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Klassische Inszenierung ohne StaubVon Thomas Molke / Fotos: © Studio Amati Bacciardi (Rossini Opera Festival) Auch wenn Rossinis Opernschaffen nicht zuletzt durch die beiden Festivals in Pesaro und Bad Wildbad in den letzten Jahrzehnten wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, wird sein Name in erster Linie immer noch mit Il barbiere di Siviglia in Verbindung gebracht. Dabei handelt es sich nämlich um die einzige Oper des Schwans von Pesaro, die seit ihrer Premiere nie aus dem Opernrepertoire verschwunden ist. Zwar wurde die Uraufführung am 20. Februar 1816 im Teatro Torre Argentina in Rom noch mit Pfiffen bedacht. Doch ab der zweiten Vorstellung konnte das Werk das Publikum für sich gewinnen und verbreitete sich sehr schnell innerhalb und außerhalb Italiens. So feierte es bereits 1819 in New York große Erfolge und kam in Braunschweig 1820 in deutscher Sprache heraus. Die zahlreichen Produktionen führten jedoch auch zu vielen Bearbeitungen, die die ursprüngliche Form bisweilen stark entstellten. Am bekanntesten ist wohl die Transponierung der Partie der Rosina von einer Mezzo- in eine Sopranstimme, so dass die berühmte Arie "Una voce poco fa" heute bei Koloratursopranistinnen in der Regel zum Standardrepertoire gehört. Erst Alberto Zeddas 1969 erschienene kritische Edition des Meisterwerkes führte dazu, dass der ursprünglichen Fassung wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dass diese auch beim Rossini Opera Festival in Pesaro gespielt wird, versteht sich nahezu von selbst. Eigentlich wollte man eine alte Inszenierung von Luca Ronconi aus dem Jahr 2005 wieder aufnehmen. Aber nach dem großen Erfolg mit La pietra del paragone im letzten Jahr (siehe auch unsere Rezension) beschloss man, Pier Luigi Pizzi im folgenden Jahr auch für eine Neuinszenierung des Barbiere zu verpflichten. Der große Jubel für ihn bei der Premiere zeigt, dass dies keine falsche Entscheidung war. Pizzi verzichtet in seiner Inszenierung auf moderne Regietheater-Mätzchen und bleibt dem Stück treu, ohne dass die Geschichte angestaubt oder langweilig wirkt. Für den ersten Akt hat er zwei Häuserfronten in heller Farbe konzipiert, die die Bühne auf beiden Seiten einrahmen. Der erste Stock ist jeweils mit einem Balkon verziert. Auf der rechten Seite wohnt Bartolo mit seinem Mündel Rosina. Die linke Seite hat wohl der Graf Almaviva gemietet, um der von ihm verehrten jungen Dame nahe zu sein. Im weiteren Verlauf des Aktes werden die Häuserfronten nach links verschoben, und der Zuschauer erhält Einblick in Bartolos Haus, das ebenfalls mit sehr hellen Möbeln ausgestattet ist. Rosina bietet in den unterschiedlichen pastellfarbenen Kleidern, in denen sie auftritt, einen wunderbaren Blickfang. Dass der Umbau teilweise während ihrer berühmten Arie "Una voce poco fa" stattfindet, stört nicht weiter. Im zweiten Akt wird die Bühne verkleinert und gewährt nur noch den Blick auf den großen hellen Raum in Bartolos Haus. Ein riesiger Spiegel an der Rückwand lässt einen interessanten Blick auf den kreisrunden Tisch werfen. Die Fenster im Hintergrund dienen lediglich dazu, den Sturm durch Lichteffekte zu verdeutlichen. Almaviva und Figaro treten von der Seite auf, um Rosina zur Flucht zu verhelfen. Die unterschiedlichen Stockwerken kommen dabei nicht mehr zum Einsatz. In diesem Ambiente lässt Pizzi die Solisten feinste Komödie spielen, die nicht nur szenisch sondern auch musikalisch auf ganzer Linie begeistert. Conte d'Almaviva (Maxim Mironov) bringt der schönen Rosina ein Ständchen (links hinten: Fiorello (William