Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
|
Die Frau als HandelswareVon Thomas Molke / Fotos: © Oliver Vogel Puccinis Madama Butterfly gehört heute zu den bekanntesten Werken der Opernliteratur, und der Komponist selbst betrachtete dieses Stück als seine emotionalste Oper. Dabei war sie - ähnlich wie Bizets Carmen - bei der Uraufführung am 17. Februar 1904 in der Scala in Mailand ein absoluter Reinfall. Es ging sogar so weit, dass nicht nur die weiteren Aufführungen abgesagt wurden, sondern auch Puccini und seine Librettisten dem Theater die entstandenen Kosten erstatteten und Puccini selbst sein Honorar zurückzahlte. Wieso der Oper bei der Uraufführung kein Erfolg vergönnt war, obwohl sich Puccini in den Jahren davor mit La bohème und Tosca zum führenden italienischen Komponisten etabliert hatte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Puccini jedenfalls war weiter von seinem Werk überzeugt, arbeitete die ursprünglich zweiaktige Fassung auf drei Akte um und verzichtete auf zahlreiche politische Anspielungen mit kritischem Unterton. So wandelte sich der leicht kitschige Blick auf ein naives unschuldiges Mädchen zur tragischen Geschichte einer jungen selbstbestimmten Frau. Etwa drei Monate später trat das Werk von Brescia aus einen Siegeszug um die ganze Welt an. Bei den Opernfestspielen Heidenheim steht die Oper nun unter dem Motto "Fremde Welten" in der erfolgreichen dreiaktigen Fassung auf dem Spielplan. Pinkerton (Héctor Sandoval) schwört Cio-Cio-San (Olga Busuioc) ewige Liebe. Regisseurin Rosetta Cucchi hat bei ihren zahlreichen Aufenthalten als Pianistin in Japan nach eigenem Bekunden die Erfahrung gemacht, dass die Geschichte der Butterfly in dem Land, das heutzutage eigentlich eher für technischen Fortschritt und moderne Entwicklung bekannt ist, leider immer noch aktuell ist. So gibt es auch heute noch die jungen Mädchen, die sich einen Ausbruch aus ihrem traditionellen Leben erhoffen, indem sie sich an ausländische Männer verkaufen. Daher ist es Cucchi ein Anliegen, diesen Aspekt in ihre Inszenierung einzubeziehen. Schon während der Ouvertüre sieht man junge Mädchen in einer Art kreisrunder Fenster stehen, die sich und ihre Dienste anbieten. Auch Butterfly bewegt sich in dieser Illusion. Bühnenbildner Tassilo Tesche hat ein halbrundes weißes Gebilde konzipiert, das die Bühne beherrscht und mehrere Assoziationen zulässt. Zum einen erinnert es mit den lamellenartig angelegten weißen Bögen an eine Art Lampion, der für eine fernöstliche verkitschte Kultur steht. Zum anderen kann man das Gebilde auch als eine Art Käfig betrachten, in dem Butterfly wie ein Schmetterling gefangen ist. In ihrem weißen Kleid mit dem blauen Kragen wirkt sie von Beginn an wie eine sehr westlich orientierte junge Frau. In das traditionelle Klischeebild im weißen Kimono verwandelt Pinkerton sie erst nach der Hochzeit. Sharpless (Gerrit Illenberger) versucht, Cio-Cio-San (Olga Busuioc) zu erklären, dass Pinkerton nicht zurückkehren wird (hinten rechts: Musa Nkuna als Goro). Auch das Mobiliar in Butterflys kleiner Welt zeugt von den Träumen einer jungen Frau. In einem durchsichtigen Kasten hat sie eine Puppenstube eingerichtet, auf die sie ihr erhofftes Liebesglück projiziert. Immer herzt sie die weibliche Puppe, die wie eine Braut gekleidet ist, und führt sie mit der männlichen Puppe zusammen. Ihr Sohn, dem in Cucchis Inszenierung eine relativ bedeutende Rolle zukommt, kann die Schwärmerei seiner Mutter für den ihm unbekannten Vater nicht nachvollziehen und geht mit der Vater-Puppe recht harsch und rücksichtslos um. Wenn Butterfly im zweiten Akt auf die Rückkehr Pinkertons wartet, hat sie eine US-amerikanische Flagge in ihrem kleinen Raum aufgehängt, die allerdings schon ein wenig abgenutzt wirkt. An der Decke sind zahlreiche Briefe befestigt, die sie wohl selbst an Pinkerton geschrieben hat. Vielleicht hat sie sie auch in seinem Namen an sich selbst geschrieben, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass er wieder zu ihr zurückkehrt. Wenn sie dann sein Schiff im Hafen sieht und freudig auf seine Rückkehr wartet, tauscht sie die Briefe gegen zahlreiche Papierschmetterlinge aus, die sie anschließend herunterreißt, nachdem sie erkannt hat, dass er eine andere Frau geheiratet hat und nicht zu ihr zurückkehren wird. Cio-Cio-San (Olga Busuioc, vorne links) wartet vergeblich mit Suzuki (Julia Rutigliano, hinten rechts) auf Pinkertons Rückkehr. Neben einem Bassin mit blauem Wasser, das wohl ihr kleines Meer darstellt, über das Pinkerton in einem Papierboot, das sie bastelt, zu ihr zurückkehren wird, werden in einem weiteren durchsichtigen Quader weiße Luftballons gesammelt. Ab und zu lässt Butterfly einen fliegen, was wohl als Nachricht verstanden werden kann, die sie ihrem