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Bayreuth Baroque 2024
05.09.2024 - 15.09.2024

Ifigenia in Aulide

Melodramma in drei Akten
Libretto von Paolo Antonio Rolli
Musik von Nicola Antonio Porpora

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h 35' (zwei Pausen)

Premiere im Markgräflichen Opernhaus Bayreuth am 5. September 2024
(rezensierte Aufführung: 07.09.2024)




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Sprachrohr der Göttin

Von Thomas Molke, Fotos: © Falk von Traubenberg / Clemens Manser

Obwohl Nicola Antonio Porpora zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit dem von ihm geprägten Gesangsstil an der Spitze der italienischen Opernkultur stand und als einflussreicher Gesangslehrer Stars wie Farinelli und Caffarelli zu ihrer stimmlichen Blüte brachte, ist er heute, wenn überhaupt, meistens nur noch als intriganter Konkurrent Händels bekannt. Nachdem er zunächst mit seinem neapolitanischen "Erzfeind" Leonardo Vinci in Rom um die Gunst des Publikums gebuhlt hatte, ging er nach dessen ungeklärtem Ableben nach London, um mit der "Opera of the Nobility" 1733 ein Konkurrenzunternehmen zu Händels "Royal Academy of Music" aufzubauen. Dabei brachte er auch seinen Starschüler Farinelli mit und warb einen weiteren berühmten Kastraten, Senesino, und die italienische Diva Francesca Cuzzoni Händels Unternehmen ab. Doch auch in der Auswahl der Stücke konkurrierten die beiden Rivalen. Nachdem Porpora in seiner ersten Spielzeit erfahren hatte, dass Händel an Arianna in Creta arbeitete, brachte er einen Monat vorher eine Oper unter dem Titel Arianna in Nasso heraus. Händel reagierte in der folgenden Spielzeit prompt, indem er mit dem Pasticcio Oreste den gleichen Mythos verwendete wie Porpora in seiner am 3. Mai 1735 uraufgeführten Ifigenia in Aulide. Anders als Händels Werke erlebten Porporas Opern aber nicht seit dem letzten Jahrhundert eine große Renaissance, und so ist es Festivals wie Bayreuth Baroque und dem unermüdlichen Einsatz von Max Emanuel Cencic zu verdanken, dass musikalische Perlen wie eben Porporas Ifigenia nun endlich aus ihrem Dornröschen-Schlaf geweckt werden.

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Liebe auf den ersten Blick: Achille (Maayan Licht) und Ifigenia (Marina Diakoumakou, rechts) (in der Mitte: Jasmin Delfs als Diana und Ifigenias Stimme) (© Clemens Manser)

Die Handlung basiert auf der gleichnamigen Tragödie des Euripides, die Ende des fünften vorchristlichen Jahrhunderts entstand. Agamemnone (Agamemnon), der Heerführer der Griechen, befindet sich in Aulis, um mit dem Heer in den Trojanischen Krieg zu ziehen. Allerdings hat er die Jagdgöttin Diana beleidigt, weil er einen ihr heiligen Hirsch erlegt hat. Die Göttin verhindert mit einer Windstille, dass die griechische Flotte den Hafen von Aulis verlassen kann, und fordert ein Sühneopfer. Der Priester Calcante (Kalchas) verkündet, dass es sich dabei um Agamemnones Tochter Ifigenia (Iphigenie) handeln soll. Daher soll Clitennestra (Klytämnestra) mit ihrer Tochter unter dem Vorwand nach Aulis kommen, dass Ifigenia dort mit Achille (Achilles) vermählt wird. Während Agamemnone nach innerem Kampf bereit ist, seine Tochter zu opfern, wollen Clitennestra und Achille, der sich in Ifigenia verliebt hat, die junge Frau retten. Ein Fluchtversuch misslingt. Um eine kriegerische Auseinandersetzung innerhalb des griechischen Heers zu vermeiden, erklärt sich Ifigenia bereit, dem Willen der Göttin zu folgen und sich opfern zu lassen. Doch Achille ist nicht bereit, dies zu akzeptieren, und greift Calcante kurz vor der Durchführung der Opferhandlung an. Die Göttin Diana verhindert ein Blutvergießen, indem sie verkündet, dass eine tote Hirschkuh die Schuld der Griechen gesühnt habe und Ifigenia fortan als ihre Priesterin im Tempel auf Tauris dienen werde.

