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Große Emotionen in unbekanntem VerdiVon Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel Verdis Alzira gehört zu den unbekanntesten Werken des großen italienischen Opernkomponisten, dessen berühmte Opern zum festen Repertoire an jedem Opernhaus gehören. Das Stück entstand während der sogenannten "Galeerenjahre", in denen Verdi nach seinem Erfolg mit Nabucco nahezu jeden Kompositionsauftrag annahm und in rascher Folge bis zum Rigoletto 1851 13 Opern komponierte. Später soll er selbst dieses Werk einmal als seine "hässlichste Oper" bezeichnet haben. Dabei hatte er gerade in Alzira große Erwartungen gesteckt. Schließlich kam der Auftrag vom Teatro di San Carlo in Neapel, dem damals angesagtesten Opernhaus. Als Textvorlage wählte er Voltaires Alzire ou les Américains, eine Tragödie in fünf Aufzügen, die am 27. Januar 1736 in Paris uraufgeführt worden war und sich zu einem der beliebtesten Bühnenstücke des Autors entwickelt hatte. Doch die Arbeit des Librettisten Salvatore Cammarano, dem Verdi im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit völlig freie Hand in der Gestaltung des Textes ließ, ging nicht so schnell voran, wie Verdi es sich vorstellte, so dass ihm wenig Zeit für die Komposition blieb. Dann fiel auch noch die Titelpartie wegen Schwangerschaft aus, und Verdis gesundheitliche Probleme führten zu weiteren Verzögerungen. Als das Werk schließlich am 12. August 1845 in Neapel seine Uraufführung erlebte, war es mit zwei Akten und einem Prolog Verdis kürzeste Oper und wurde vom Publikum relativ verhalten aufgenommen. Vielleicht war es das Sujet, das das Publikum nicht erreichte. Die Faszination des Publikums für fremde Orte in der Oper bezog sich eher auf den asiatischen und afrikanischen Raum, zumal die musikalische Sprache der peruanischen Ureinwohner von Verdi genauso "italienisch" angelegt war wie die der spanischen Eroberer. Auch eine Neueinstudierung ein Jahr später an der Mailänder Scala brachte nicht den erhofften Erfolg, so dass das Stück schnell vom Spielplan verschwand und völlig in Vergessenheit geriet. Da Marcus Bosch bei den Opernfestspielen Heidenheim ein Projekt ins Leben gerufen hat, die frühen Verdi-Opern in chronologischer Reihenfolge auf die Bühne zu bringen, steht nun auch Verdis vergessene Alzira auf dem Programm. Zamoro (Sung Kyu Park, rechts) verschont Alvaros (Marcell Bakonyi, Mitte am Boden) Leben (hinten links stehend: Otumbo (Musa Nkuna) mit den Herren des Chors als Peruaner). Dabei hat das Werk alles, was eine klassische Oper braucht, auch wenn die Handlung sehr verworren ist. Die Geschichte spielt Mitte des 16. Jahrhunderts zur Zeit der spanischen Eroberung Perus. Alvaro, der spanische Gouverneur von Peru ist in die Hände von Inka-Kriegern unter der Leitung von Otumbo gefallen, der ihn töten will. Doch Zamoro, der Häuptling eines Stammes, der aus der spanischen Gefangenschaft entkommen ist, lässt Gnade walten und schenkt Alvaro die Freiheit. Als er kurz darauf erfährt, dass seine Braut Alzira gemeinsam mit ihrem Vater Ataliba, dem Häuptling eines anderen Inkastammes, von Alvaros Sohn Gusmano gefangen genommen worden ist und diesen heiraten soll, schwört er Rache und begibt sich nach Lima. Dort will Gusmano durch die Hochzeit mit Alzira den Frieden zwischen Inkas und Spaniern festigen. Doch Alzira trauert um ihren Geliebten Zamoro, den sie für tot hält. Als er überraschend auftaucht, werden die beiden von Gusmano entdeckt. Gusmano will den Rivalen sofort töten, doch sein Vater Alvaro erkennt in ihm seinen Retter und bewirkt Zamoros Freilassung. Es kommt zu einem erneuten Kampf zwischen Spaniern und Inkas, bei dem die Inkas unterliegen und Zamoro erneut in Gefangenschaft gerät. Gusmano stellt Alzira vor die Wahl. Entweder sie heiratet ihn, oder Zamoro wird hingerichtet. Schweren Herzens entschließt sich Alzira, das Leben des Geliebten zu retten. Doch Zamoro kann mit Otumbos Hilfe erneut aus der