsträhnen beim Füllen des Hexenkessels auf die aktuellen Frauenproteste im Iran anspielt, erschließt sich freilich auch nicht von selbst. Die Hexen (die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor ist von Jörn Hinnerk Andresen präzise einstudiert) werden als Ansammlung von (vielleicht blinden) Seniorinnen mit Sonnenbrillen und viel Kinderbesuch von der Seite herein und wieder hinausgefahren. Hier bewährt sich die dynamische Variation, mit der Małgorzata Szczęśniak mit der Besonderheit der Breitbandbühne in Salzburg umgeht.
Macbeth bei den Hexen
Für jede Macbeth- Inszenierung ist der "Patria oppressa" - Chor eine szenische Herausforderung. Wenn man weniger auf ein nacherzähltes Macbeth-Schottland, ganz gleich welcher Epoche, sondern wie hier vor allem aufs Psychologisieren und eine eher konzeptillustrierende Ästhetik setzt, gilt das besonders. Hier ist es so, dass die Tribünen, die vorher von den Zuschauern bei der Selbstinszenierung der Macht gefüllt wurde, jetzt von Kindern in weißer Unterwäsche besetzt werden. Wenn Lady Macduff dann offensichtlich Drinks mit Gift versetzt, von denen alle Kinder trinken müssen, dann mag das an die biblischen und anderen Kindermorde als besonders perfide Auswüchse erinnern. Es erinnert aber eben auch daran, wie Corinna Harfouch als Magda Goebbels ihre Kinder im Film Der Untergang vergiftete. Hat man diesen Gedanken erstmal im Kopf, gerät das Bild ins Zwielicht. Daran ändert auch der parallel eingespielte Filmausschnitt über Kindermord in biblischen Zeiten nichts.
Macduff hat Macbeth und seine Frau festgesetzt
Im temporären Ensemble der Festspiele nimmt Asmik Grigorian mittlerweile einen Platz ein wie vor ihr jahrelang Anna Netrebko. Ihre Lady Macbeth ist darstellerisch imponierend. Das gilt, wenn sie wie ein Filmstar beim Bankett auftrumpft. Aber auch da, wo sie als (hier noch lebende) Gefangene des neuen Regimes, erst ausgestellt und dann von einer wütenden Menge (wahrscheinlich) gelyncht wird. Dass sie das Terrain des Singens auch da nicht demonstrativ verlässt, wie man Verdis oft zitierte Forderungen ja interpretieren könnte, beeinträchtigt ihre durchschlagende Wirkung beim Publikum nicht. Spiel und stimmliche Souveränität haben jenes Festspielformat, das auch vom übrigen Ensemble geboten wird. Vor allem vom Sänger der Titelpartie, Vladislav Sulimsky, der auf die kraftvolle Noblesse seines einnehmenden Timbres setzt. Er ist nicht von vornherein ein Monstrum. Er kommt (bis zu den Prophezeiungen) mit der Kinderlosigkeit besser klar, als seine Frau. Für Macduffs Sohn ist er gar lange der nette Onkel, der sogar mit ihm spielt. Bei den kleineren Rollen ist es Jonathan Tetelman als Macduff, der mit seiner Gestaltung der Rolle den größten Eindruck hinterlässt - erst als einer der Gäste beim Bankett, dann als Opfer. Er ist so tief getroffen, dass er am Ende mit der Pistole auf den Kopf des gefesselten Macbeth zielt. Es bleibt offen, ob er abdrückt, ob also die Saat des Bösen auch in seiner Seele schon aufgegangen ist. Tareq Nazmi ist ein tadelloser Banko. Nach seiner Ermordung erscheinen Macbeth die prophezeiten Nachkommen als Kinder mit Masken des Ermordeten …
FAZIT
Warlikowskis zweite Macbeth- Inszenierung ist nicht wegen Asmik Grigorian ein musikalisches Ereignis. Die Wirkung der Szene ist umso stärker, je mehr man die Thesen des Regisseurs als Anregung akzeptiert. Gleichwohl bleibt der Eindruck, dass er sich mehr auf seinen Subtext als auf die Wucht des Ganzen verlässt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Philippe Jordan
Inszenierung
Krzysztof Warlikowski
Bühne und Kostüme
Małgorzata Szczęśniak
Video
Kamil Polak
Denis Guéguin
Licht
Felice Ross
Chor
Jörn Hinnerk Andresen
Choreographie
Claude Bardouil
Dramaturgie
Christian Longchamp
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor
Angelika Prokopp Sommerakademie
der Wiener Philharmoniker
Wiener Philharmoniker
Solisten
Macbeth
Vladislav Sulimsky
Banco
Tareq Nazmi
Lady Macbeth
Asmik Grigorian
Kammerfrau der Lady Macbeth
Caterina Piva
Macduff
Jonathan Tetelman
Malcom
Evan LeRoy Johnson
Arzt
Aleksei Kulagin
Diener Macbeths / erste Erscheinung / Herold
Grisha Martirosyan
Mörder
Hovhannes Karapetyan
Erscheinungen
Solisten der Sankt Florianer Sängerknaben
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