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Bayreuths selbstironischer Blick in den Spiegel bietet großes TheaterVon Stefan Schmöe, Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Ein bisschen queerer soll es hier zugehen, fordert Le Gateau Chocolat, Travestiekünstler und Teil von Tobias Kratzers immer noch erfrischend frecher Tannhäuser-Inszenierung aus dem Jahr 2019. Und das Publikum der Pausenshow am Teich im Festspielpark, die zum Regiekonzept gehört, applaudiert fröhlich. Kratzer, der mit seinem Team (Ausstattung: Rainer Sellmaier, Video: Manuel Braun) bei dieser Wiederaufnahme anwesend ist und tosenden Applaus (und ein paar vereinzelte, vehemente Protestbekundungen) entgegennimmt, hat die Inszenierung an ein paar wenigen Stellen aktualisiert, am einschneidendsten in der Videosequenz, die die Ouvertüre bebildert. Da sieht man Tannhäuser als Clown in einem Kleinbus über die Landstraße fahren, Teil eines schillernden Quartetts: Venus im Schlagersängerinnenoutfit, dem kleinwüchsigen Grass'schen Blechtrommler Oscar (Manni Laudenbach) und eben Le Gateau Chocolat als sich selbst spielende Kunstfigur. Sie propagieren ein alternatives Lebensmodell (das freilich, das sieht man im Video, einen Polizisten das Leben gekostet hat). Irgendwann streift die Kamera beim Schwenk durch den Bus ein Foto des im vorigen Jahr an einer Krebserkrankung verstorbenen Heldentenors Stephen Gould, der bis 2022 die Titelpartie gesungen hat. Und in die Musik hinein brandet Beifall auf: Gould, eine großartige Sängerpersönlichkeit, wirkt nach.
Mit Klaus Florian Vogt hat bereits 2023 ein anderer Publikumsliebling die Partie übernommen, und er macht das großartig. Die sehr viel hellere (allerdings Jahr für Jahr "nachdunkelnde") und leichtere Stimme passt hervorragend zu dieser Figur. Er macht die Zerrissenheit zwischen der anarchischen Kleingruppe, die sich explizit auf den frühen, "revolutionären" Wagner beruft, und der bürgerlichen Welt der Wartburg-Gesellschaft (in der sich die ehrwürdigen Bayreuther Festspiele samt Publikum spiegeln), glaubhaft. (Eine ausführliche Darstellung der Inszenierung kann man in unseren Besprechungen aus dem Premierenjahr 2019 und - in teilweise neuer Besetzung - aus dem Jahr 2023 nachlesen). Mit seiner vokalen Beweglichkeit gestaltet Vogt die Rolle ausgesprochen nuanciert. Die "Romerzählung" gerät zwischen beißendem Spott und resignativem Selbstmitleid zu einem Kunststück für sich. Strahlkraft und Glanz in der hohen Lage besitzt die Stimme ohnehin, und szenisch gibt Vogt in beiden Welten eine blendende Figur ab.
"Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen": Tannhäuser, Venus und Oskar berufen sich in ihrem unbürgerlichen Dasein auf den jungen Richard Wagner
Auch Elisabeth Teige hat die Partie der Elisabeth bereits im Vorjahr übernommen. Ihre mädchenhaft zarte Gestalt unterstreicht die Verletzlichkeit der Figur, der sie vokal aber erst im dritten Aufzug gerecht wird. Zuvor wird ihr voller und leuchtkräftiger, mit starkem Vibrato allerdings ziemlich ungenau flackernder Sopran von allerlei merkwürdigen Vokalfärbungen getrübt, und die Textverständlichkeit lässt sehr zu wünschen übrig. Sehr viel besser gelingt ihr das Gebet "Allmächt'ge Jungfrau, hör' mein Flehen!" im dritten Aufzug, bei dem sie zu einem sehr intensiven, tragfähigen Piano findet und der Trostlosigkeit dieses bitteren Endes angemessenen Klang verleiht. Sie wird sich auf dem Schrottplatz, auf dem der Bus der illustren Außenseiter-Truppe gestrandet ist, umbringen. Und trauriger kann man einvernehmlichen Sex auf der Opernbühne wohl nicht darstellen als hier in der kurzen Begegnung von Elisabeth und Wolfram, den Markus Eiche mit heldenbaritonalem Glanz in der Stimme und dennoch anrührender Melancholie gestaltet.
