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Bedrückendes Ende aller KämpfeVon Christoph Wurzel / Fotos: © Astrid Ackermann Meist steht Gustav Mahlers Sechste bei Sinfoniekonzerten allein auf dem Programmzettel. Bedeutet doch das fast neunzig Minuten dauernde Werk für einen Dirigenten, die Musikerinnen und Musiker wie für das Publikum eine enorme Herausforderung. Aber Simon Rattle und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks erweiterten bei ihrem Gastspiel beim Musikfest Berlin ihr Angebot. Auf den ersten Blick mochte es verwundern, was noch auf dem Programm stand: von Paul Hindemith ein Rag Time von 1921 und Alexander Zemlinskys Symphonische Gesänge von 1929. Eine Verbindung beider recht unbekannter Werke zur Symphonie von Mahler erschloss sich unmittelbar zuerst nicht. Nach dem Konzert war man schlauer. Denn untergründige Beziehungen zwischen den drei Werken offenbarten sich bald. Hindemiths Rag Time entpuppte sich als unbekümmert fröhliche Parodie der c-Moll-Fuge aus Bachs Wohltemperiertem Klavier. Nur ironisch kann der entsprechende Zusatz verstanden werden, denn das altehrwürdige "Alte Testament" der Klavierliteratur traktiert der in seinen jungen Komponistenjahren als Bürgerschreck verschriene Hindemith nach allen Regeln der Fugen- und der Ragtimekunst. Später im Scherzo von Mahlers Sechster Symphonie kehrt eine ähnliche Haltung wieder. Überschrieben mit "altväterisch" karikiert dort der Komponist biedere Bürgergemütlichkeit. Simon Rattle ließ es in beiden Fällen in der Interpretation an Deutlichkeit nicht fehlen. In den Symphonischen Gesängen von Alexander von Zemlinsky sind es vor allem die anrührende Empathie und der tragische Gestus, welche diese Musik mit der von Gustav Mahler verbindet. Der zum Kreis der Wiener Moderne um 1900 gehörende Zemlinsky schrieb diesen Liederzyklus auf Texte aus der Gedichtsammlung "Afrika singt", die 1929 in deutscher Übersetzung erschienen war. Die ausgewählten sieben Gedichte handeln weniger vom afrikanischen Kontinent, sondern von der Situation der Afroamerikaner, die nach der Aufhebung der Sklaverei in den Norden der USA gezogen waren und dort eine eigenständige schwarze Kultur aufgebaut hatten; in musikalischer Hinsicht die Black Music, die Keimzelle von Gospel, Blues und Jazz. (Hiervon war beim Musikfest in einem anderen Konzert zu hören: siehe auch unsere Rezension). Identitätssuche, rassistische Unterdrückung und Träume von einem besseren Leben bestimmen die Themen der Gedichte. Immer wieder fragen sie nach Gott in all dem Elend der Schwarzen, eines beklagt den Tod eines armen schwarzen Mädchens, in einem anderem, "Übler Bursche", spiegeln sich beklemmend grotesk Ressentiments gegen die Schwarzen. Reichlich percussive Instrumente lassen den "Afrikanische Tanz" in eine orgiastische Traumvorstellung münden. Zemlinskys Orchesterpart verzichtet sonst weitgehend auf koloristische Elemente der Black Musik, sondern instrumentiert hauptsächlich im expressionistischen Modus. Rattle sorgte für extreme Klarheit des Orchestersatzes und intensive Ausdrucksstärke. Expressiv und mit großer innerer Beteiligung vermittelte der afroamerikanische Bariton Lester Lynch mit sonorem, wohlklingenden Bariton die erschütternden Botschaften dieser Lieder, Emotionen, denen man sich nicht entziehen konnte. Lester Lynch mit dem Symphonieorchester des BR und Simon Rattle in der Berliner Philharmonie Ein Funken Hoffnung aber war im letzten Lied dieses Zyklus zu spüren. Gustav Mahlers Sechste Symphonie endete dagegen im Finalsatz in tiefer Resignation: die a-Moll-Coda, in der das Blech noch einmal schwer den Marschrhythmus intoniert, wo Mahler mehrfach "morendo" notiert und am Schluss nur noch über harten Paukenschlägen ein einziger fortissimo-Akkord rasch ins pianissiomo verschwindet. Ein ermüdetes Pizzicato in den Streichern setzt den traurigen Schlusspunkt. Seine Tragische hat der Komponist die Sechste selbst genannt und dass sie der Nachwelt Rätsel aufgeben werde. Viel ist spekuliert worden - auch unter kräftiger Mithilfe von Alma - über die düsteren Vorahnungen, die Mahler darin in Musik gefasst habe. Tatsächlich war Mahler tief gekränkt wegen antisemitischer Anfeindungen, die ihm als Musikdirektor der Hofoper in Wien entgegen schlugen - Kämpfe privat und ausgedrückt in der Musik aus. Doch nur Katastrophenstimmung, wie sie dieser Symphonie oft unterstellt wird, ließ Rattle nicht zu. In der ausverkauften Berliner Philharmonie: Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Simon Rattle in großer Besetzung mit Mahlers Sechsten Symphonie Vielmehr waren es nicht allein die einkomponierten Kämpfe, die er herausstellte, das Auf und Ab von erdrückenden Märschen, sondern auch die Sehnsucht nach Ruhe und Frieden in den Episoden, wo Herdenglocken und Celesta die Vorstellung von Glück in ungeheurer Sanftheit beschwören. Gerade diese formte Rattle mit Leidenschaft aus. Doch krass und abrupt folgte darauf immer wieder dieser unerbittliche Marschrhythmus, der in harten Klängen Funktionieren unter Druck und massive Bedrohung suggeriert. Rattle stellte das ruhevolle Adagio an die zweite Stelle vor das groteske Scherzo, das er eher parodistisch als bedrohlich nahm. Der Ausdruck von Ausweg- und Aussichtslosigkeit gegen den unerbittlichen Marschrhythmus baute sich erst im Finalsatz auf. In ungeheuer zwingender Steigerung steuerte er auf die erste Niederlage zu, als der Hammer unerbittlich niedersauste und nach der Durchführung ein zweites Mal. Grandios war diese Dramaturgie, grandios in gleichem Maße die ausgefeilte Artikulation und Farbigkeit des Spiels der Musikerinnen und Musiker. Rattle dirigierte auswendig, strukturierte und modellierte den Klang bis in feinste Nuancen hinein. So entstand eine Aufführung, die sehr lange nachhallte. Ein rauschender Erfolg für den Maestro, über viele Jahre hinweg quasi der Hausherr in diesem Saal. Vor zwanzig Jahren hatte er als Philharmoniker-Chef das Musikfest Berlin mit gegründet. Nun war er mit seinem neuen Orchester zum ersten Mal wieder hier zu Gast.
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Das ProgrammPaul Hindemith Alexander von Zemlinsky Gustav Mahler
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