Corrò), hinten: Herren des Coro del Teatro Ventidio Basso). Da ist zunächst Maxim Mironov als Conte d'Almaviva zu nennen, der sich mit seinem beweglichen Tenor bereits seit einigen Jahren für das Rossini-Fach empfohlen hat. Schon in seiner Auftrittskavatine "Ecco, ridente in cielo", die Almaviva als erstes Ständchen unter Rosinas Fenster bringt, begeistert Mironov mit sauberer Stimmführung und leuchtenden Höhen. Auch in der kleinen Canzone "Se il mio nome saper voi bramate", mit der er Rosina erneut auf den Balkon zu locken versucht, glänzt er mit tenoralem Schmelz und präsentiert sich als überzeugender Verführer. Große Komik beweist er als angetrunkener Soldat, der in Bartolos Haus eindringt und eine Einquartierung einfordert, und als vermeintlicher Musiklehrer Don Alonso, der als Ersatz für Don Basilio Rosina Musikunterricht geben will. Auch die große Schluss-Arie im zweiten Akt, "Cessa di più resistere" lässt in seiner Interpretation keine Wünsche offen. Diese Arie, in der sich Almaviva Bartolo als Graf und Ehemann Rosinas zu erkennen gibt und dem gehörnten Vormund rät, seinen Widerstand dagegen aufzugeben, wird bei Aufführungen häufig weggelassen, da sie einerseits inhaltlich entbehrlich ist und andererseits enorme und teils zu hohe Anforderungen an den jeweiligen Sänger stellt. Rossini hatte diese Arie bei der Uraufführung dem berühmten spanischen Tenor Manuel García in die Kehle gelegt, so dass das Werk ursprünglich sogar den Titel Almaviva o sia L'inutile precauzione trug. Mironov begeistert mit stupenden Spitzentönen das Publikum so sehr, dass der anschließende Applaus gar nicht nachlassen will und Mironov eine gefühlte Ewigkeit mit Aya Wakizono als Rosina eng umschlungen auf der Bühne verharren muss. Bartolo (Pietro Spagnoli) will sein Mündel Rosina (Aya Wakizono) heiraten. Wakizono legt die Partie der Rosina sehr kokett und verführerisch an. Dabei verfügt sie über einen dunklen Mezzosopran, der sich in den Koloraturen durch große Flexibilität auszeichnet und in den Höhen enorme Durchschlagskraft besitzt. Ihre große Auftrittsarie "Una voce poco fa", in der sie ihre Liebe zu "Lindoro" besingt, lässt sie einerseits als träumerisch verliebtes junges Mädchen erscheinen, gibt ihr andererseits in der tieferen Lage eine gewisse Abgeklärtheit und zeichnet Rosina als selbstbewusste Frau, die es versteht, sich gegen ihren Vormund Bartolo zur Wehr zu setzen. Wenn Almaviva inkognito in Bartolos Haus eindringt, begeistert sie ebenfalls durch große Spielfreude und durchschaut das Spiel des Geliebten im Gegensatz zu ihrem Vormund Bartolo. Bei dem Lied aus der "vergeblichen Vorsicht" ("L'inutile precauzione") punktet sie mit flexiblen Läufen und mädchenhaftem Spiel und macht klar, dass Bartolo dieser pfiffigen jungen Frau nicht gewachsen ist. Pietro Spagnoli gestaltet die Partie des Bartolo mit komödiantischem Buffo-Talent und begeistert durch einen flexiblen Bassbariton. In seiner großen Arie "A un dottor della mia sorte" punktet er mit fundierten Tiefen und versprüht eine irrwitzige Komik, wenn er seinem Mündel die Leviten liest und dabei gar nicht merkt, dass sie sich heimlich über ihn lustig macht. Die kleine Arie "Quando mi sei vicina, amabile Rosina", in der er im zweiten Akt nach Rosinas Arie aus der "vergeblichen Vorsicht", bei der er eingeschlafen ist, seinen Musikgeschmack erklärt, präsentiert Spagnoli im Falsett. "Largo al factotum": Figaro (Davide Luciano) Eine weitere Idealbesetzung ist Davide Luciano in der Titelpartie. Schon bei der berühmten Auftrittsarie des Figaro, "Largo al factotum", begeistert Luciano mit kräftigem, sauber