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Es ist nur ein TraumVon Thomas Molke / Foto: © Patrick Pfeiffer Rossinis Il barbiere di Siviglia gilt laut Philip Gossett als die älteste italienische Oper, die seit ihrer Premiere nie aus dem Opernrepertoire verschwunden ist. Zwar wurde die Uraufführung am 20. Februar 1816 im Teatro Argentina in Rom noch mit Pfiffen bedacht. Doch ab der zweiten Vorstellung konnte das Werk das Publikum für sich gewinnen und verbreitete sich sehr schnell innerhalb und außerhalb Italiens. Bereits drei Jahre später feierte die Oper in New York große Erfolge, und in Braunschweig kam sie 1820 in deutscher Sprache heraus. Die unzähligen Produktionen führten jedoch auch zu einer Menge Bearbeitungen, die die ursprüngliche Form bisweilen stark entstellten. Am bekanntesten ist wohl die Transponierung der Partie der Rosina von einer Mezzo- in eine Sopranstimme, so dass die berühmte Kavatine "Una voce poco fa" heute vor allem bei zahlreichen namhaften Koloratursopranistinnen zum Standardrepertoire gehört. Da die Oper mangels der Möglichkeit von Übertiteln bis ins letzte Jahrhundert auch in der Regel in Übersetzungen gespielt worden ist, haben sich auch in den übersetzten Texten zahlreiche Abweichungen eingeschlichen, die im Original so nicht stehen. Bekanntes Beispiel ist die Sorbetto-Arie der Berta, in der sie in der deutschen Übersetzung davon träumt, Don Bartolo für sich allein zu haben. Erst Alberto Zeddas 1969 erschienene kritische Edition des Meisterwerkes führte dazu, dass man immer mehr zur ursprünglichen Fassung zurückkehrte. Dass ein Festival wie Rossini in Wildbad, das sich meist den seltener zu hörenden Werken des Schwans von Pesaro verschrieben hat, die revidierte Fassung nach dem Autografen spielt, versteht sich quasi von selbst. Reto Müller hat dafür auch noch einmal ganz neue Übertitel eingerichtet, die der Intention des Originaltextes auf den Grund gehen, so dass man selbst, wenn man meint, das Stück wirklich gut zu kennen, auch textlich noch die eine oder andere Überraschung erlebt. Probleme bereitet das Stück für die Inszenierung, wenn man nicht wie Pier Luigi Pizzi in Pesaro vor fünf Jahren auf einen "klassischen" Ansatz vertrauen möchte (siehe auch unsere Rezension). Festspielintendant Jochen Schönleber, der sich mit Ausnahme einer semistage-Produktion erstmals szenisch mit dem Werk auseinandersetzt, baut eine Rahmenhandlung ein, die er während der Ouvertüre erzählt und die es ihm ermöglicht, die Geschichte im Anschluss ohne große Verfremdungseffekte zu spielen. Ob man die anderen Namen der Figuren dazu benötigt, die im Programmheft angegeben sind, ist fraglich. So lebt Bartolo als Witwer Dr. Bart mit seiner Haushälterin Berta und ihrem etwas missratenen Sohn Ambrogio in seinem Haus und verbringt seine Zeit häufig mit seinem alten Freund Basilio. Eines Tages bekommt Berta Besuch von ihrer jungen Verwandten Rosy. Sofort ist es um den einsamen Doktor geschehen. Er dreht das Bild seiner verstorbenen Frau an der Wand um und wandert auf Freiersfüßen. Doch Rosy hat ganz andere Interessen und trifft sich mit dem langhaarigen Musiker Viva und seinem Freund Fig, der obendrein auch noch die Hausangestellte mit etwas Koks versorgt. Letzteres lässt sich sogar aus dem Libretto herauslesen. Dr. Bart erkennt, dass er gegen solche Konkurrenz keine Chance hat, und legt sich ein wenig frustriert schlafen. Die eigentliche Geschichte der Oper entwickelt sich dann als (Alp-) Traum des Doktors. In einer Videoprojektion im Fenster auf der linken Seite der Bühne sieht man bisweilen Dr. Bart in seinem Bett mit weit aufgerissenen Augen, der scheinbar entsetzt das Geschehen beobachtet. Das Bett verschwindet, mit leichten technischen Schwierigkeiten, in einzelnen Szenen in der Bühnenwand und taucht