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"All wrong notes are right"Von Christoph Wurzel / Fotos: © Fabian Schellhorn (Berliner Festspiele) Von der unsympathischen Seite des amerikanischen Patriotismus ist in den Medien derzeit viel die Rede. Hier hatten wir es mit der sympathischen Art zu tun. Die Kansas Symphony brachte die Botschaft mit zum Musikfest Berlin - und das klang erfrischend gut in den Ohren. Mit ironischem Blick schaute Charles Ives aus Connecticut in den zwei Sätzen aus seiner New England Holydays Symphony zurück auf das Treiben an nationalen Feiertagen, wie er sie in der Jugend erlebte. Der 26jährige George Gershwin von der Lower East Side in Manhattan brachte es mit seiner Rhapsody in Blue vor genau 100 Jahren fertig, die Musik der schwarzen Vorstädte mit der klassischen Sinfonik der gebildeten Mittelschichten zu einem der größten Evergreens überhaupt zu verbinden. Und Aaron Copland, der in Brooklyn geborene Sohn jüdisch-litauischer Einwanderer, hatte bei seiner 3. Sinfonie von 1946 vor allem den American Common Man im Blick, nicht zuerst die Gebildeten. Die drei Komponisten, so unterschiedlich ihre Musik auch ist, verbindet eins: sie komponierten das freundliche Amerika. Matthias Pintscher, Musikdirektor der Kansas City Symphonie ab der neuen Spielzeit Von Charles Ives war bereits im Eröffnungskonzert zu hören (siehe unsere Rezension). In mehreren weiteren Programmen erinnert das Musikfest an den 150. Geburtstag dieses eigenwilligen Komponisten, der erst spät zu eigentlichem Ruhm gelangte, mittlerweile aber als einer der Väter der amerikanischen Musik gilt. Im Hauptberuf Versicherungsagent konnte er es sich leisten, Musik für die Schublade zu schreiben und wurde deshalb erst spät entdeckt. Er wolle nicht riskieren, dass Frau und Kinder "wegen der Dissonanzen meiner Musik zugrunde gehen". Dissonant ist untertrieben. In den beiden Sätzen aus der Holyday Symphony geht es um auskomponiertes Chaos. Zitate aus mehr als einem Dutzend patriotischer Songs, Choräle und Märsche aus dem Feiertagsprogrammen des Unabhängigkeitstages hat Ives in The Fourth of July simultan übereinander geschichtet. Den Verleger ermahnte er: "All wrong notes are right". Wohl eine leichte Übung für Matthias Pintscher, selbst führender Gegenwartskomponist, langjähriger Leiter des Ensemble Contemporain in Paris und Mitarbeiter von Pierre Boulez (der Ives nicht besonders schätze) und ab der kommenden Spielzeit neuer Musikdirektor des Orchesters, - er brachte so weit Ordnung in das Durcheinander, dass einige von Ives' Erinnerungsfetzen wiederzuerkennen waren. Man darf auch annehmen, dass das Orchester mit diesem Komponisten nicht ganz unvertraut ist. Jedenfalls wurde so plastisch musiziert wie möglich. Und mit sensiblem Klang dort wo der Komponist die Realmusik aus seinen Erinnerungen erst langsam aufsteigen lässt. Ähnlich aufgebaut ist Decoration Day, der Tag, an dem Amerika der Kriegsgefallenen gedenkt. Von fern bläst der Trompeter das Totengedenken, dann lässt die Musik wie in einem Filmszenario die Kapellen aufmarschieren. Ives ist ein Meister im Bauen von Szenenbildern im Kopf. Die Aufführungen an diesem Abend vermittelten das prächtig. Conrad Tao bei der Rhapsody in Blue Ein geruhsamer Triller der Klarinette, das Hinaufgleiten auf der Tonleiter, ein Glissando wieder abwärts und schon sind sie da, die ersten Blue Notes dieser Rhapsody in Blue. Vom ersten Moment an war die Stimmung für Gershwins Geniestreich geschaffen. Klug disponierte Conrad Tao den Klavierpart, leuchtete die Facetten aus, platziere geschickt die Rubati, baute die Spannung auf, ließ sie scheinbar sinken, um nach einem Atemzug zu neuem Anlauf anzusetzen. So spielte er mit den Erwartungen und überraschte im nächsten Moment schon wieder mit einer neuen Idee. Keinen Moment Routine, stets auf dem Sprung und bereit, dem Klavier Unerhörtes abzuverlangen. Im Orchester gab es ein Klangfeuerwerk, quäkende Trompeten, Saxophonblues, schmachtende Geigen, glitzerndes Schlagwerk und das Brummen der Tuba. Alles kam effektvoll und mitreißend in zügigem Tempo. Traumhaft stilsicher blieben Jazz und Sinfonik in ihren Metiers, verbanden sich aber auch zum Ganzen dieses musikalischen Melting pot. Richtig zu swingen begann dann der Saal bei der Zugabe, dem Arrangement eines Count Basie-Songs. Hier war es kurzzeitig in der Philharmonie zu einer Jazz-Session gekommen. Plakat des diesjährigen Musikfests mit allen Jubilaren und vielen Mitwirkenden. Grafik: Alexandra Klobouk © Berliner Festspiele Schließlich nach der Pause die 3. Symphonie von Aaron Copland. Das ist Selbstbewusstsein mit geschwellter Brust, gegenüber den vorigen Stücken fast ein Rückschritt in Tonalität und Dimension. 4 Sätze und 45 Minuten braucht Copland, um seine Mission zu verkünden. Eineinhalb Jahre nach dem gewonnen Krieg im Oktober 1946 wurde das Werk uraufgeführt. Copland wollte den euphorischen Geist dieser Zeit zum Ausdruck bringen. Leonard Bernstein hielt sie für die größte amerikanische Symphonie überhaupt. Aber nicht überall stieß ihr ungebrochener Optimismus auf Zustimmung. Die Aufführung in Berlin stellte besonders ihren überbordenden Reichtum an Farben heraus. Etwas großspurig auftrumpfend wirkt der erste Satz, der zweite ist ein Scherzo exzentrischer Klänge und brillanter Effekte - alles von den Musikerinnen und Musikern funkelnd in Szene gesetzt. Im zarten Streicherflageolett beginnt der 3. Satz und es entspinnt sich ein geheimnisvoll nervöses Motivspiel, bis die Fanfare for the Common Man, die Copland zuvor aus anderem Anlass komponiert hatte, den 4. Satz einleitet. Virtuos schmilzt Coplands Stil hier zu einem populären Sound zusammen und die Musik baut sich im Finale zu einem gewaltigen Klangdom auf. Die Gäste aus den USA feierten damit einen Abend des Triumphs in der Philharmonie.
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Das ProgrammCharles Ives The Fourth of July (1911-13) George Gershwin Aaron Copland
Zugabe:
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