geführtem Bariton und beweglichen Läufen. Dabei zeigt Luciano den Figaro nicht nur als selbstbewussten Lebenskünstler, sondern hat auch optisch einiges zu bieten, wenn er in einem Brunnen unter dem Balkon Rosinas ein Bad nimmt und sich dafür eines Großteils seiner Kleidung entledigt. Im Zusammenspiel mit den übrigen Protagonisten zeigt er, dass er als Drahtzieher die Fäden in der Hand hält. Als weiterer musikalischer Höhepunkt ist das Duett mit dem Grafen "All'idea di quel metallo" zu nennen, im dem sich Figaro gegen reiche Belohnung überreden lässt, dem Grafen Zugang zu Bartolos Haus zu verschaffen. Mironovs Tenor und Lucianos Bariton finden dabei stimmlich wunderbar zueinander. Gleiches gilt für sein Duett mit Wakizono, wenn Figaro Rosina um ein Zeichen für den von ihr geliebten "Lindoro" bittet. Michele Pertusi punktet als windiger Musiklehrer Basilio mit markantem Bassbariton und komischem Spiel. Seine berühmte Arie "La calunnia è un venticello" avanciert zu einem weiteren musikalischen Glanzpunkt des Abends. Pertusi entfacht aus dem lauen Lüftchen, als das die Verleumdung beginnt, mit kräftigem Bass einen orkanartigen Sturm. Großartig setzt er auch Basilios unerwartetes Auftauchen im zweiten Akt in Szene, wenn sich Almaviva als vermeintlicher Gesangslehrer Don Alonso Bartolos Vertrauen erschlichen und vorgegeben hat, dass Basilio erkrankt sei. Mit großem Spielwitz lässt sich Pertusi anschließend vom Grafen und Figaro bestechen, eine plötzliche Krankheit vorzutäuschen und sich zu verabschieden, bleibt dabei jedoch stets unberechenbar. Figaro (Davide Luciano, 2. von links), Rosina (Aya Wakizono) und Almaviva (Maxim Mironov, links) versuchen, Basilio (Michele Pertusi, rechts) zu überzeugen, nach Hause zu gehen. Humorvolle Akzente setzen in den kleineren Partien auch Elena Zilio als Berta und William Corrò als Fiorello und Ufficiale. Zilio kehrt nach 37 Jahren nach Pesaro zurück, damals war sie als Pippo in La gazza ladra zu erleben, und versucht in ihrer Sorbetto-Arie im zweiten Akt, "Il vecchiotto cerca moglie", in der sich Berta über die Absicht Bartolos amüsiert, sein Mündel heiraten zu wollen, ihren Kollegen Ambrogio (Armando de Ceccon) zu verführen, der jedoch geschockt Reißaus nimmt. Corrò tritt unter anderem im zweiten Akt als Cellist auf, der mit dem vermeintlichen Musiklehrer Don Alonso Rosina Unterricht geben will, und setzt die schnellen Läufe mit extrovertierten Bewegungen am Cello sehr humorvoll um. Yves Abel führt das Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai mit sicherer Hand durch die Partitur und sorgt bereits nach der feinfühlig angelegten Ouvertüre für großen Jubel im Saal. Die Herren des Coro del Teatro Ventidio Basso unter der Leitung von Giovanni Farina gefallen als angeheuerte Sänger zu Beginn des ersten Aktes, die nicht auf ihren Lohn verzichten wollen, und als Soldaten durch große Spielfreude und homogenen Klang, so dass es für alle Beteiligten großen und verdienten Applaus gibt.
FAZIT Dieser Abend ist musikalisch und szenisch ein Hochgenuss und zeigt, dass man auch einen Klassiker wie Il barbiere di Siviglia ohne modernes Regietheater in Szene setzen kann, ohne dabei angestaubt oder langweilig zu wirken.
Weitere Rezensionen zu dem
Rossini Opera Festival 2018 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungYves Abel Regie, Bühnenbild und Kostüme Assistenz Bühnenbild und Licht Chorleitung
Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai
Solisten
Il Conte d'Almaviva
Bartolo
Rosina
Figaro
Basilio
Berta
Fiorello / Ufficiale Ambrogio
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