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Agamemnone (Max Emmanuel Cencic) möchte seine Tochter Ifigenia (Marina Diakoumakou) nicht opfern. (© Falk von Traubenberg)

Das Regie-Team um Festivalleiter Max Emanuel Cencic belässt szenisch die Geschichte in einer mythologischen Zeit, was sich in opulenten Kostümen und einem relativ abstrakten Bühnenbild von Giorgina Germanou äußert. Hohe verschiebbare Bühnenelemente mit drei unterschiedlichen Flächen bilden flexible Räume, die mal einen Hain andeuten, dann einen Kupferstich mit der Opferung der Iphigenie zeigen oder in sich leicht spiegelnden Flächen das Geschehen auf der Bühne reflektieren. Ein weißer ellipsenförmiger Ring, der auf die Bühne gerollt werden kann, dient dazu, die Auseinandersetzung zwischen Calcante und Achille am Ende des zweiten Aktes wie ein parlamentarisches Streitgespräch zwischen zwei Politikern wirken zu lassen. Beeindruckend ist auch der riesige erlegte Hirsch, der zu Beginn und am Ende auf die Bühne getragen wird. In unterschiedlich hohen durchsichtigen Quadern werden kahle Bäume auf die Bühne gefahren, die den Wald andeuten, in dem Ifigenia und Achille zum ersten Mal aufeinandertreffen und sich sofort ineinander verlieben und durch den Achille die Geliebte später vor der Opferung zu retten versucht. Das ist alles wunderbar anzusehen und schafft eine ästhetische Opulenz, ohne in Kitsch abzudriften.

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Clitennestra (Mary-Ellen Nesi) fordert ihren Gatten Agamemnone (Max Emanuel Cencic) auf, ihre Tochter zu retten. (© Clemens Manser)

Verwirrend hingegen sind einige Regie-Einfälle Cencics, was bereits mit der inszenierten Ouvertüre beginnt. Ein nackter Tänzer mit roten Bändern, die wie Fesseln wirken, dabei aber nichts verdecken, windet sich quasi schmerzerfüllt auf der Bühne. Vier weitere nackte Tänzer mit dunkleren Bändern kommen hinzu, kreisen ihn ein und legen sich ebenfalls auf den Boden. Dann erscheinen die weiteren Soldaten und präsentieren den erlegten Hirsch, auf den sie sich anschließend wie Hunde stürzen. Agamemnone tritt auf, ebenfalls nackt, und zieht sich den Zorn Calcantes zu, dessen rotes Gewand bereits die Forderung nach dem Sühneopfer andeutet. Inhaltlich ist diese Szene zwar nicht gegen das Stück inszeniert, aber man fragt sich schon, ob die Darsteller allesamt nackt sein müssen. Soll damit ein triebhaftes, animalisches Verhalten angedeutet werden? Ein weiterer, viel entscheidenderer Eingriff Cencics ist es, die Titelpartie mit einer Schauspielerin als stumme Rolle zu besetzen und die Partie von der Göttin Diana einsingen zu lassen, die in jeder Szene mit Ifigenia wie eine Beobachterin dem Geschehen beiwohnt. Ifigenia spricht folglich nicht selbst, sondern ist nur das Sprachrohr der Göttin. Unterstrichen werden soll wohl, dass die junge Frau keinen eigenen Willen hat und sich bereitwillig dem Opfer stellt, also dem Verlangen der Göttin folgt. Dieser Ansatz wird spätestens dann diskutabel, wenn Diana selbst auftritt und Ifigenia rettet. Unklar bleibt auch, ob die Schauspielerin, die die ganze Zeit in einem weißen Gewand auftritt, das die Unschuld Ifigenias unterstreichen soll und damit in einem starken Kontrast zu dem schwarzen Gewand Dianas steht, am Ende die geopferte Hirschkuh darstellt, da sie am Ende wie Diana ein Geweih im Gesicht trägt.

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Ulisse (Nicolò Balducci, rechts) und Calcante (Riccardo Novaro, Mitte) fordern von Agamemnone (Max Emanuel Cencic, links) die Opferung Ifigenias. (© Clemens Manser)

Sieht man von diesen kleinen szenischen Unstimmigkeiten ab, bietet der Abend Barockgenuss vom Feinsten und manifestiert, wieso Komponisten wie Porpora unbedingt eine Wiederentdeckung verdient haben. Christophe Rousset fächert mit dem hervorragend aufgelegten Ensemble Les Talens Lyriques den barocken Klang mit allen Finessen auf und lässt das Publikum in großartigen Melodiebögen schwelgen. Dabei wird deutlich, mit welcher Präzision Porpora einerseits für die menschliche Stimme komponiert hat und dass man andererseits allerdings auch ein großartiges barockerfahrenes Ensemble benötigt, um diese Feinheiten in allem Glanz herauszuarbeiten. Aber Cencic ist ja mittlerweile bekannt dafür, für derartige Barockperlen optimale Sängerinnen und Sänger zu finden. Dabei schlüpft er selbst in die Rolle des Agamemnone, der bei der Uraufführung von Senesino interpretiert wurde. Da Cencic tags zuvor ein Künstlergespräch zur Inszenierung im Steingraeber Kammermusiksaal wegen einer Sommergrippe absagen musste, war man ein wenig in Sorge, ob er bereits einen Tag später die anspruchsvolle Partie meistern könne. Aber Cencic lässt mit dunkler, weicher Stimmführung keine Wünsche offen, punktet mit stupenden Läufen und großer Beweglichkeit in den Koloraturen und arbeitet die innere Zerrissenheit des Heerführers, der sich schweren Herzens der Forderung des Oberpriesters beugt und bereit ist, seine Tochter zu opfern, mit intensivem Spiel und großer Dramatik heraus.

