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Verträge sind zum Brechen daVon Thomas Molke / Fotos: © Bregenzer Festspiele / Karl Forster Seit 2015 gibt es in Bregenz während der Festspiele das Opernstudio, in dem junge Sängerinnen und Sänger am Anfang ihrer Karriere eine Chance erhalten, im Austausch und unter Anleitung von etablierten Künstlerinnen und Künstlern eine Meisterklasse zu absolvieren und szenisch einen Opernabend zu erarbeiten. Seit der Erstauflage ist dieses Format auch eng mit dem Namen Brigitte Fassbaender verbunden, die sich nach Beendigung ihrer aktiven Karriere als Sängerin der Regie-Arbeit gewidmet und ihr umfangreiches Wissen in zahlreichen Meisterklassen weitergegeben hat. Erwähnt sei an dieser Stelle der Ring des Nibelungen, den sie bis zum vergangenen Jahr für die Tiroler Festspiele in Erl geschmiedet hat und der in diesem Jahr zwei umjubelte zyklische Aufführungen gefeiert hat. Anlässlich ihres 10-jährigen Jubiläums ihrer Arbeit für das Opernstudio hat sie mit der diesjährigen Klasse zwei Operneinakter erarbeitet, zwischen denen zwar zeitlich mehr als 100 Jahre liegen, die sich inhaltlich aber dennoch unter dem Aspekt eines nicht eingehaltenen Vertrages wunderbar zu einem gemeinsamen Abend kombinieren lassen. Den Anfang macht dabei Gioachino Rossinis einaktige Farsa La cambiale di matrimonio, die Fassbaender unter dem Titel Der Ehevertrag präsentiert. Dabei handelt es sich um die erste Oper des Schwans von Pesaro, die am 3. November 1810 im Teatro San Moisè in Venedig zur Uraufführung gelangte und den Beginn einer großen Karriere einleitete. Verbunden wird Rossinis Farsa mit dem dritten Teil aus Giacomo Puccinis Il trittico, Gianni Schicchi: Dieses Stück, das auf einer Episode aus Dante Aligheris Commedia basiert und am 14. Dezember 1918 an der Metropolitan Opera in New York uraufgeführt wurde, begann sehr bald, ein Eigenleben zu führen und auch ohne die anderen beiden Teile, Il tabarro und Suor Angelica aufgeführt zu werden, auch wenn Puccini immer wieder betonte, dass die drei recht unterschiedlichen Stücke als Einheit zu verstehen seien. Dass Gianni Schicchi sich aber auch wunderbar mit Rossinis Farsa kombinieren lässt, belegt Fassbaender in der kurzweiligen Inszenierung mit dem Opernstudio. Fannì (Idil Kutay), Edoardo (Francesco Lucii, links) und Norton (Maximilian Bell, rechts) lesen mit Schrecken, dass Fannì gegen ihren Willen verheiratet werden soll. Das Libretto zu Rossinis Farsa von Gaetano Rossi basiert auf der gleichnamigen Komödie von Camillo Federici. Mit dem "Wechsel" (cambiale) ist ein Schuldschein gemeint, den der kanadische Kaufmann Slook seinem englischen Kollegen Tobia Mill ausgestellt hat. Nun will Slook nach England kommen und diesen Wechsel persönlich einlösen. Seine Idee ist es, in Kanada ein "Eheunternehmen" zu gründen. Dafür benötigt er eine "perfekte" Ehefrau, und Mill will ihm seine Tochterr Fannì anbieten. Diese ist allerdings bereits in den mittellosen Edoardo Milfort verliebt und will natürlich keinesfalls mit Slook nach Kanada gehen. Gemeinsam mit dem Buchhalter Norton und der Zofe Clarina überlegen Edoardo und Fannì wie sie diese Hochzeit verhindern können. Fannì und Edoardo drohen Slook, ihn zu töten, wenn er nicht auf die Einlösung des Wechsels verzichten wolle. Norton warnt ihn, dass Fannì vielleicht bereits mit einer "Hypothek" belegt sei, so dass Slook schließlich bereit ist, auf Fannì zu verzichten. Das wiederum will allerdings Mill nicht akzeptieren und fordert seinen Geschäftspartner zum Duell heraus. Nun bieten Eoardo und Fannì dem verzweifelten Slook ihre Hilfe an. Als Dank dafür überschreibt Slook den Wechsel kurzerhand auf Edoardo und setzt ihn als seinen Erben ein. Da Edoardo nun nicht mehr mittellos ist, ist Mill bereit, ihn anstelle von Slook als Schwiegersohn zu akzeptieren, und verzichtet auf das Duell. Mill (Dionysios Avgerinos, Mitte) will sich wegen Nichteinhaltung des Vertrags mit Slook (Francesco Ariemma, links) duellieren, was Fannì (Idil Kutay, links) zu verhindern versucht (auf der rechten Seite: Maximilian Bell als Norton und Liza Vjera Lozica