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48. Tage Alter Musik in Herne

14.11.2024 - 17.11.2024

La sepoltura di Cristo

Passionsoratorium in zwei Teilen
nach einer Partitur von Giacomo Cesare Predieri
Libretto nach Giuseppe Mazzoni
Musik von Giacomo Antonio Perti (mit Ergänzungen von Arcangelo Corelli, Giacomo Cesare Predieri, Giuseppe Torelli und Tomaso Antonio Vitali)


In italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 5' (eine Pause)

Aufführung im Kulturzentrum in Herne am 16. November 2023

 

 

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Spannende Entdeckung eines Oratoriums

Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas Kost / WDR

Der Rekord für den am längsten aktiven Komponisten gebührt sicherlich Giacomo Antonio Perti aus Bologna. Zwischen seiner ersten Vertonung des Psalms "In convertendo", die er im zarten Alter von 16 Jahren schuf, und seiner letzten Komposition von 1756 liegen fast 80 Jahre. Sechs Jahrzehnte hatte er in dieser Zeit den begehrten Posten als allseits bewunderter Kapellmeister der Basilika San Petronio inne und schuf neben zahlreichen sakralen Werken auch Opern. Dass er sich dabei auch anderer Komponisten bediente und mit ihnen austauschte, war damals übliche Praxis. So dürfte er auch mit Giacomo Cesare Predieri kooperiert haben, der von 1691 bis 1712 Kapellmeister an der Kirche Santa Maria della Vita war, die mit der benachbarten Santa Maria della Morte, einer weiteren Wirkungsstätte Pertis, zu einem Komplex von Hospitälern gehörte. Am Karfreitag des Jahres 1704 kam es in beiden Kirchen zu einer Aufführung des Passionsoratoriums La sepoltura di Cristo auf unterschiedliche Libretti, wobei die Musik bei dem einen Oratorium von Predieri und bei dem anderen von Perti stammte. In Pertis Nachlass fand man nun ein anonymes Manuskript mit dem gleichen Titel, dessen Text auf Predieri als Komponisten hinweist. Man geht davon aus, dass Perti es um 1720 für eine weitere Aufführung bearbeitete. Diese Fassung, die hervorragend zum diesjährigen Festival-Motto "Reuse - Recycle" passt, ist nun im Kulturzentrum Herne erstmals zu erleben.

Wie der Titel des Oratoriums andeutet, geht es um die Grablegung Jesu, die von vier Personen kommentiert wird, denen die vier Hauptstimmregister zugeordnet sind: die Jungfrau Maria (Sopran), Maria Magdalena (Alt), der Evangelist Johannes (Tenor) und Joseph von Arimathäa (Bass). Im ersten Teil nehmen die vier den Leichnam Christi nach der Kreuzigung entgegen und spenden sich gegenseitig Trost. Joseph, der sein Grab für Jesus zur Verfügung stellt, und Maria Magdalena salben den Körper des Toten mit duftenden Essenzen ein und hüllen ihn in ein Leinentuch. Im zweiten Teil bemerken sie bei der Grablegung, dass auf dem Leinentuch wie durch ein Wunder die Gestalt Jesu abgebildet worden ist. Das gibt ihnen neue Hoffnung. Sie verabschieden sich von ihrem Erlöser und fordern die Menschen auf, ihm einige Stunden der Ruhe vor der Auferstehung zu gewähren. Da das Oratorium mit 198 Versen relativ kurz ist und in Italien des frühen 18. Jahrhunderts normalerweise nicht der einzige Programmpunkt eines Abends war, hat man auch in Herne je zwei weitere Stücke vor und nach der Pause eingefügt.

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Das Ensemble Arsenale Sonoro mit Boris Begelmann (Mitte)

So beginnt der Abend mit einer Sinfonia d-Moll von Arcangelo Corelli, die dieser zum Oratorium Santa Beatrice d'Este von Giovanni Lorenzo Lulier für eine Aufführung in Modena 1689 komponiert hat. Zwar hat auch Pertis Oratorium eine Einleitung, die allerdings in ihrem fröhlich klingenden Duktus und den schnellen Läufen nicht direkt auf die Stimmung hindeutet, die bei der Grablegung vorherrscht und damit eher theatralisch und opernhaft wirkt. Anders ist es bei Corelli. Der getragene Tonfall beschreibt genau die Atmosphäre nach der Kreuzigung. Man kann im Spiel des Ensembles Arsenale Sonoro unter der musikalischen Leitung von Boris Begelmann, der das Ensemble auch an der Violine begleitet, die Trauer und das Entsetzen regelrecht spüren. Im Anschluss daran geht es ebenfalls noch nicht direkt mit Pertis Oratorium los. Aus dem überarbeiteten Oratorium Predieris ist die Schlussarie im Original erhalten, die Perti in ein Madrigal umwandelte. So rahmen das Ende von Predieris Fassung von 1704 und Pertis Bearbeitung von 1720 den Abend gewissermaßen ein. Chiara Brunello präsentiert die Aufforderung an die Menschen, dem Erlöser einen kurzen Moment der Ruhe im Grab zu gönnen, mit sattem Alt und intensivem Ausdruck.

