Belcanto-Glanz in höchsten Tönen
Von Thomas Molke /
Fotos: © Foto: Kreativ Kartell (TFE Presse)
Vincenzo Bellini gilt als der erste Romantiker der
italienischen Oper und hat das Musiktheater vor allem mit seinen wunderbaren
langen Melodienbögen bereichert. Perfektioniert hat er diesen Stil in seiner
letzten Oper I puritani, die am 24. Januar 1835 im Théâtre-Italien in
Paris eine umjubelte Uraufführung erlebte. Von da an trat das Stück einen wahren
Siegeszug um die ganze Welt an, den Bellini selbst allerdings nicht mehr
genießen konnte, da er bereits im September des gleichen Jahres im Alter von
nicht einmal 34 Jahren viel zu früh verstarb. Welche Meisterwerke hätten noch
folgen können, wenn er noch mehr Zeit gehabt hätte? Auch wenn zahlreiche Auszüge
aus der Oper wie beispielsweise das Duett am Ende des zweiten Aktes, "Suoni la
tromba", häufiger Bestandteil von Opern-Galas sind, genießt das Werk als Ganzes
heute nicht mehr den gleichen Bekanntheitsgrad wie beispielsweise Norma, La
sonnambula oder I Capuleti e i Montecchi, da die Messlatte für Tenor
und Sopran extrem hoch angelegt ist, in jeder Hinsicht. So zwingt Bellini den
Tenor sogar bis zum hohen F. In Erl stellt man sich jetzt dieser Herausforderung
in einer konzertanten Aufführung und überzeugt dabei auf ganzer Linie.
Als problematisch wird auch das Libretto betrachtet. Nachdem
Bellini sich nach dem Misserfolg seiner Oper Beatrice di Tenda mit seinem
langjährigen Librettisten Felice Romani, der einige der besten Texte für Bellini
geschrieben hatte, überworfen hatte, wandte er sich an Graf Carlo Pepoli, der
allerdings keineswegs so routiniert wie Romani war, so dass Bellini selbst
mehrfach in den Text eingreifen musste. Dennoch bleibt die Handlung, die um 1650
im englischen Bürgerkrieg spielt und frei erfunden ist, reichlich verworren.
Elvira, die Tochter des puritanischen Gouverneurs Lord Gualtiero Valton, wird
von zwei Männern geliebt: Sir Riccardo Forth, den ihr Vater bevorzugt, weil er
ebenfalls Puritaner ist, und Lord Arturo Talbo, den Elvira liebt, der allerdings
dem gestürzten König treu verbunden ist. Dennoch kann Elvira ihren Vater
überzeugen, sie mit Arturo zu vermählen. Als sie überglücklich gerade ihren
Brautschleier ausprobieren möchte, erkennt Arturo in einer Staatsgefangenen die
Witwe des Stuart-Königs Karl I., Enrichetta, und fühlt sich verpflichtet, sie zu
retten. Er verbirgt sie unter Elviras Brautschleier und ergreift gemeinsam mit
ihr die Flucht. Riccardo lässt die beiden passieren, weil er hofft, auf diesem
Weg Elvira zurückgewinnen zu können. Doch die junge Frau verliert den Verstand.
Arturo wird wegen Hochverrats vom Parlament zum Tode verurteilt. Aus Liebe kehrt
er zu Elvira zurück und kann ihr seine Beweggründe für sein Verschwinden
erklären. Elvira gewinnt ihren Verstand zurück, doch droht ihn erneut zu
verlieren, als Arturo von den Puritanern gestellt und sein Todesurteil verkündet
wird. Im allerletzten Moment taucht ein Bote mit der Nachricht auf, dass nach
dem endgültigen Sieg über die Stuarts alle politischen
Gegner begnadigt werden sollen. So kann die Hochzeit zwischen Elvira und Arturo
doch noch stattfinden.
