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Musikfestspiele
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Bregenzer Festspiele 2024

Der Freischütz

Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto von Friedrich Kind nach der gleichnamigen Erzählung von August Apel (1810)
Dialogfassung von Jan Dvořák nach einem Konzept von Philipp Stölzl
Musik von Carl Maria von Weber
Zusatzmusik von Ingo Ludwig Frenzel

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 2 h (keine Pause)


Premiere auf der Seebühne Bregenz am 17. Juli 2024
(rezensierte Aufführung: 23. Juli 2024)

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Bregenzer Festspiele
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Der Teufel wird sentimental

Von Stefan Schmöe / Fotos © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Max stirbt. Er wird kurzerhand erhängt, gemäß geltendem Kriegsrecht nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges. Das ist die Strafe dafür, dass er, wenn auch unbeabsichtigt (aber durch die zauberkräftigen Freikugeln mit dem Teufel verbunden), seine Braut Agathe erschossen hat. So endet die Geschichte vom Freischütz, wenn man nicht an göttliche Rettung durch einen Eremiten glaubt. Und der Teufel wendet sich spöttisch an das verblüffte Publikum, das sich um das große Finale gebracht sieht: Passt Euch das nicht? Na gut. Aus Sentimentalität, so höhnt er, gibt es eben einen alternativen Schluss, der als große katholische Kitschorgie zelebriert wird mit Videoprojektionen von blutendem Herz und zum Himmel entschwebender Taube. Schräg hinter uns buht jemand, was das Zeug hält.


Vergrößerung in neuem Fenster Bühnenbild (Philipp Stölzl) Foto: © Bregenzer Festspiele / Anja Köhler

Ob die Bregenzer Festspiele der richtige Ort sind für einen Diskurs über Sinn und Unsinn im Libretto des Freischütz (den viele im Publikum vermutlich zum ersten Mal erleben), das darf man sicher bezweifeln. Zumal Regisseur Christoph Stölzl gar nicht das Original zur Diskussion stellt, sondern zusammen mit Jan Dvořák eine neue Textfassung erstellt hat, die den Teufel, der bei Weber Samiel heißt, zum knittelversreimenden Erzähler macht, der die in vielen Teilen abgewandelte Handlung erklärt. Aus dem Jägerburschen Max wird ein des Schießens unkundiger Amtsschreiber, was sein Versagen beim anfänglichen Schießwettbewerb plausibel macht. Nur blöd, dass er als angehender Schwiegersohn des Försters Kuno dessen Erbe antreten soll und dafür vor dem sadistischen Fürsten Ottokar, der hier stark an den bayerischen Märchenkönig Ludwig II. erinnert, seine Fähigkeiten als Schütze beweisen muss. So weit noch halbwegs plausibel, dichtet Stölzl Agathe auch noch eine Schwangerschaft an; zehnte Woche, wie sie verschämt (aber präzise) ihrer Freundin Ännchen anvertraut. Wobei diese Freundschaft die wahre Liebesgeschichte darstellt und die beiden Frauen überlegen, ob sie sich schnell in die Schweiz absetzen können, die ja nur ein paar Kilometer von Bregenz entfernt beginnt. Beim Jubelschluss mit Apotheose des Brautpaares wird diese Schwangerschaft (die ja immer noch eine Katastrophe ist, weil die Hochzeit um ein Bewährungsjahr aufgeschoben wird) übrigens diskret vergessen.

