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Händel-Juwel mit einem exzellenten jungen EnsembleVon Charles Jernigan (Übersetzung von Thomas Molke) / Fotos: © Birgit Gufler / Innsbrucker Festwochen
Arianna in Creta ist Händels 32. von insgesamt 49 Opern. Die
Uraufführung fand am 26. Januar 1734 während der produktivsten Periode
seiner Opernkarriere statt. Vorangegangen war Orlando im Januar 1733, und
1735 sollten Ariodante und Alcina folgen. Arianna kam allerdings
zu einer schwierigen Zeit für Händel als Komponist und Impresario in
London heraus. Die Royal Academy of Music, die viele Jahre lang Händels
Opern auf dem Spielplan hatte, ging nach Orlando
wegen finanzieller Probleme bankrott, und viele seiner großen Stars, die das Aushängeschild
der Company gewesen waren, wie zum Beispiel der Kastrat Senesino, verließen
Händel, um beim Konkurrenzunternehmen, der Opera of the Nobility, ihre
Karriere fortzusetzen. So musste Händel auf die Suche nach neuen Sängerinnen
und Sängern gehen. Im Januar 1733 brachte die Opera of the Nobility
Arianna in Nasso von Nicola Porpora heraus, mit Senesino und Farinelli,
einem weiteren der größten Kastraten der damaligen Zeit. Vielleicht
betrachtete Händel es als eine Herausforderung, eine andere Episode aus dem Mythos um Ariadne auf den Spielplan zu stellen. Zu diesem Zweck wurde ein
bereits bestehendes Libretto von Pietro Pariati überarbeitet, das bereits
mehrere Male vertont worden war, unter anderem auch von Porpora. Anna Maria
Strada und Margherita Durastanti, die Händel nach dem Zusammenbruch der
Royal Academy of Music die Treue gehalten hatten, übernahmen die Titelpartie
und die Partie des Tauride. Teseo wurde von dem Kastraten Giovanni Carestini
interpretiert, den Händel in Italien entdeckt hatte. Komplettiert wurde das
Ensemble von Maria Caterina Negri als Carilda, dem Kastraten Carlo Scalzi
als Alceste und dem Bass Gustavus Waltz als Minos. Der neuen Oper war ein so
großer Erfolg am King's Theatre am Haymarket beschieden, dass sie im
folgenden November in Covent Garden mit einigen Änderungen und neuen Tänzen
wieder aufgenommen wurde.
Teseo (Andrea Gavagnin) liebt Arianna ( Neima Fischer)
Die Handlung basiert auf dem Mythos um Arianna (Ariadne), die ihrem Geliebten
Teseo (Theseus) hilft, mit dem berühmten Faden seinen Weg durch das Labyrinth zu
finden, das Minos, der König von Kreta, errichten ließ, und den Minotaurus zu
töten, ein Ungeheuer, das darin haust. Bevor die Oper beginnt, gab es Krieg
zwischen den Bewohnern von Kreta und Athen, und Minos' Tochter Arianna wurde als
Baby geraubt und von königlichen Verbündeten der Athener aufgezogen. Weder Minos
noch Arianna kennen ihr Familienverhältnis, obwohl Teseo davon weiß. Die Athener
werden besiegt, und Arianna kommt als Geisel nach Kreta. Als
Friedensbedingung fordert Minos, dass alle sieben Jahre sieben junge Athener und
sieben Jungfrauen aus Athen nach Kreta geschickt werden, um dem Minotaurus
geopfert zu werden. Das Opfer wird so lange fortgesetzt, bis ein athenischer Held
den Minotaurus tötet und den General Tauride besiegt, der heimlich einen
magischen Gürtel trägt, der ihm übermenschliche Kräfte verleiht. Zu Beginn der
Oper kommt Teseo mit den auserkorenen Opfern nach Kreta, um Arianna in die
Heimat zu begleiten. Unter den Opfern für den Minotaurus ist die schöne Carilda,
eine Freundin Ariannas.
Tauride (Mathilde Ortscheidt) liebt Carilda
(Ester Ferraro).
