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Osterfestspiele Baden-Baden 2024
Elektra in deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln Dauer: ca. 1 h 45' (keine Pause)
Premiere im Festspielhaus Baden-Baden am 23. März 2024 |
(Homepage)
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Tragödie aus dem Geist der Psychopathologie Von Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus In der Rezeption der jüngeren Zeit sind die überzeugendsten Produktionen von Richard Strauss' Elektra in weitgehend szenischer Abstraktion gelungen. In seiner legendären Inszenierung (der letzten vor seinem Tod vor gut 10 Jahren) hat Patrice Chéreau den Einakter allein in einer kargen Betonwüste erzählt und der Oper so in archaischer Aura die Kraft unmittelbarer Ausstrahlung verliehen. Von Philipp Stölzl, der etwa in Berlin Wagners Parsifal mit allzuviel Oberammergauer Kolorit auf die Bühne brachte, war ohne weiteres nicht zu erwarten, dass er (gemeinsam mit Philipp M. Krenn) die Strauss-Oper ebenfalls nahezu losgelöst von szenischer Dekoration inszenieren würde. Dabei geht diese Produktion sogar noch einen Schritt weiter, sie bezieht die Ebene des Textes als drittes Element des Theatralischen ein: als die in Worte gefasste tiefenpsychologische Schicht der augenfälligen äußeren Handlungen der Bühnen-Figuren über dem Graben, aus dem die alle Grenzen sprengende expressive Gewalt der Musik hervorströmt. Nichts weiter als vielleicht zehn über einander geschichtete Betonstreifen, ca. 70 cm hoch und über die ganze Breite der Bühne bilden die Landschaft dieser Szenerie. Diese Elemente lassen sich zu Treppen schichten oder verliesartig zu Wänden zusammenschieben. Räumliche Symbole für soziale Gegebenheiten: Hierarchien, Abhängigkeiten, Exklusion und Entfremdung zwischen den Figuren. Und Erinnerung an die kolossalen Mauern der monumentaler Burg von Mykene, dem Handlungsort dieses ungeheuren Geschehens in vorgeschichtlicher Zeit. Auf diese Flächen wird der Text projiziert: alle gesungenen Worte, je nachdem kleiner oder größer, auch in unterschiedlichen Schriftarten, die Schlüsselbegriffe bisweilen stark hervorgehoben - als weitere Assoziationsräume also, keinesfalls als Ersatz für die üblichen Übertitel, die es auch gibt. Mit Blick auf die äußerst präzise Platzierung und den absolut synchronen Verlauf eine technische Meisterleistung der Videotechnik. 1. Szene: Mägde und Aufseherin (oben) und Elektra (Nina Stemme, unten) Darin bewegen sich die Figuren von der Regie intensiv geführt und bis ins Extreme agierend, alle als schwer traumatisierte Personen: Elektra ist eine "Tragödie aus dem Geiste der Psychopathologie" (Heinz Politzer). Wie durch ein Vergrößerungsglas konzentrieren wir unsere Aufmerksamkeit auf entmenschlichte Individuen: die von manischer Trauer um den Vater besessene Elektra der Nina Stemme, mit wirren feuerroten Haaren und zwischen Hysterie und Berechnung schwankend. Die Sängerin meistert das darstellerisch eindrucksvoll und stimmlich mit zahllosen Facetten - zwischen trostloser Einsamkeit ("Allein, ganz allein!"), erschütternd kindlicher Sehnsucht nach dem Vater, tiefer Verzweiflung bei der Nachricht vom vorgeblichen Tod des rächenden Bruders Orest, den sie, als er erscheint, schroff abweist, dann aber in der berühmten Szene des Wiedererkennens in sich aufbäumender Hoffnung aufjubelnd. All diese binnen weniger Augenblicke in Extreme wechselnden Gefühlszustände: Die Sängerin, die in ihrem angestammten Wagner-Repertoire ihren vokalen Zenit wohl überschritten hat - hier vermag sie die Rolle stimmlich fantastisch auszufüllen. 