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Samiel auf feuerspeiendem Drachen

Das alles mag man ja noch schlucken, sogar in geänderten Arientexten, und stellenweise entwickelt das Spiel durchaus Spannung. Hochgradig ärgerlich wird die Angelegenheit aber, wenn Stölzl in die Musik eingreift. Aufgrund der oft viel zu langen Textpassagen Samiels muss Webers Partitur gekürzt werden, was ohne Rücksicht auf musikalische Zusammenhänge und Proportionen geschieht. Der Jubelschluss der Ouvertüre ist gestrichen (was insofern Sinn ergibt, als dass das glückliche Ende zunächst verweigert wird). Kaspars dämonisches Trinklied "Hier im ird'schen Jammertal" wird auf eine Strophe reduziert (eine weitere deutet Samiel im Sprechgesang an). Und nicht einmal Agathes große Szene "Wie nahte mir der Schlummer" kommt ungeschoren davon, denn die eine oder andere Phrase wird auch hier von Samiel übernommen. Wenn man aber nicht einmal die wirklich zentralen musikalischen Nummern der Oper ernst nimmt, warum setzt man dann ausgerechnet den Freischütz auf's Programm? In dieser Version wird die Musik zur Nebensache, sie begleitet das Sprechtheater. Dafür hat Stölzl sogar ein Trio aus Akkordeon, Kontrabass und Cembalo hinzuerfunden (ergänzende Kompositionen: Ingo Ludwig Frenzel), das wohlige Gruselklänge erzeugt und im Grunde besser passt als die Musik Webers, von der man sich auch komplett hätte trennen können. Ännchens Arie "Kommt ein schlanker Bursch gegangen" (wobei in der neuen Textfassung aus dem Jüngling ein Mädel wird) passt so wenig, dass Stölzl sie als ironisch verkitschte Wasserballett-Revue im Stil der 1920er-Jahre inszeniert. Für Freischütz-Liebhaber eine Sache zum Fremdschämen.


Vergrößerung in neuem Fenster Förster Kuno zwischen seiner Tochter Agathe (rechts) und deren Freundin und Liebhaberin Ännchen

Weil die Story ungeachtet mancher Brüche und Gedankensprünge realistisch im 17. Jahrhundert angesiedelt sein soll, hat Stölzl ein winterliches, vom Krieg gezeichnetes Dorf auf die Seebühne gestellt, das im Sumpf versinkt. Optisch gibt das einiges her, wobei man sich schon fragt, warum die Menschen dort ständig zwischen den Eisschollen im Wasser waten und sich trotz der offensichtlich sehr kühlen Temperatur das Leben auf der Straße abspielt. Ausgerechnet zur Wolfsschlucht fällt der Regie dann enttäuschend wenig an Effekt ein - ein wenig mehr Spektakel als ein brennender Feuerkreis und ein ziemlich alberner, Feuer speiender Drache hätte es schon sein dürfen. So bleibt der Gruselfaktor letztendlich so hoch oder niedrig wie in einschlägigen Freizeitparks: Die Wolfsschlucht als Geisterbahn. Alles Mummenschanz, konstatiert der Teufel vorsorglich. Nur rettet solche Selbstironie die weitgehend verunglückte Inszenierung nicht, die weder dem Werk gerecht wird noch die angemessene Show bietet. Was für ein Unterschied zu Stölzls starkem Rigoletto vor fünf Jahren am gleichen Ort.

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Kaspar gießt in der Wolfsschlucht Freikugeln

Auch musikalisch kann die hier besprochene Aufführung (nicht in der Premierenbesetzung) nur eingeschränkt überzeugen, angefangen beim etwas mulmigen Gesamtklang, den man, wenn die Erinnerung nicht trügt, schon klarer und räumlich schärfer aufgelöst gehört hat. Den besten Eindruck hinterlassen die mit sattem Bläserklang überzeugenden Wiener Symphoniker unter dem zupackenden Dirigat von Erina Yashima, die Webers orchestrale Effekte sehr plastisch herausarbeitet, bei der Begleitung der Sängerinnen und Sänger allerdings an Flexibilität zulegen müsste. So sind Orchester und Bühne allzu oft eine Spur auseinander. Wobei Thomas Blondelle als Max mit manchem Drücker und Schluchzer gerne das Tempo verschleppt. Auch wirkt er unsicher, wie er mit seinem an sich schön und nicht zu hell timbrierten, auf der Seebühne natürlich elektronisch verstärkten Tenor die Partie aussingen soll - manche Passagen klingen wie mit "halber Stimme" gesungen und dann von der Technik auf die entsprechende Lautstärke gebracht. Und Elissa Huber als Agathe weiß womöglich nicht so genau, wo sie ihre (extrem schwierigen) Arien aussingen soll und wo sie aufgrund der Eingriffe in die Musik als Stichwortgeberin für Samiel fungiert - entsprechend uneinheitlich zwischen schönen leisen und ziemlich knalligen Spitzentönen gerät die etwas kurzatmige Interpretation. Gloria Rehm hat es als Ännchen leichter (zumal die "Kettenhund"-Romanze samt anschließender Arie komplett gestrichen ist) und gestaltet die ihr verbliebenen Nummern blitzsauber.