General Tauride verliebt sich in Carilda, ebenso Alceste, ein junger Athener,
der ihr nach Kreta gefolgt ist, um sie zu retten. Doch Carilda liebt Teseo, der
wiederum nur Augen für Arianna hat. So weist das Libretto die für die Barockoper
typischen Verwicklungen mit Eifersucht und unerwiderter Liebe aus. und ergänzt
so die eigentliche mythologische Geschichte. Nach einigen Verwirrungen ist Arianna überzeugt,
dass Teseo sie für Carilda verschmäht, weil er den Minotaurus töten will, um Carilda vor dem Monster
zu retten. Tauride verfolgt einen anderen Plan und
versucht, Carilda zu überreden, mit ihm zu fliehen, wenn sie das Labyrinth
betreten soll. Doch sie weist ihn zurück. Stattdessen flieht sie mit Alceste nach
einer der schönsten Arien der ganzen Oper. Rasend vor Wut verkündet Minos, dass
nun Arianna als Ersatz geopfert werden soll, aber Teseo kann das Monster töten
und Arianna retten. Arianna hilft ihm nicht nur, seinen Weg mit einem
Faden aus dem Labyrinth zu finden, sondern verrät ihm auch das Geheimnis von
Taurides heimlicher Macht durch den magischen Gürtel. Teseo reißt ihm den Gürtel
ab und kann ihn so leicht besiegen. Minos wird besänftigt und gewährt ihm
Ariannas Hand, falls ihr Vater seine Zustimmung gibt. Umso überraschter ist er,
als sich herausstellt, dass er selbst Ariannas Vater ist. Nach einem kurzen
Schockmoment kommt es zu einer Doppelhochzeit, da Carilda nun auch Alceste ihr
Ja-Wort gibt.
Obwohl die Oper eine absolute Rarität ist, gab es einige moderne Aufführungen,
zum Beispiel beim Händel-Festival in London 2014 und in Halle 2018. In Innsbruck
findet die Produktion in dem relativ neu erbauten Haus der Musik in den
Kammerspielen statt, einem Bau mit einer wunderbaren Akustik, die für einen
klaren und frischen Klang des Orchesters und des Ensembles sorgt.
Alceste (Josipa Bilić, links) will Teseo
helfen (Andrea Gavagnin, rechts).
Die Oper enthält äußerst spektakuläre und wunderschöne Musik Händels. Ohne
Zweifel wollte er mit dem Werk die Fähigkeiten und außergewöhnliche Technik
seines neuen Kastraten-Superstars Carestini zur Schau stellen. Schon dessen erste
Arie, "Nel pugnar col mostro infido", enthält äußerst anspruchsvolle Läufe und
Verzierungen, und zwei der weiteren Arien sind ebenfalls sehr virtuos und
aufregend, wie beispielsweise die Arie "Qui ti sfido, o mostro infame!",
wenn er sich dem Kampf mit dem Minotaurus stellt. Einen anderen Tonfall schlägt
er in zwei
traumhaften Liebesduetten mit Arianna an und verkörpert hier den perfekten Liebhaber. Ein weiterer
musikalischer Höhepunkt ist seine Traumszene, ein dramatisches Accompagnato zu
Beginn des zweiten Aktes, wenn er seine Bedeutung als Held für das Volk
vorhersieht. Absolut lyrisch präsentiert er sich in der letzten Arie mit Chor,
"Bella sorge la speranza", einer sehr eingängigen fröhlichen Melodie, die zum
lieto fine passt. Der italienische Countertenor Andrea Gavagnin meistert die
Partie hervorragend. Großartig punktet er in den schwierigen Verzierungen mit
einer kraftvollen beweglichen Stimme und verfügt bereits in jungen Jahren
über eine ausgereifte Technik.
Obwohl Arianna die Titelfigur der Oper ist, ist sie in gewisser Weise eine
undankbare Partie. Ihre unbegründete Eifersucht führt zu unnötigen
Komplikationen. Im Prinzip lässt sich hier schon erahnen, wieso Teseo sie später
für ihre Schwester Phaedra verlässt und sie allein auf der Insel Naxos
zurückbleibt. Auch dieser Stoff wurde von zahlreichen Komponisten vertont. Heute
kennt man eigentlich nur noch Richard Strauss' Variante. Die deutsche
Sopranistin Neima Fischer verfügt als Arianna über eine durchsichtige, liebliche
Stimme mit großer Strahlkraft in den Höhen bei ihren zahlreichen Klagen, auch
wenn einige Improvisationen und Verzierungen nicht gerade nach Händel klingen.