als Clarina). Fassbaender siedelt die Geschichte passend zu dem von Slook geplanten Eheunternehmen in einem Laden für Brautmoden an, der den klingenden Namen "Bregenz Brides" trägt. Um auch die übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Opernstudios in dem Stück einzubauen, das ja mit nur sechs Darstellerinnen und Darstellern eine sehr kleine Besetzung hat, inszeniert sie die Ouvertüre in einer großen Tanzchoreographie und lässt die übrigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer als weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Brautkleider in Kartons verpacken. Ob Francesco Lucii als Edoardo zu Beginn der Ouvertüre wirklich die Passage am Horn spielt, lässt sich nicht genau feststellen. Jedenfalls wirkt es beim ersten Einsatz absolut echt. In den anspruchsvolleren weiteren Passagen der Ouvertüre setzt er allerdings ein bisschen früher den Mund vom Horn ab, so dass man hier sicher sein kann, dass das Spiel aus dem Orchestergraben kommt. Edoardo scheint also ein mittelloser Musiker zu sein, der mit seinem Spiel aber die Herzen der Damenwelt höher schlagen lässt. Ob man die Choreographie von Rosita Steinhauser zur Ouvertüre passend findet, ist Geschmacksache. Unterhaltsam ist sie allemal und zeugt von der überbordenden Spielfreude der jungen Darstellerinnen und Darsteller, die im weiteren Verlauf dann auch noch den kanadischen Geschäftspartner überschwänglich begrüßen dürfen. Francesco Auriemma erfüllt in seinem Kostüm jedes Klischee eines kanadischen Rangers oder Holzfällers. Musikalisch lassen sich einige zukünftige Talente entdecken. An erster Stelle ist hier Idil Kutay als Fannì zu nennen, die mit einem strahlenden und in den Höhen sehr kraftvollen Sopran begeistert. Ihre große Arie am Ende der Oper, in der sie Slook dankt, dass er sie für Edoardo freigibt, avanciert mit den sauber angesetzten halsbrecherischen Koloraturen zu einem Höhepunkt des Abends. Auch die Buffo-Partien sind herrlich besetzt. Francesco Auriemma sieht für den ungeliebten skurrilen kanadischen Kaufmann Slook zwar eigentlich viel zu gut aus und wäre rein optisch gar keine so schlechte Partie. Aber der Tenor passt nun einmal in der Oper meistens besser zum Sopran als der Bariton, was dann auch Auriemma einsehen muss. Neben profunden Tiefen begeistert er durch komödiantisches Spiel. Gleiches gilt für Dionysios Avgerinos als Tobia Mill. Mit großer Komik spielt er den unmöglichen Kaufmann, der seine Tochter aus finanziellen Gründen verschachern will, und punktet ebenfalls mit kraftvollem Bariton. Maximilian Bell gibt als Norton einen komödiantischen Strippenzieher und stattet die Partie des Angestellten mit dunklem und beweglichem Bass auf. Bei so viel Buffo-Power wirkt der liebliche Tenor von Francesco Lucii beinahe schon ein wenig langweilig, was aber keineswegs seinen stimmlichen Qualitäten oder seinem Spiel geschuldet ist. Liza Vjera Lozica rundet als Clarina das Ensemble mit beweglichem Mezzosopran und humorvollem Spiel ab. Am Ende spannt Fassbaender dann bereits den Bogen zum zweiten Teil des Abends. Wenn Mill zufrieden an seinem Schreibtisch Platz nimmt und über das für ihn lukrative Ende sinniert, tritt eine dunkle Gestalt mit mephistophelischen Zügen auf und drückt Mills Kopf auf den Tisch. Bei dieser Figur handelt es sich, wie man nach der Pause erfährt, um Buoso Donati, der zu Beginn von Gianni Schicchi auf ähnliche Weise sein Leben aushaucht. Gianni Schicchi (Jacob Phillips, in der Mitte sitzend) soll den Donatis (von links: Gherardo (Ilia Skvirskii), Nella (Isabel Weller), La Ciesca (Liza Vjera Lozica), Rinuccio (Gonzalo Quinchahual) mit Lauretta (Idil Kutay), Zita (Rommie Rochell), Marco (Pete Thanapat), Betto (Fabian-Jakob Balkhausen) und Simone (Junoh Lee)) zur Erbschaft verhelfen. Für Puccinis Oper hat Bühnenbildner Dietrich von Grebmer die Bühnenelemente gedreht und lässt so aus dem relativ modernen Laden für Brautmoden einen nahezu altertümlich wirkenden Raum entstehen, der mit passenden Requisiten liebevoll ausgestattet ist. Bei den Kostümen, für die ebenfalls von Grebmer verantwortlich zeichnet, lässt speziell