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Achille (Maayan Licht, Mitte) preist die Gnade der Göttin Diana (Jasmin Delfs, hinten links mit Marina Diakoumakou als Ifigenia, hinten rechts) (von links: Clitennestra (Mary-Ellen Nesi), Agamemnone (Max Emanuel Cencic), Menelaos (George Zois), Calcante (Riccardo Novaro) und Ulisse (Nicolò Balducci), dahinter: Tänzerinnen und Tänzer). (© Clemens Manser)

Jasmin Delfs stattet die Titelpartie mit einem warmen, frischen Sopran aus, der die Unschuld des jungen Mädchens unterstreicht. Maria Diakoumakou setzt dies in eindrucksvollem pantomimischem Spiel um. Nur der Auftritt Delfs' als Göttin in diesen Szenen irritiert ein wenig, da sie als Göttin natürlich wesentlich autoritärer und fordernder wirkt, was nicht immer zum zarten Gesang passt. Die schönste Musik hat Porpora für den Helden Achille komponiert, der bei der Uraufführung von Farinelli gesungen wurde. Der Sopranist Maayan Licht begeistert in der Partie mit großer Beweglichkeit und strahlenden Höhen. Dabei gelingen ihm auch bruchlose Wechsel zwischen Kopf- und Bruststimme. In den einzelnen Arien spielt er die ganze Klaviatur der Emotionen aus. Nach der ersten Begegnung mit Ifigenia im Wald besingt Licht Achilles Verliebtheit mit zarten, fast zerbrechlichen Tönen, die eine unglaubliche Wärme ausstrahlen. Am Ende des ersten Aktes zeigt er sich dann mit furiosen Koloraturen absolut kämpferisch, wenn er wild entschlossen ist, die Opferung der Geliebten zu verhindern. Ein weiterer Glanzpunkt ist seine Arie im dritten Akt, wenn er Ifigenia mit seinen Soldaten fortschickt und ihr eine friedliche, glückliche Zukunft verspricht. Hier überschlagt sich Licht gewissermaßen mit exorbitanten Läufen und versetzt das Publikum in Begeisterungsstürme.

Auch die übrigen Partien sind hochkarätig besetzt. Mary-Ellen Nesi legt die Partie der Clitennestra mit sattem Mezzosopran und absolut kämpferisch an, so dass man hier bereits erahnen kann, welches Schicksal Agamemnone ereilen wird, wenn er Jahre später aus dem Trojanischen Krieg nach Hause zurückkehrt. Nicolò Balducci ist ein windiger Ulisse und unterstreicht mit eindrucksvollem Spiel die Listigkeit des Helden, der nach dem Krieg noch eine lange Odyssee vor sich hat, bevor er wieder zu seiner Gattin zurückkehrt. Balducci legt die Partie mit strahlenden Höhen und großer Beweglichkeit an. Riccardo Novaro bietet als Calcante mit sonoren Tiefen ein Gegengewicht zu den hohen Stimmen. Ein musikalischer Höhepunkt ist das Duett mit Achille am Ende des zweiten Aktes, in dem die beiden ein nahezu philosophisches Streitgespräch über den Willen der Götter führen. Folglich gibt es am Ende verdienten großen Jubel für alle Beteiligten, so dass der Abschlusschor noch einmal als Zugabe wiederholt wird.

FAZIT

Die hervorragende musikalische Umsetzung und eine alles in allem überzeugende Inszenierung machen deutlich, welche Schätze es im Bereich der Barockmusik noch zu heben gibt.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Cembalo
Christophe Rousset

Regie
Max Emanuel Cencic

Bühne und Kostüme
Giorgina Germanou

Licht
Romain de Langarde

Regieassistenz
Constantina Psoma



Les Talens Lyriques


Solistinnen und Solisten

Ifigenia (Gesang) / Diana
Jasmin Delfs

Achille
Mayaan Licht

Agamemnone
Max Emanuel Cencic

Clitennestra
Mary-Ellen Nesi

Ulisse
Nicolò Balducci

Calcante
Riccardo Novaro

Ifigenia (Spiel, stumme Rolle)
Maria Diakoumakou

Menelaos (stumme Rolle)
George Zois

Soldaten
Vasileios Anagnostopoulos
Angelos Antonakos
Georgios Chortarias
Nikos Fratzeskos
Konstantinos Katsoudas
Vangelis Liopyrakis
Themistoklis Malesagkos
Giannis Mamolis
Panagiotis Panteras
Sakis Papadopoulos
Ioannis Sidiropoulos
Jim Stamatelopoulos
Tasos Tirogalas
Emmanuel Stefanoudakis

Priester, Soldaten
Arsenios Gavriilidis
Charatsidis Panteleimon

Klytämnestras Dienerinnen
Dimitra Kastellou
Ioanna Theodoropoulou

 

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