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Das Ensemble Arsenale Sonoro mit (von links): Leonardo Cortellazzi (San Giovanni Evangelista), Francesca Aspromonte (Maria), Boris Begelmann, Chiara Brunello (Maddalena) und Fulvio Bettini (Giuseppe ab Arimathaea)

Danach startet das eigentliche Oratorium, das in zwei Teile gegliedert ist. Zwischen diesen beiden Teilen gab es im 18. Jahrhundert die Predigt. Darauf wird natürlich in Herne verzichtet und stattdessen eine Pause eingefügt. Francesca Aspromonte zeichnet die Jungfrau Maria mit strahlend leuchtendem Sopran, der in den Höhen brilliert. Schon in ihrer ersten Arie lässt sie den Schmerz der Mutter Gottes über den Tod ihres Sohnes spürbar werden. Chiara Brunello begeistert als Maria Magdalena mit dunkel gefärbtem Alt. Besonders eindrucksvoll gestaltet sie den Schluss des ersten Teils, wenn sie relativ abrupt mit der Frage endet, wer so viel Grausamkeit ertragen kann, ohne dabei zu weinen. Das Beben der Erde und Verblassen der Sonne wird dabei auch im präzisen Spiel des Ensembles Arsenale Sonoro deutlich, das den ersten Teil des Oratoriums ohne Verzierungen enden lässt. Leonardo Cortellazzi gestaltet den Evangelisten Johannes mit hellem Tenor, und Fulvio Bettini rundet als Joseph von Arimathäa das vierköpfige Ensemble mit profundem Bass ab.

Weil der Teil nach der Pause relativ kurz ist, hat man zwei weitere Instrumentalstücke eingefügt, deren Bezug zum Oratorium sich jedoch nicht erschließt. Tomaso Antonio Vitali verbindet mit Perti nur, dass er im selben Jahr wie Perti in Bologna geboren wurde. Da er 1703 in seine Geburtsstadt zurückkehrte, ist naheliegend, dass die beiden sich gekannt haben, zumal er sich mit der präsentierten Sinfonia A 4 um die Mitgliedschaft in der namhaften Accademia dei Filarmonici von Bologna bewarb, die Perti viele Jahre leitete. Giuseppe Torelli zeichnet in seinem Weihnachtskonzert Concerto Nr. 6 ein Bild der Krippe, in die Jesus als frierendes Neugeborenes gelegt wird. Ob damit aber, wie das Programmheft vorschlägt, die Grablegung schon vorweggenommen wird, was einen Bezug zum Oratorium darstellen soll, ist fraglich. So stellen die beiden Instrumentalwerke eigentlich einen Bruch im Ablauf des Oratoriums dar. Aber die vier Solistinnen und Solisten und das Ensemble Arsenale Sonoro lassen mit ihrer intensiven Interpretation schnell wieder den Weg zurück finden. Besonders im Gedächtnis bleiben die letzten beiden Arien Maria Magdalenas. Brunello lässt in "Marmi algenti" mit dunkler Stimme die Kälte des Marmors spürbar werden und tritt in "Mio core, costanza!" in einen bewegenden Dialog mit dem Cello. Interessant gestaltet ist dann auch das Madrigal am Ende, das sich deutlich von Predieris Fassung im ersten Teil des Abends unterscheidet.

Erste Zugabe: von links: Leonardo Cortellazzi, Francesca Aspromonte, Chiara Brunello, Fulvio Bettini und Boris Begelmann

Im Anschluss gibt es an diesem Abend sogar noch zwei Zugaben, eine sicherlich geplant und eine vielleicht eher unfreiwillig, die beide von Aspromonte äußerst charmant eingeleitet werden. Zunächst gibt es einen kurzen Auszug aus einer Messe Pertis, die laut Aspromonte auch im Zusammenhang mit einem Oratorium in der Karwoche präsentiert wurde. Danach verrät sie, dass der Tenor Leonardo Cortellazzi bei der Arie "Nel occaso de' tormenti" im ersten Teil versehentlich ein Da capo ausgelassen habe. Da man jedoch eine Aufnahme des Oratoriums plant, soll natürlich auch diese Arie komplett enthalten sein. Deshalb trägt Cortellazzi sie mit dem Ensemble Arsenale Sonoro noch einmal vor. Das Publikum bedankt sich mit großem Applaus.

FAZIT

Der Abend macht wieder einmal deutlich, wie viel in der Alten Musik heute noch zu entdecken ist.

 Weitere Rezensionen zu den Tagen Alter Musik in Herne 2024

Ausführende

Musikalische Leitung und Violine
Boris Begelmann

Arsenale Sonoro

 

Solistinnen und Solisten

Maria
Francesca Aspromonte

Maddalena
Chiara Brunello

San Giovanni Evangelista
Leonardo Cortellazzi

Giuseppe ab Arimathaea
Fulvio Bettini

 

Weitere Werke

Arcangelo Corelli
Sinfonia d-Moll
zum Oratorium Santa Beatrice d'Este
von Giovanni Lorenzo Lulier
(Modena 1689)
Grave - Allegro - Adagio - Largo assai - Vivace

Giacomo Cesare Predieri
"Mortali, e che volete?"
Arie aus dem Oratorium La sepoltura di Cristo
(Bologna 1704)

Giuseppe Torelli
Concerto Nr. 6 g-Moll
aus Concerti grossi con una pastorale per il Santissimo Natale, op. 8
(Bologna 1709)
Grave / Vivace - Largo - Vivace

Tomaso Antonio Vitali
Sinfonia A 4
(Bologna 1703)
Grave / Andante - Allegro - Grave - Allegro assai

 

Weitere
Informationen

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