Das Drama der Handlung wird in Erl noch durch Ausfälle in der
Besetzung der beiden Hauptpartien befeuert. Nachdem bereits der ursprünglich
eingeplante Tenor René Barbera krankheitsbedingt ausgefallen und mit Levy
Sekgapane ein hochkarätiger Ersatz gefunden war, musste auch Zuzana Marková, die
selbst schon eingesprungen war, aus Krankheitsgründen
absagen. Für die Premiere am 28. Dezember 2024 sagte die Belcanto-Spezialistin
Jessica Pratt zu, die allerdings für die zweite Aufführung nicht mehr zur
Verfügung stand. Doch auch dieses Problem konnte man lösen und kurzfristig die
lyrische Koloratursopranistin Lisette Oropesa für die anspruchsvolle Partie
gewinnen, die mit der Rolle mehr als vertraut ist, da sie sie bereits in Paris
interpretiert hat. Mit Sekgapane verbindet sie außerdem, dass sie bereits 2018
beim Rossini Opera Festival in Pesaro in Rossinis Adina mit ihm
als Liebespaar auf der Bühne stand.
Enrichetta (Emilia Rukavina, rechts) hat den
Brautschleier von Elvira (Lisette Oropesa, auf der linken Seite) erhalten (auf
der linken Seite von links: Pawel Horodyski als Lord Gualtiero Valton und Giorgi
Manoshvili als Sir Giorgio, auf der rechten Seite: Levy Sekgapane als Arturo, in
der Mitte: Lorenzo Passerini mit dem Orchester der Tiroler Festspiele Erl).
Auch in Erl erweist sie sich als wahrer Glücksgriff für die
Partie der Elvira. Schon bei ihrem ersten Auftritt mit Elviras Onkel Sir Giorgio
begeistert Oropesa mit sauber angesetzten Höhen und geschmeidigen Linien das
Publikum, wenn Elvira ihrem Onkel ihre Verzweiflung darüber kundtut, dass sie
den von ihr ungeliebten Riccardo heiraten soll. Als sie dann von Giorgio
erfährt, dass ihr Vater der Hochzeit mit Arturo zugestimmt hat, jubiliert sie in
den höchsten Tönen, so dass das Publikum in Verzückung gerät. Da stört es dann
auch nicht weiter, dass man eigentlich nicht wirklich versteht, wieso jetzt die
Königswitwe den Brautschleier Elviras erhält und gemeinsam mit Arturo die Flucht
ergreift. Schließlich handelt es sich ja nur um eine konzertante Aufführung, bei
der sich kein Regie-Team den Kopf über eine mögliche Inszenierung der Szene
zerbrechen muss. Immerhin tritt Oropesa in einem zauberhaften Kleid, das ein
wenig an die Eisprinzessin erinnert, mit einem bläulichen Schleier in der Hand
auf, den sie dann Enrichetta überreicht. Wenn Oropesa als Elvira über den
vermeintlichen Verrat ihres Geliebten am Ende des ersten Aktes dem Wahnsinn
verfällt, reißt Oropesa stimmlich das Publikum erneut zu Begeisterungsstürmen
hin, so dass es einige Zeit dauert, bis der erste Akt zum Abschluss gebracht und
das Publikum in die wohlverdiente Pause entlassen werden kann.
Elvira (Lisette Oropesa) erkennt Riccardo (Mattia
Olivieri, 2. von rechts) und Sir Giorgio (Giorgi Manoshvili, rechts) nicht.
Nach der Pause tritt Oropesa nicht nur in einem wallenden
schwarzen Kleid als Ausdruck von Elviras geistiger Umnachtung auf, sondern singt
die Partie größtenteils auch noch auswendig. Die große Wahnsinnsszene im zweiten
Akt setzt sie darstellerisch überzeugend um. Dabei wirkt ihr Sopran in den
zerbrechlichen Höhen nahezu entrückt. Der Auftritt auf die Bühne wird von
Oropesa regelrecht inszeniert, wenn sie sich an den Notenständern abstützt, die
sie allesamt herunterdrückt, um ihrem Spiel mehr Ausdruck zu verleihen. Im
dritten Akt kommt es dann zunächst zur glücklichen Vereinigung mit dem Geliebten
Arturo, nachdem sie den Anfang der Kavatine im Off angestimmt hat. Im Wechsel
mit Levy Sekgapane als Arturo schraubt sie sich dann im folgenden Duett in
schwindelerregende Höhen empor und erntet jetzt sogar stehende Ovationen beim
Zwischenapplaus. Dem ist beim glücklichen Ende nichts hinzuzufügen.