Aber Fischer meistert sie mit einer betörenden Leichtigkeit.
Die schönste Musik in der Oper hat wohl Alceste. Zu erwähnen ist hier die wunderbar
lyrische Arie "Tal'or d'oscuro velo", die direkt auf Teseos Glanznummer im ersten
Akt folgt. Der absolute Höhepunkt ist das Cello Obligato "Son quel stanco
pellegrino", in dem Alceste Carilda überzeugt, mit ihm zu fliehen. Josipa Bilić
glänzt in der Partie mit frischem, weichem Sopran. Auch die übrigen Solistinnen
und Solisten lassen keine Wünsche offen. Mezzosopranistin Mathilde Ortscheidt,
die im vergangenen Jahr Gewinnerin des Cesti-Wettbewerbs in Innsbruck war, macht
durch ihre stimmliche Exzellenz den unsympathischen Tauride zu einer fast
liebenswerten Figur. Hervorzuheben ist die großartige Gleichnisarie. Ester
Ferraro und Giacomo Nanni runden das Ensemble als Carilda und König Minos auf
hohem Niveau ab. Alle Solistinnen und Solisten haben am Cesti
Wettbewerb teilgenommen, den das Festival in Innsbruck jedes Jahr für junge Sängerinnen und
Sänger durchführt. In diesem Jahr lassen alle eine große Karriere erwarten. Hier
gibt es wirklich nicht eine Schwachstelle. Alle präsentieren sich auf einem
professionell reifen Niveau.
Teseo (Andrea Gavagnin) stellt sich dem Kampf mit
dem Minotaurus.
Das
Barockorchester:Jung begeistert unter der musikalischen Leitung von Angelo
Michele Errico ebenfalls auf ganzer Linie. Die Lesart der Partitur ist absolut
spannend und zeigt große musikalische Vielfalt, die dem Orchester viel Spielraum
für Interpretationen bietet. Für die Regie zeichnet Stephen Taylor verantwortlich.
Bühnenbild und Lichtdesign sind von Christian Pinaud entworfen, die Kostüme
stammen von Nathalie Prats. Taylor siedelt die Geschichte in einem modernen
Polizeistaat an. Die Bühne öffnet sich in einen nicht genauer definierten Raum,
der Platz für die Neuankömmlinge lässt. Angrenzend daran befindet sich ein
Gefängnis für diejenigen, die in das Labyrinth geschickt werden. Die flexiblen
Wände formen quasi selbst ein Labyrinth. Das ist zwar einfach, aber sehr
effektiv. Auch der Minotaurus tritt als stumme Rolle auf. Hierbei handelt es
sich um einen Mann, der einen Stierkopf trägt.
Regisseur Taylor hält den Fokus auf den Solistinnen und Solisten, so wie es sein
sollte, während gleichzeitig subtile aber konstante Bewegungen des Bühnenbildes
dazu führen, dass die Inszenierung nicht statisch wirkt. Durch die klare
Personenregie wird die teilweise verworrene Handlung ein wenig klarer. Auch ein
wenig Humor gibt es am Ende, wenn Teseo als Matador wie ein Stierkämpfer mit
einem roten Cape auftritt. Aber dennoch nimmt Taylor die Geschichte zu jeder
Zeit ernst. Händels Oper endet mit einem fröhlichen und triumphalen Moment für
Arianna und Teseo, auch wenn diejenigen, die die griechische Mythologie kennen,
wissen, dass dieses Glück nicht von Dauer sein wird und dass tragische
Ereignisse für Arianna und Teseo, aber auch für Phaedra und Teseos Sohn
Hippolytus folgen werden. Aber für den Moment gilt "Bella sorge la speranza"
("Wunderbare Hoffnung füllt unsere Brust").
FAZIT
Die diesjährige Produktion der
Barockoper:Jung, der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Cesti Wettbewerbs, bewegt sich
in diesem Jahr auf besonders hohem Niveau und lässt Händels selten gespielte
Oper in großartigem Glanz erscheinen.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung und CembaloAngelo Michele Errico Regie Bühnenbild und Licht Kostüme
Solistinnen und Solisten
Arianna
Teseo Carilda Alceste Tauride Minos / Sonno
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- Fine -