Irene Roberts singt bei ihrem Bayreuth-Debut die Venus mit glutvollem, nicht übermäßig großem Sopran, den sie manchmal allzu sehr unter Druck setzt und dadurch recht pauschal im Ausdruck bleibt. In der oben erwähnten Pausen-Performance bewährt sie sich zudem als Schlager-Diva und stürzt sich szenisch mit großer Agilität in die Partie. Günther Groissböck gibt einen noblen, in der Höhe ganz leicht angestrengten Landgrafen Herrmann, Siyabonga Maqungo mit leichtem Tenor einen klangschönen Walther von der Vogelweide, Olafur Sigurdarson einen donnernden Biterolf. Flurina Stucki verleiht dem Hirten, der hier zur besorgten Mitarbeiterin der Festspiele auf dem Fahrrad umgedeutet wird, vokal wie szenisch viel Charme mit einer angemessenen Prise Komik.
In aberwitziger Weise sind Le Gateau Chocolat (in gelb), Venus (vorne) und Oskar ins Festspielhaus eingedrungen und sprengen spektakulär den Sängerkrieg. Aber es hilft ihnen nichts: Tannhäuser kniet vor der zutiefst gekränkten und suizidgefährdeten Elisabeth nieder.
Auch für Nathalie Stutzmann ist es das zweite Jahr als Dirigentin dieser Produktion. Mit dem einmal mehr ganz ausgezeichneten Festspielorchester gestaltet sie einen luftig-leichten, in der durchhörbaren Transparenz eher an Mendelssohn als am Wagner'schen Spätwerk orientierten Tannhäuser (gespielt wird die frühe Dresdner Fassung). Phrasierungen sind sorgfältig ausgestaltet, was mitunter fast allzu kontrolliert erscheint. Das betrifft vor allem die Szenen mit dem großartigen, ungemein sauber und klar intonierenden Festspielchor (Einstudierung: Eberhard Friedrich), der mit außerordentlicher Präzision und in der Lautstärke sehr zurückgenommen singt. Selbst für Bayreuther Verhältnisse klingt das Pianissimo hier besonders entrückt und behält doch rhythmische Kontur. Auch im Forte und Fortissimo bleibt der Klang edel und wird nie "dick". Der Einzug der Gäste in die Halle gerät im federnd-pulsierenden Gestus allerdings ein wenig marschartig. Und der Sängerkrieg könnte eine stärkere dramatische Entwicklung vertragen, auch wenn die Regie dem dynamischen Leben der Tannhäuser-Gang im ersten Aufzug eine bourgeoise-statische Gegenwelt auf der Wartburg respektive dem Festspielhaus entgegensetzt. Aber Musik und Szene greifen insgesamt sehr gut ineinander. So wird ausgerechnet die ironische Selbstreflexion des Festspielbetriebs zum Musterbeispiel für das Wagner'sche Gesamtkunstwerk. Weil ja zuverlässig wie jedes Jahr die Frage aufploppt, wie man neues (junges) Publikum für die Festspiele gewinnt: Indem man so kluge, spannende und musikalisch "runde" Produktionen wie diese spielt.
Tobias Kratzers Tannhäuser bietet zwei Akte lang spannendes und oft sehr lustiges Musiktheater und einen in seiner Tragik und Ernüchterung bewegenden dritten Aufzug - eine der Produktionen, die in der Geschichte der Bayreuther Festspiele das Adjektiv "legendär" beanspruchen dürfen. In Nathalie Stutzmann hat die auch musikalisch mitreißende Produktion eine kongeniale Dirigentin gefunden.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Video
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie Solisten
Landgraf Herrmann
Tannhäuser
Wolfram von Eschenbach
Walther von der Vogelweide
Biterolf
Heinrich der Schreiber
Reinmar von Zweter
Elisabeth, Nichte des Landgrafen
Venus
Ein junger Hirt
Vier Edelknaben
Le Gateau Chocolat
Oskar
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- Fine -