Gefangenschaft entkommen und schleicht sich als spanischer Grande verkleidet zu den Hochzeitsfeierlichkeiten. Kurz vor der Eheschließung erdolcht er Gusmano und fordert die Spanier auf, ihn zu töten. Doch sterbend besinnt sich Gusmano seiner christlichen Ideale, vergibt seinem Mörder und schenkt Zamoro und Alzira die Freiheit. Alzira (Ania Jeruc) ist glücklich, dass ihr Geliebter Zamoro (Sung Kyu Park) noch lebt. Das Regie-Team um Andreas Baesler beschließt wohl nicht zuletzt mit Blick auf die Unbekanntheit des Werkes, die Geschichte nicht in die Gegenwart zu verlegen, sondern im Großen und Ganzen in der Zeit der Handlung zu belassen. Dabei leistet sich Kostümbildnerin Tanja Hofmann allerdings keine opulente Kostümschlacht, sondern legt die zwei Gruppierungen in den Kostümen eher dezent an. Die spanischen Eroberer treten in schwarzen Kostümen mit einem spanischen weißen Kragen auf. Der Gouverneur trägt außerdem noch eine Krone. Die Kostüme der Peruaner sind mit roten Khipus versehen, die als Knotenschrift zur Buchhaltung oder Übermittlung von Nachrichten ein zentraler Bestandteil der Inkakultur waren. Die "Befriedung" sieht dann folgendermaßen aus, dass auch die Peruaner weiße spanische Kragen tragen und diese abreißen, wenn Zamoro erneut zum Kampf gegen die spanischen Eroberer aufruft. Alzira hebt sich in einem weißen Kleid von den übrigen Figuren ab, was zum einen ihre Unschuld beschreibt und zum anderen andeutet, das sie als Spielball zwischen beiden Völkern fungiert. Zu Beginn trägt sie Zamoros rote Jacke, da sie glaubt, dass er von den Spaniern getötet worden ist, um hervorzuheben, wie sehr sie um ihn trauert. Der Schleier, den sie dann im zweiten Akt bei der Hochzeit mit Gusmano trägt, in die sie eingewilligt hat, um das Leben ihres Geliebten Zamoro zu retten, ist schwarz, um ihr Unglück und ihre Trauer zu unterstreichen. Gusmano (Marian Pop, Mitte oben) triumphiert über Zamoro (Sung Kyu Park, vorne rechts) und die besiegten Peruaner. Als Bühnenbild, für das Baesler als Regisseur verantwortlich zeichnet, fungieren ein großes Podest in der Mitte, mehrere Stühle und Projektionen auf der Rückwand. Der Prolog des Stückes wird vor die Ouvertüre gestellt, um den zeitlichen Abstand zwischen den Geschehnissen im Prolog und dem ersten Akt hervorzuheben (und um einen erforderlichen Bühnenumbau vorzunehmen). Das Podest ist mit einem Tuch bedeckt, das an einen steinigen Boden erinnert. Um das Podest herum befinden sich zahlreiche hohe Pflanzen. In einer Projektion wird eine Art Höhle angedeutet. Hierhin ist der alte Gouverneur Alvaro vor den Peruanern geflohen, wird aber von ihnen sehr schnell entdeckt und soll getötet werden. Doch Zamoro kann ein Blutbad verhindern und zeigt sich dem alten Mann gegenüber gnädig, um gleich darauf zum Kampf gegen die spanischen Invasoren aufzurufen, als er erfährt, dass seine Verlobte Alzira in die Hände der Spanier gefallen ist. Im ersten Akt sind die Pflanzen beiseite geräumt, und das Podest stellt nun den Gouverneurspalast dar, in dem der zurückgekehrte Alvaro seinem Sohn Gusmano die Macht (und die Krone) übergibt. Der zweite Akt nach der Pause wird dann durch eine kleine Umbaupause unterbrochen. Zunächst sieht man die siegreichen Spanier vor einer Videoprojektion, in der in alten Filmausschnitten ein Massaker an den Ureinwohnern gezeigt wird. Dann schließt sich der Vorhang. Danach sieht man mit zahlreichen umgestürzten Stühlen und den Pflanzen aus dem Prolog das Versteck der Peruaner, in das sie sich nach der vernichtenden Niederlage zurückgezogen haben. Das Podest ist nun auf die linke Seite gerückt. Als Zamoro auftaucht, weil er erneut den Spaniern entkommen konnte und den Verlust Alziras beklagt, legt er einen Brustpanzer als spanische Uniform an und stellt mit den anderen die Stühle für die bevorstehende Hochzeit auf. Das Podest wird für die Hochzeitszeremonie wieder in die Mitte geschoben, und es kommt zum finalen Showdown, in dem Zamoro Gusmano ersticht und dieser ihm