dann auch an Stellen auf, in denen Bartolo gar nicht in der Szene vorkommt, um zu zeigen, dass er im Traum natürlich die komplette Geschichte erlebt. In diesem Ambiente wird im Folgenden mit einem äußerst spielfreudigen Ensemble die eigentliche Geschichte absolut temporeich und mit viel Witz relativ "klassisch" abgespult, so dass selbst in den relativ langen Rezitativ-Passagen keine Längen entstehen. Neben dem Bett auf der Bühne erinnert lediglich der Herrenchor in den Pyjamas, die die Choristen als Musiker zu Beginn des ersten Aktes und als Soldaten am Ende des ersten Aktes tragen, daran, dass die ganze Geschichte nur ein Traum ist. Verwirrung stiftet nur die Leiter, mit der Figaro und Almaviva im zweiten Akt durch das Fenster in Bartolos Haus einsteigen, um Rosina zu entführen. In einer Videoprojektion sieht man im Fenster des Hauses zunächst, dass eine Leiter ans Fenster gestellt wird, über die Figaro und Almaviva gewissermaßen ins Haus einsteigen. Dass Bartolo ebenfalls im Fenster erscheint und die ganze Szene beobachtet, mag der Traumsequenz geschuldet sein. Aber wieso in der Projektion die Leiter nicht sofort entfernt wird, sondern in der Projektion ständig bewegt wird, erschließt sich nicht wirklich. Diese kleine Unstimmigkeit beeinträchtigt den Spaß an der Inszenierung als Ganzem aber genauso wenig wie die übrigen teilweise etwas fragwürdigen Projektionen im Fenster. Neben einer ausgeklügelten Personenregie ist das vor allem auch dem hohen musikalischen Niveau des Abends zu verdanken. Grav Almaviva (César Cortés, vorne) will Rosina mit einem Ständchen erobern (im Hintergrund: Fiorello (Francesco Bossi, rechts) mit dem Männerchor). Da ist zunächst César Cortés als Graf Almaviva zu nennen. Schon in seiner Auftrittskavatine "Ecco, ridente in cielo", die Almaviva als erstes Ständchen unter Rosinas Fenster bringt, begeistert Cortés mit sauberer Stimmführung und strahlenden Höhen. In seiner kleinen Canzone, mit der er anschließend Rosina erneut auf den Balkon zu locken versucht, gibt er mit tenoralem Schmelz absolut überzeugend den charmanten Verführer. Große Komik beweist er sowohl als angetrunkener Soldat, der in Bartolos Haus eindringt und eine Einquartierung einfordert, als auch als lispelnder Musiklehrer Don Alonso, der als Ersatz für Don Basilio Rosina Musikunterricht geben will und dabei mit ihr heimlich Zärtlichkeiten austauscht. Die große Schluss-Arie im zweiten Akt, "Cessa di più resistere", die häufig gestrichen wird, weil sie als unnötiger Einschub vor dem Finale betrachtet wird, der nur für den berühmten Interpreten der Uraufführung, den spanischen Tenor Manuel García, komponiert worden war, und die Rossini später für das bekannte Schluss-Rondo der Cenerentola, "Non più mesta" verwendete, meistert Cortés so bravourös, dass das Publikum gar nicht mehr aufhören möchte zu applaudieren und er sich sichtlich gerührt mehrfach verbeugen muss. Rosina (Teresa Iervolino) weiß, sich gegen ihren Vormund Bartolo (Fabio Capitanucci) zu wehren. Teresa Iervolino legt die Partie der Rosina sehr kokett und verführerisch an und punktet mit einem dunkel eingefärbten Mezzosopran, der in den schnellen Koloraturen durch große Flexibilität begeistert und in den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt. Während ihre berühmte Auftrittskavatine "Una voce poco fa" bei einer Sopranistin eher einen Wechsel von einem träumerisch verliebten Mädchen zu einem zickigen kleinen Biest vollzieht, gewinnt die Nummer bei einer Mezzosopranstimme eine gewisse Abgeklärtheit und zeichnet Rosina als junge Frau, die es versteht, sich gegen ihren Vormund Bartolo zur Wehr zu setzen. Bei dem Lied aus der "vergeblichen Vorsicht" ("L'inutile precauzione") begeistert Iervolino ebenfalls mit flexiblen Läufen und mädchenhaftem Spiel und