Veranstaltungen & Kritiken Musikfestspiele |
|
48. Tage Alter Musik in Herne14.11.2024 - 17.11.2024 Passgenau Musik von Georg Friedrich Händel und Johann Sebastian Bach In italienischer und deutscher Sprache Aufführungsdauer: ca. 1 h 55' (eine Pause) Aufführung im Kulturzentrum in Herne am 15. November 2024 |
|
Bearbeitungen von Bach Von Thomas Molke / Fotos: © Thomas Kost / WDR Was wäre gewesen, wenn es die GEMA mit ihrer Struktur bereits im 18. Jahrhundert gegeben hätte? Vieles wäre vielleicht gar nicht zur Aufführung gelangt oder in der Produktion noch kostspieliger geworden. Bei einem sogenannten "Pasticcio" wurden beispielsweise Kompositionen unterschiedlicher Komponisten zu einem neuen Werk zusammengesetzt, ohne dass dabei immer die Genehmigung des betroffenen Urhebers eingeholt oder eine Vergütung für die Nutzung gezahlt worden ist. Auch das Reisen diverser Opernstars der damaligen Zeit mit "Kofferarien", die sie nach Belieben in andere Werke einfügten, wäre sicherlich problematischer geworden. Von den drei Werken, die bei den Tagen Alter Musik in Herne am Freitag im Kulturzentrum präsentiert wurden, hätte Johann Sebastian Bach damals nur für eines keine Tantiemen bezahlen müssen, da es aus seiner eigenen Feder stammt. Den Anfang macht die Kantate Armida abbandonata für Sopran, 2 Violinen und Basso continuo von Georg Friedrich Händel, die Bach in einer leichten Bearbeitung in den 1730er Jahren im Zimmermann'schen Kaffeehaus in Leipzig zur Aufführung brachte. Dort war er mit seinem Collegium musicum wöchentlich aufgetreten, um die Gäste bei Kaffee und Kuchen mit abwechslungsreichen Programmen aus Instrumentalmusik und Kammermusik zu unterhalten. Wie er an die Noten zu Händels Kantate gekommen ist, so dass er 1731 während seiner Zeit als Leipziger Thomaskantor eine Kopie davon anfertigen konnte, ist unbekannt. Händel hatte die Kantate 1707 auf seiner großen Italienreise für den römischen Musikmäzen Francesco Maria Ruspoli kreiert und der damals 21-jährigen gefeierten Primadonna Margherita Durastanti gewissermaßen in die Kehle komponiert. Die Uraufführung fand auf Ruspolis Landsitz in Vignanello nördlich von Rom vor der zauberhaften Kulisse eines Barockgartens statt. Erzählt wird eine Szene aus Torquato Tassos Epos Gerusalemme liberata. Dort trifft der Kreuzritter Rinaldo auf die Zauberin Armida, die ihn zunächst auf ihre magische Insel lockt und ihn beim Liebesspiel seine eigentliche Bestimmung vergessen lässt. Doch schließlich befreien die Gefährten Rinaldo aus seinem Liebeswahn, und der Kreuzritter lässt Armida allein auf der Insel zurück. Deborah Cachet mit dem B'Rock Orchestra bei Händels Kantate Armida abbandonata Die Kantate setzt an der Stelle an, an der Armida realisiert, dass sie von Rinaldo verlassen worden ist. In drei Arien und mehreren Rezitativen wird beschrieben, wie sie auf der Suche nach dem Geliebten durch ihren Zaubergarten irrt. Im ersten Rezitativ schlüpft die Sopranistin Deborah Cachet noch nicht in die Rolle der Armida sondern fungiert als Erzählerin, die die Ausgangsituation der Kantate beschreibt. Erst mit der ersten Arie verwandelt sie sich quasi in die Zauberin, die nun zahlreiche emotionale Zustände von Verzweiflung über Wut bis hin zu tiefer Trauer durchläuft. Wenn Armida in der ersten Arie die Grausamkeit des Geliebten beklagt, fühlt man sich in der Melodieführung ein wenig an die berühmte Arie "Lascia ch'io pianga" erinnert, die Händel später für Armidas Gegenspielerin Elmirena in seiner ersten Oper Rinaldo verwendete. Cachet macht mit weichem Sopran die Leiden der Zauberin in der Kantate sehr deutlich. Doch dann steigert sie sich mit schnellen Läufen und sauber angesetzten Spitzentönen in eine große Wut auf den Geliebten, den sie am liebsten in den Wogen