Geliebten schickt. Im dritten Akt legen auch die anderen jungen Frauen, die man zu Beginn der Ouvertüre in den Fenstern gesehen hat, weiße Ballons in diesen Behälter, um zu betonen, dass Butterfly nicht allein einer Illusion erliegt. Kurz vor ihrem Selbstmord lässt Butterfly alle Ballons nach oben steigen. Ihr Sohn hält zunächst noch zwei zurück und spielt mit ihnen, bevor sie auch ihm entgleiten. Wenn Pinkerton dann am Ende kommt, um ihn zu holen, wehrt er sich zunächst und macht ihn für den Tod der Mutter verantwortlich. Gegen den Vater hat er aber keine Chance. Pinkerton trägt ihn gegen seinen Willen von der Bühne. Dadurch wird die an sich schon negative Figur des Pinkerton in Cucchis Inszenierung noch unsympathischer. Cio-Cio-San (Olga Busuioc) sieht einen Ausweg nur im Selbstmord. Musikalisch bewegt sich der Abend auf gutem Niveau. Marcus Bosch findet mit den Stuttgarter Philharmonikern einen wunderbaren Mittelweg zwischen emotionsgeladenem, wuchtigem Klang aus dem Graben, ohne die Solistinnen und Solisten zu überdecken, und sehr intimen Momenten, die die Tragik des Stückes spürbar machen. Die US-amerikanischen Motive werden recht patriotisch angelegt, um die negativen Züge Pinkertons zu unterstreichen, während die japanischen - oder besser gesagt asiatischen - Momente musikalisch viel filigraner daherkommen und einen starken Kontrast bilden. Die Titelpartie ist mit Olga Busuioc hochkarätig besetzt. Mit einfühlsam angesetztem Sopran und glasklaren Höhen punktet sie in der berühmten Arie "Un bel dì vedremo", bei der man sich wundert, dass es in der besuchten Aufführung keinen Szenenapplaus gibt. Mit frenetischem Jubel wird sie dafür am Ende der Aufführung umso heftiger bedacht. Auch ihren Schlussgesang "Tu, tu, piccolo, iddio" legt sie mit großer Dramatik an. Dazwischen findet sie mit nahezu zartem Sprechgesang ganz weiche Töne, die die Verletzlichkeit der jungen Frau unterstreichen. Héctor Sandoval ist in Heidenheim mittlerweile ein alter Bekannter und legt auch die unsympathische Partie des Pinkerton mit sicherem Tenor an, der in den Höhen allerdings ein wenig presst. In bewegender Innigkeit präsentiert er mit Busuioc am Ende des ersten Aktes das große Liebes-Duett, bei dem man fast selbst den Liebesschwüren Pinkertons glauben möchte. Julia Rutigliano hat als Suzuki eine großartige Bühnenpräsenz, deren Blicke jeweils wie in einem offenen Buch lesen lassen. Dazu verfügt sie über einen dunkel gefärbten Mezzosopran, mit dem sie einerseits wie eine Löwin ihre Herrin vor der Außenwelt zu schützen versucht, andererseits aber auch klug abwägt, wie weit sie besonders den US-Amerikanern gegenüber gehen kann, ohne Butterfly zu schaden. Dabei nimmt man ihr die innigen Gefühle für Butterfly und deren Sohn zu jedem Zeitpunkt ab. Gerrit Illenberger stattet den Konsul Sharpless mit kraftvollem Bariton aus, der es trotz aller Bemühungen nicht schafft, Butterfly zu retten. Auch ihm nimmt man ab, dass er sich um das Wohlergehen der jungen Frau sorgt. Wesentlich herzloser interpretiert Musa Nkuna den schmierigen Heiratsvermittler Goro, der in Butterfly nur eine monetäre Quelle sieht und ihrem Schicksal völlig gleichgültig gegenübersteht. Nkuna legt die windige Partie mit leichtem Tenor an. Alexander Teliga lässt als Onkel Bonze mit autoritärem dunklem Bass aufhorchen. Auch die übrigen kleineren Partien sind gut besetzt. Der von Joel Hána einstudierte Tschechische Philharmonische Chor Brünn punktet durch homogenen Klang. Vor allem der Summ-Chor der Frauen zu Beginn des dritten Aktes geht unter die Haut, auch wenn nicht ganz klar wird, wieso die Frauen der Statisterie dazu die Steine, die auf der ganzen Bühne verteilt liegen, in Butterflys kleines Heim schaffen. Soll damit angedeutet werden, dass Butterflys Begräbnis vorbereitet wird? Aber diese offene Frage kann den emotionalen Genuss der Aufführung nicht beeinträchtigen, so dass es für alle Beteiligten am Ende großen Jubel gibt. FAZIT Rosetta Cucchi findet einen sehr modernen Zugang zu dem Stück und zeichnet ein bewegendes Frauenschicksal, das auch in der heutigen Zeit leider immer noch eine erschreckende Aktualität besitzt.
Weitere Rezensionen zu
den
Opernfestspielen Heidenheim 2024 |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Lichtdesign
Choreinstudierung
Dramaturgie
Stuttgarter Philharmoniker
Tschechischer
Philharmonischer
Solistinnen und Solisten*rezensierte Aufführung Cio-Cio-San, genannt Butterfly Suzuki, ihre Dienerin Kate Pinkerton F. B. Pinkerton, Leutnant in der Marine der USA Sharpless, Konsul der USA in Nagasaki Goro, Nakodo Der Fürst Yamadori Der Onkel Bonze Yakusidé Der kaiserliche Kommissar Der Standesbeamte Die Mutter Cio-Cio-Sans Die Tante Die Cousine Dolore, Cio-Cio-Sans Sohn Statisterie Dilara Öner Duygu Vatan
|
- Fine -