macht deutlich, dass Bartolo dieser pfiffigen jungen Frau nicht gewachsen ist. Überzeugend gelingt ihr auch der Moment, wenn sie sich von Almaviva / Lindoro hintergangen fühlt und wütend ihrem Vormund den Fluchtplan verrät. Fabio Capitanucci kann darstellerisch und stimmlich als Idealbesetzung für die Partie des Bartolo bezeichnet werden. Mit komödiantischem Buffo-Talent macht er die verrückte Liebe des alten Mannes zu der jungen Frau glaubhaft und punktet stimmlich mit flexiblem Bariton. In seiner großen Arie "A un dottor della mia sorte" versprüht er eine irrwitzige Komik und begeistert mit profunden Tiefen. Figaro (John Chest) mit Rosina (Teresa Iervolino) John Chest lässt in der Titelpartie keine Wünsche offen. Schon bei der Auftrittsarie des Figaro, "Largo al factotum", begeistert er mit kräftigem, sauber geführtem Bariton und beweglichen Läufen und lässt das Herz einer jungen Frau höherschlagen, die ihm wie ein Groupie an den Lippen hängt. Das Duett mit Cortés, in dem sich Figaro gegen reiche Belohnung überreden lässt, dem Grafen Zugang zu Bartolos Haus zu verschaffen, darf als weiterer musikalischer Höhepunkt des Abends bezeichnet werden. Shi Zong ist mittlerweile in Bad Wildbad ein "alter Bekannter" und punktet auch als windiger Musiklehrer Basilio mit markantem, dunklem Bass. Bei seiner berühmten Arie "La calunnia è un venticello" entfacht er mit eindrucksvoller Interpretation aus einem anfangs lauen Lüftchen, mit dem die Verleumdung beginnt, mit kraftvollen Tiefen einen regelrecht orkanartigen Sturm. Mit großer Komik setzt er auch Basilios unerwartetes Auftauchen im zweiten Akt in Szene, wenn sich Almaviva als vermeintlicher Gesangslehrer Don Alonso Bartolos Vertrauen erschlichen und vorgegeben hat, Basilio sei erkrankt. Besonders witzig gelingt Zong dabei das herausgezögerte "Buena sera", nachdem er sich zunächst auf Bestechung des Grafen verabschiedet hat. Hier ist die Pause bis zum erneuten Auftauchen noch größer, als man es von anderen Inszenierungen gewohnt ist, und damit in gewisser Weise noch überraschender. Die beiden kleineren Partien sind mit Stipendiaten der Akademie BelCanto ebenfalls gut besetzt. Francesca Pusceddu verleiht der Partie der Berta sehr komödiantische Züge und gewinnt ihren verklärten Blick auf die Zustände in Bartolos Haus in ihrer Sorbetto-Arie nicht zuletzt durch eine kleine Tüte Koks, die sie zuvor von Figaro erhalten hat. Obwohl sie in ihrer Arie im Original nicht davon träumt, Bartolo für sich zu gewinnen, macht sie in Schönlebers Inszenierung dem alten Witwer durchaus Avancen und erobert ihn am Ende auch. Zum Schlussbild positioniert sie sich dann mit ihm und ihrem Sohn Ambrogio (Lorenzo Fogliani in einer stummen Rolle) als glückliche Familie vor dem Bett. Francesco Bossi punktet mit kraftvollem Bariton sowohl als Fiorello als auch als Offizier. Antonino Fogliani findet mit dem Philharmonischen Orchester Krakau einen packenden Zugang zur Partitur und lotet die Finessen der Vorlage differenziert aus. So gibt es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten.
FAZIT Auch wenn man beim Belcanto-Festival Rossini in Wildbad in der Regel lieber auf den Spuren unbekannter Werke wandelt, gibt es selbst bei dem so bekannten Barbiere in Bad Wildbad einiges neu zu entdecken.
Weitere Rezensionen zu Rossini in
Wildbad 2023 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungAntonino Fogliani
Regie und Bühne
Regieassistenz
Mitarbeit Bühne
Kostüme
Licht Chorleitung
Philharmonisches Orchester Krakau
Fortepiano Philharmonischer Chor Krakau
Solistinnen und SolistenDer Graf von Almaviva / Viva Bartolo / Dr. Bart Rosina /
Rosy Figaro / Fig
Basilio Berta Fiorello Ambrogio Ein Offizier
Ein Notar Instrumentalisten, Soldaten,
Wachen
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