des Meeres Schiffbruch erleiden lassen möchte. Von der Wut lässt sie allerdings wieder ab, weil sie doch noch Gefühle für den treulosen Geliebten hegt, und so verfällt sie zum Ende hin in eine tiefe Trauer. Das alles wird von Cachet eindrucksvoll präsentiert, und auch das B'Rock Orchestra unter der Leitung der Violinistin Cecilia Bernardini setzt die in Händels Musik liegenden Emotionen mit intensivem Spiel um. Einzig der Anfang der Kantate verwundert ein wenig, da man relativ abrupt in die Geschichte hineingeworfen wird. Es gibt kein großes Vorspiel, sondern beginnt direkt mit dem ersten Rezitativ. Aber so überraschend mag es auch für Armida gewesen sein, dass der Geliebte sie plötzlich verlassen hat. Das B'Rock Orchestra bei Bachs Concerto D-Dur Nach der gut 25-minütigen Kantate folgt ein Instrumentalstück, das als Vorgängerversion des Brandenburgischen Konzertes Nr. 5 D-Dur gilt. Entstanden ist das Concerto D-Dur für Cembalo, Traversflöte, Violine solo, Violine ripieno, Viola und Basso continuo wahrscheinlich 1718 in Karlsbad im Zusammenhang mit einem Kuraufenthalt, zu dem Bach seinen Köthener Dienstherrn Fürst Leopold begleitete. Der größte Unterschied zum späteren Brandenburgischen Konzert Nr. 5 dürfte in einer Cembalo-Kadenz im ersten Allegro-Satz liegen, die Bach später von 19 auf 65 Takte ausweitete. Aber auch in der kürzeren Fassung besticht diese Kadenz im Spiel des Cembalisten durch eine schnelle Chromatik und extrem unkonventionelle Wendungen. Lediglich die Traversflöte geht im ambitionierten Spiel des B'Rock Orchestra unter der Leitung von Cecilia Bernardini in der Lautstärke ein wenig unter, was aber vielleicht davon abhängen mag, wo man im Saal sitzt. Ansonsten begeistert auch hierbei das B'Rock Orchestra in geringfügig anderer Besetzung als bei der vorausgegangenen Kantate durch frischen, lebhaften Klang. Deborah Cachet (Mitte) und Marianne Beate Kielland (rechts) mit dem B'Rock Orchestra bei Bachs Psalmkantate Nach der Pause folgt dann die Psalmkantate Tilge, Höchster, meine Sünden, die eine Umarbeitung von Giovanni Battista Pergolesis Stabat mater aus dem Jahr 1736 darstellt und sich von Neapel aus schnell über ganz Europa verbreitet hatte, obwohl oder gerade weil (?) sie einen opernhaften Stil auswies. Während Pergolesis Text die Klage Marias über das Leiden und den Tod ihres Sohns am Kreuz beschreibt, greift Bach in seiner Übersetzung auf eine anonym überlieferte Paraphrase über Psalm 51 zurück, in dem der Sprecher Gott um die Vergebung der Sünden bittet und Reue für begangenes Fehlverhalten zeigt. In insgesamt dreizehn Strophen wird dieses Sündenbekenntnis textlich etwas redundant ausgemalt, wobei Bachs bzw. Pergolesis großartig expressive Musik für die ansonsten vorhandenen Längen entschädigt. Cachet übernimmt den Sopranpart und tritt bei dieser Kantate in einen bewegenden Wechselgesang mit Marianna Beate Kielland, deren dunkel gefärbter Mezzosopran wunderbar mit Cachets strahlenden Sopranhöhen harmoniert. So finden die beiden stimmlich zu einer wunderbaren Einheit, die die Tiefe der Gefühle und die Reue über begangene Missetaten hervorhebt. Bei so zarter Bitte wird man ihnen die Vergebung kaum abschlagen können. Auch das B'Rock Orchestra taucht unter der Leitung von Bernardini emotional in die Musik ein, so dass es für alle Beteiligten am Ende zu Recht großen Beifall gibt. FAZIT Die drei Bearbeitungen von Johann Sebastian Bach bieten ein breites Spektrum von weltlicher hin zu kirchlicher Kantate mit Zwischenstopp bei einem lebhaften Instrumentalwerk. |
AusführendeMusikalische Leitung und Violine B'Rock Orchestra Deborah Cachet, Sopran Marianne Beate Kielland, Mezzosopran
WerkeGeorg Friedrich Händel Johann Sebastian Bach Tilge, Höchster, meine Sünden
Weitere |
- Fine -