bei Zita die Addams-Family grüßen, und auch die übrigen Verwandten treten als sehr skurrile Sippschaft aus. Die Habgier und Respektlosigkeit, mit der sie die Wohnung nach dem Testament durchwühlen, spielen sie mit großartiger Komik aus. Gleiches gilt für das Ende, wenn sie aus dem Haus noch zu rauben versuchen, was nicht niet- und nagelfest ist. Über den Bühnenelementen deuten kleine Häuserfassaden den Ort der Handlung an. In diesem optisch herrlich anzuschauenden Ambiente entfacht Fassbaender die Komödie absolut klassisch, schafft es aber in ihrer typischen Manier, interessante und neue Personenkonstellationen herauszuarbeiten. So scheinen Gherardo und seine Frau Nella mit Betto in einer undurchsichtigen Dreiecksbeziehung zu stehen, so dass man eigentlich nicht genau weiß, ob Nella nun (noch) mit ihrem Gatten Gherardo oder mittlerweile mit Betto liiert ist. Lauretta (Idil Kutay) und Rinuccio (Gonzalo Quinchahual) träumen von einer gemeinsamen Zukunft. Die Darstellerinnen und Darsteller der ersten Komödie des Abends treten im zweiten Teil überwiegend in kleinen Nebenrollen auf. So gibt Maximilian Bell den Doktor Maestro Spinelloccio, der sich nicht nur von der Familie einreden lässt, dass Buoso noch lebt, sondern dies in seiner großen Überheblichkeit auch noch seinen Fähigkeiten als Doktor zuschreibt. Francesco Lucii und Dionysios Avgerinos treten als Zeugen bei der Verfassung des neuen Testamentes auf, das von Francesco Auriemma als Notar Amantio di Nicolao verschriftlicht wird. Nur die beiden Frauen aus dem ersten Teil haben wieder eine größere Partie. Idil Kutay schlüpft in die Rolle von Gianni Schicchis Tochter Lauretta, deren Liebe zu Rinuccio dafür verantwortlich ist, dass Schicchi sich überhaupt bereit erklärt, den Donatis zu helfen. Die berühmte Arie "O mio babbino caro" gestaltet Kutay mit leuchtenden Höhen. Liza Vjera Lozica setzt als La Ciesca mit recht abgeklärtem Spiel Akzente und begeistert wie Isabel Weller als Nella mit großartiger Komik, wenn sie Schicchi zu umgarnen versuchen, um den größten Teil der Erbschaft für sich zu ergattern. Hervorzuheben ist auch Rommie Rochell als Zita, die neben einem satten Mezzosopran mit einer enormen Bühnenpräsenz begeistert. Da sagt jeder Blick, dass man diese Frau besser nicht als Feindin haben sollte. Fabian-Jakob Falkhausen scheint ein Vorbild in der Bühnenfigur Mr. Bean zu haben, weil seine Mimik und seine Bewegungen als Betto stark in der Komik an diese Figur erinnern. Gonzalo Quinchahual punktet als Rinuccio mit strahlendem, höhensicherem Tenor und hebt sich auch optisch wie Lauretta vom Rest der Familie ab. Im Gegensatz zu den anderen Familienmitgliedern tragen die beiden helle Kostüme, um ihre Unschuld und Aufrichtigkeit zu unterstreichen. Jacob Phillips kann ebenfalls als Idealbesetzung für den umtriebigen Gianni Schicchi bezeichnet werden. Mit kraftvollem Bariton und gewitztem Spiel erteilt er den habgierigen Verwandten eine Lektion, bei der er selbst zu einer nicht unbeachtlichen Erbschaft gelangt. Am Ende wird dann wieder ein Bezug zum ersten Stück hergestellt, wenn Laurettas Brautkleid aus Mills Brautmodenladen geliefert wird. Das Symphonieorchester Vorarlberg findet unter der Leitung von Claire Levacher zu beiden Stücken einen hervorragenden Zugang, so dass es für alle Beteiligten großen Jubel am Ende der Vorstellung gibt.
FAZIT Brigitte Fassbaender gelingt es, diese beiden musikalisch doch sehr unterschiedlichen Einakter mit einem hochkarätigen und spielfreudigen jungen Ensemble zu einer Einheit zu verschmelzen.
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Festspielen 2024 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungClaire Levacher Inszenierung Bühne und Kostüme Choreographie Licht Dramaturgie
Symphonieorchester Vorarlberg Solistinnen und SolistenDer Ehevertrag Tobia Mill
Fannì
Edoardo Milfort
Slook
Norton
Clarina Gianni Schicchi
Gianni Schicchi Lauretta Zita Rinuccio Gherardo Nella Gherardino Betto di Signa Simone Marco La Ciesca Maestro Spinelloccio Amantio di Nicolao Pinellino Guccio Buoso Donati
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