sterbend verzeiht und ihn als Akt der Gnade mit Alzira verbindet. Glückliches Ende für Alzira (Ania Jeruc, auf dem Podest) und Zamoro (Sung Kyu Park, auf dem Podest Mitte), während Alvaro (Marcell Bakonyi, rechts) seinen toten Sohn Gusmano (Marian Pop, auf dem Podest liegend) beklagt (links: Ataliba (Gabriel Fortunas) und Zuma (Julia Rutigliano), im Hintergrund der Chor) Mag das alles auch sehr abstrus und verworren sein, setzt Verdi die Geschichte mit großartiger, emotionsgeladener Musik in Szene, die stellenweise jedoch ein wenig übertrieben auf Affekte setzt, wie es für den jungen Verdi aber nicht ganz untypisch ist. Marcus Bosch lotet die spannungsgeladenen Höhen und Tiefen der Musik mit dem eigens von ihm 2011 für die Opernfestspiele gegründeten Orchester Cappella Aquileia punktgenau und mit viel Gefühl für Zwischentöne aus und versetzt das Publikum in einen regelrechten "Verdi-Rausch". Auch der von Joel Hána einstudierte Tschechische Philharmonische Chor Brünn punktet auf ganzer Linie. Die Herren des Chors geben mit kraftvollen Stimmen die Krieger, die sich zum Widerstand gegen die spanischen Besatzer formieren. Die Frauen des Chors finden sehr gefühlvolle Töne, wenn sie mit Alziras Schicksal leiden, und zeigen sich am Ende des ersten Aktes nicht weniger kämpferisch, wenn sie die spanischen weißen Kragen abwerfen und ein Tuch mit Inka-Symbolen hervorholen. Auch die Solistinnen und Solisten lassen keine Wünsche übrig. Da ist zunächst Ania Jeruc in der Titelpartie zu nennen. Mit flexibler Stimme macht sie die Gefühlsschwankungen Alziras deutlich und wechselt zwischen leuchtenden Höhen, die die Reinheit der Figur unterstreichen, und nahezu gebrochenen Tönen, die ihre Verzweiflung manifestieren, wenn sie glaubt, dass ihr Geliebter Zamoro tot ist oder sie ihn im zweiten Akt durch die Hochzeit mit Gusmano zu retten versucht. Ein Höhepunkt ist ihre große Arie im ersten Akt, in der sie davon träumt, mit Zamoro wieder vereint zu sein. Sung Kyu Park stattet die Partie des Zamoro mit kraftvollem Tenor und sauber ausgesungenen Höhen aus und lässt den Inkahäuptling zumindest musikalisch zu einem wahren Helden avancieren, auch wenn der Figur gemäß Libretto mit den ständigen Gefangennahmen ein wenig das Heroische fehlt. Im Duett mit Jeruc findet er zu einer bewegenden Innigkeit. Marian Pop punktet als Bösewicht Gusmano, der sich vom gnadenlosen Herrscher zu einem im Angesicht des Todes nachsichtig verzeihenden Eroberer entwickelt, mit zunächst sehr hartem Bariton, der am Ende sehr weiche Töne findet. Das wirkt zwar inhaltlich unmotiviert, entspricht aber Voltaires Vorlage, die Cammarano an dieser Stelle fast wörtlich übernommen hat. Das Terzett am Ende der Oper zwischen Jeruc, Park und Pop kann als weiteres musikalisches Highlight bezeichnet werden, das zeigt, dass diese Oper es durchaus verdient hätte, häufiger gespielt zu werden. In den kleineren Partien überzeugen Marcell Bakonyi als Gouverneur Alvaro mit dunklem, dabei aber mildem Bass, Gabriel Fortunas als Alziras Vater Ataliba mit väterlich weichem Bass, Julia Rutigliano als Alziras Vertraute Zuma mit sattem Mezzo und Musa Nkuna als Otumbo mit kämpferischem Tenor, so dass es für alle Beteiligten zu Recht großen Jubel am Ende der Vorstellung gibt. Verdienten Zwischenapplaus nach einzelnen musikalischen Nummern versucht Bosch mit dem Orchester größtenteils zu unterbinden, weil eine CD-Aufnahme der Aufführung geplant ist. FAZIT Auch wenn die Handlung absolut konfus und verworren ist, verdient Verdis unbekannte Alzira, allein wegen der Musik häufiger gespielt zu werden.
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Tschechischer
Philharmonischer
Solistinnen und SolistenAlvaro, Gouverneur von Peru Gusmano, Gouverneur von Peru Ovando, spanischer Feldherr Zamoro, Inkahäuptling Ataliba, Inkaherrscher Alzira, seine Tochter Zuma, ihre Vertraute Otumbo, Inkakrieger Ein Inkakrieger / spanischer Soldat
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