Vergrößerung in neuem Fenster "Kommt ein schlanker Bursch' gegangen", heißt es im Original - Ännchen singt sich allerdings lieber attraktive Frauen herbei, die ein nostalgisches Wasserballett veranstalten

Oliver Zwarg singt einen dämonischen Kaspar, Johannes Kammler einen furchteinflößend markigen Fürsten Ottokar, Raimund Nolte einen altväterlich-sonoren Förster Kuno. Maximilian Krummen gibt einen stimmlich soliden Kilian, der von der Regie zum eigentlichen Nebenbuhler von Max aufgebaut wird. Moritz von Treuenfels spricht und spielt (und singt, wenn von der Regie verlangt) den Samiel virtuos, wie überhaupt die Personen- und Dialogregie sehr sorgfältig durchgearbeitet und vom Ensemble engagiert umgesetzt wird. Der Bregenzer Festspielchor und der Prager Philharmonische Chor klingen prachtvoll und viel wuchtiger, als die vergleichsweise kleine Zahl an Akteuren auf der Bühne glaubhaft machen kann.


FAZIT

Christoph Stölzl verunstaltet den Freischütz zum selbstironischen Grusical, bei dem Webers Musik zur Nebensache wird. Das mag konzeptionell ambitioniert sein, gerät im Ergebnis aber zur schwächsten Produktion der Bregenzer Festspiele seit vielen Jahren.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Enrique Mazzola (Premiere)/
* Erina Yashima

Inszenierung
Philipp Stölzl

Bühne
Philipp Stölzl

Kostüme
Gesine Völlm

Licht
Philipp Stölzl
Florian Schmitt

Stunt- und Bewegungsregie
Wendy Hesketh-Ogilvie

Technical Stunt Director
Jamie Ogilvie

Mitarbeit Bühne
Franziska Harm

Chor
Lukáš Vasilek
Benjamin Lack

Ton
Alwin Bösch
Clemens Wannemacher

Toneffekte
Jan Petzold

Dramaturgie
Olaf A. Schmitt



Anna Marchwindskaja, Cembalo
Daniel Schober, Kontrabass
Atanas Dinovski, Akkordeon

Wired Aerial Theatre

Statisterie der Bregenzer Festspiele

Prager Philharmonischer Chor

Bregenzer Festspielchor

Wiener Symphoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Ottokar
Liviu Holender
*Johannes Kammler

Kuno
Franz Hawlata
*Raimund Nolte

Agathe
Mandy Fredrich
Nikola Hillebrand
*Elissa Huber

Ännchen
Hanna Herfurtner
*Gloria Rehm
Katharina Ruckgaber

Kaspar
Christof Fischesser
David Steffens
*Oliver Zwarg

Max
*Thomas Blondelle
Mauro Peter
Rolf Romei

Samiel
*Moritz von Treuenfels
Niklas Wetzel

Ein Eremit
*Frederic Jost
Andreas Wolf

Kilian
*Maximilian Krummen
Philippe Spiegel

Brautjungfern
Theresa Gauß
*Sarah Kling
*Sarah Schmidbauer


Weitere Informationen
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Bregenzer Festspielen
(Homepage)




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