Lorenzo Passerini (Mitte) mit Riccardo (Mattia
Olivieri, links) und Sir Giorgio (Giorgi Manoshvili, rechts)
Dass der Abend nicht zu einer One-Woman-Show avanciert, ist vor
allem den beiden tiefen zentralen Partien zu verdanken. Mattia Olivieri löst als
Sir Riccardo Forth schon bei seinem ersten Auftritt Begeisterungsstürme beim
Publikum aus. Mit dunklem Bariton und großer Strahlkraft macht er in seiner
ersten großen Arie seiner Wut Luft, dass seine Geliebte Elvira den Rivalen
Arturo heiraten soll. Dabei ist er aber weit davon entfernt, ein typischer
Opern-Bösewicht zu sein. Immerhin lenkt er im Gespräch mit Elviras Onkel Giorgio
ein und erkennt, dass es für ihn und Elvira keine glückliche Zukunft geben wird.
Giorgi Manoshvili ist als Sir Giorgio mit seinem dunklen Bass ein weiterer
Glanzpunkt des Abends. Schon im Duett mit Elvira im ersten Akt punktet er durch
kraftvolle Tiefen. Beim berühmten Duett mit Olivieri im zweiten Akt gibt es beim
Publikum dann kein Halten mehr. Man hat das Gefühl, dass das berühmte "Suoni la
tromba" nicht nur beim italienischen Publikum seit der Risorgimento-Bewegung
patriotische Gefühle auslöst, sondern auch in Erl das Publikum elektrisiert. So
gibt es nach stehenden Ovationen direkt noch eine Zugabe, auch wenn man bei
aller Schönheit der Melodie und Großartigkeit des Gesangs die inhaltliche
Aussage des Duetts durchaus hinterfragen darf.
In Liebe vereint: Elvira (Lisette Oropesa) und
Arturo (Levy Sekgapane)
Levy Sekgapane meistert die Partie des Arturo ebenfalls bravourös und glänzt mit
lyrischen Höhen, wagt sich sogar an das hohe F, auch wenn er dabei an seine
Grenzen stößt. Im Zusammenspiel mit Oropesa begeistert er durch bewegende
Innigkeit. Pawel Horodyski hat als Elviras Vater Lord Gualtiero Valton zwar nur
eine kleine Rolle, lässt aber mit profundem Bass aufhorchen. Emilia Rukavina
stattet die Partie der gestürzten Königin Enrichetta mit sattem Mezzosopran aus,
und auch Peter Kirk überzeugt als Sir Bruno Roberton. Der von Olga Yanum
einstudierte Chor der Tiroler Festspiele Erl präsentiert sich stimmgewaltig.
Auch das Orchester der Tiroler Festspiele Erl erweist sich unter der
musikalischen Leitung von Lorenzo Passerini als prädestinierter Klangkörper für
Bellinis Meisterwerk. Dabei dirigiert Passerini nicht nur gewissermaßen mit
jeder Faser seines Körpers, sondern setzt auch das Orchester regelrecht in
Szene. So fragt man sich zunächst, wieso eine einsame Trommel auf der linken
Seite des Orchesters getrennt vom restlichen Schlagzeug steht. Die Antwort
bekommt man, wenn der Schlagzeuger die Seite wechselt, um für die Szene einen
volleren Klang auf der ganzen Bühne zu erzeugen. Auch die Harfe, die im ersten
Akt noch ins Orchester integriert ist, spielt nach der Pause aus dem Off, um
Elviras Gesang entrückter klingen zu lassen. So taumelt das Publikum von einer
Begeisterungswelle zur nächsten und verlässt beseelt nach fast dreieinhalb
Stunden Belcanto den Saal.
FAZIT
Vielleicht ist es wirklich ein Vorteil, die recht verworrene Handlung von
Bellinis I puritani nur konzertant geboten zu kommen. Die Besetzung in
Erl lässt jedenfalls keine Wünsche offen und ist absolut festspielwürdig.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Lorenzo PasseriniChorleitung
Olga Yanum
Orchester der
Tiroler Festspiele Erl
Chor der Tiroler Festspiele Erl
Solistinnen und Solisten
*rezensierte Aufführung Lord Arturo Talbo
Levy Sekgapane Elvira
Jessica Pratt /
*Lisette Oropesa
Sir Riccardo Forth
Mattia Olivieri Sir Giorgio
Giorgi Manoshvili Enrichetta di Francia
Emilia Rukavina
Lord Gualtiero Valton
Pawel Horodyski
Sir Bruno Roberton
Peter Kirk
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