3. Szene: Michaela Schuster (oben) als Klytämnestra und Nina Stemme (unten) als Elektra Ihre Mutter Klytämnestra, Hassobjekt Elektras einerseits, aber anderseits in quälendem, unbewusst aufschießendem Schuldkomplex verstrickt, ist Michaela Schuster; hier weniger dämonisch wie oft angelegt, sondern als seelisches Wrack, heruntergekommen fast zum animalischen Wesen, das sich hündisch der Tochter nähert und um "Bräuche" bettelt, die sie von ihren Alpträumen befreien. Bei aller Kälte des nahenden Wahnsinns gelingt ihr doch ein kleiner Moment warmer Zuneigung, wenn sie ihrer verachteten Tochter den Kopf in den Schoß legt. Auch diese Rolle packend gespielt und glänzend gesungen. Als Elektras Schwester Chrysothemis, die von Mutterglück und "Weiberschicksal" träumt, bleibt Elza van den Heever erstaunlich zurückhaltend. Ihr Sopran strömt zwar hell aus, versprüht aber kaum Leidenschaft und wenig sehnsuchtsvolle Phantasie. Johan Reuter als Orest ist schon allein wegen seiner die Bewegung einschränkenden Beinprothese eine beeindruckende Erscheinung. Mit seinem Pfleger (Anthony Robin Schneider solide in der kleinen Rolle) quält er sich mühsam aus der höchsten Ebene hinunter zur Tiefe Elektras. Diese Figur, Dreh- und Angelpunkt der gesamten Atriden-Tragödie der antiken Dichter, in der Mord und Blutrache sich über Generationen hinweg fortpflanzen, ist hier als kriegsverletzter Soldat gezeichnet mit Feldtornister und in verschlissener Uniform. Ein sinnfälliges Bild, wenn man bedenkt, dass die Entstehung von Hofmannsthals Drama und Strauss' Oper zwar in eine Vorkriegszeit fällt (1903-1909), aber eben auch in eine Nachkriegszeit blutiger Auseinandersetzungen davor: Gewalt von Generation zu Generation in zahlreichen Kriegen allein des 19. Jahrhunderts. Vokal ist Johan Reuter ein angemessen starker Orest, hervorragend textverständlich wie im übrigen die Sängerinnen und Sänger in dieser Produktion zumeist. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke gibt einen in seinem Machtgehabe anmaßend grotesken Aegisth, eine wahre "Memme" (Elektra) angesichts von Orests Gegenwart. Prägnant in Darstellung und Gesang sind die Mägde, die Aufseherin und die Vertraute sowie die Dienerinnen in ihren kleinen, aber für die Handlung wesentlichen Rollen. Schlussszene: Orest (Johan Reuter) und Chrysothemis (Elza van den Heever) Die Morde an Klytämnestra und Aegisth, die eigentlich Hinrichtungen sind, vollzieht Orest auf offener Bühne. Über die Treppen fällt dann der Leichnam Klytämnestras wie ein Blutopfer hinunter vor die Füße Elektras. Ein Stunt-Double (Marie Schmitz) vollbringt perfekt diese für einen Moment atemberaubende Aktion. Wie von ihrem Rachewahn erlöst soll laut Libretto Elektra am Schluss in einem ekstatischen Tanz leblos zu Boden fallen. Eine solche Befreiung (wenn auch durch den Tod) gönnt die Regie hier der Titelfigur nicht. Stattdessen pressen die Treppenelemente ihren Handlungsraum und denjenigen ihrer Geschwister Orest und Chrysothemis) langsam zusammen. Ihre Welt wird zunehmend enger und enger. Schlicht grandios sind Dirigent und Orchester. Wie es Kirill Petrenko gelingt, den massiven Orchestersatz (20 Blech- und Holzbläser, über 60 Streicher sind gefordert) zu entwirren und transparent klingen zu lassen! Bei aller Klangballung deckt der Dirigent die Solisten nie zu (die Textverständlichkeit wurde bereits erwähnt) und lässt ihnen Raum für vokale Entfaltung. Der Klang ist geschmeidig und farbig. Die Instrumente klingen, auch wo sie zu größter Lautstärke hochfahren oder in extremste Lagen fallen müssen. Deutlich arbeitet Petrenko die Motive heraus, lässt auch ihnen Zeit zur Entfaltung. Richard Strauss' wohl kühnste und revolutionärste Partitur kommt hier auf faszinierende Weise zu ihrem Recht. FAZIT Nach der letztjährigen eher enttäuschenden Frau ohne Schatten ist dem Festspielhaus bei den Osterfestspielen in diesem Jahr mit Elektra ein Opernglanzstück gelungen. |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Regie Bühne und Licht Kostüme Video Co-Bühnenbild
Berliner Philharmoniker Prager Philharmonischer Chor
Solistinnen und Solisten
Klytämnestra
Elektra
Chrysothemis
Orest
Aegisth
Der Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Die Aufseherin
Erste Magd
Zweite Magd
Dritte Magd
Vierte Magd
Fünfte Magd
Dienerinnen
Tänzerinnen
Stund-Double
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