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Labyrinth der EmotionenVon Thomas Molke / Fotos: © Birgit Gufler / Innsbrucker Festwochen Die Geschichte von Caesar und Kleopatra verbindet man im Musiktheater meistens mit Georg Friedrich Händels Oper Giulio Cesare in Egitto, die auch heute noch zum Standard-Repertoire der Opernhäuser zählt. Aber auch zahlreiche weitere Komponisten vor und nach Händel haben sich mit dem Stoff beschäftigt. Für die erste Opernproduktion bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik hat sich der neue musikalische Leiter Ottavio Dantone für einen Komponisten entschieden, der wie zahlreiche andere heute absolut in Vergessenheit geraten ist: Geminiano Giacomelli. Barockexpertinnen und -experten kennen vielleicht ein paar seiner Arien, die andere Komponisten der Zeit gerne in ihre Opern übernommen haben. Mit seinen rund 20 Opern genoss der am 28. März 1692 in der Nähe von Parma und Vicenza geborene Giacomelli, der für Größen wie Farinelli und Fausta Bordoni komponierte, auch weit über die Grenzen Italiens zu seiner Zeit einen großen Ruf. Der Musikhistoriker Charles Burney bezeichnete ihn sogar als einen der besten Opernkomponisten seiner Zeit. Giacomellis Oper Cesare in Egitto wird in späteren biographischen Artikeln stets als eines seiner Meisterwerke bezeichnet. Dabei beschäftigte sich Giacomelli sogar zweimal mit dem Stoff. Die erste Vertonung kam im Januar 1735 am Teatro Ducale in Mailand heraus. Noch im gleichen Jahr überarbeitete er das Werk komplett und brachte eine völlig neue Fassung mit neuem Ende und anderer Verteilung der Stimmen am 24.11.1735 am Teatro San Giovanni Grisostomo in Venedig heraus. Diese Fassung war es auch, die in den Folgejahren einen Siegeszug durch Europa antrat. Daher hat sich Dantone für Innsbruck ebenfalls für die in Venedig uraufgeführte Version entschieden. Cesare (Arianna Venditelli) ist von Cleopatra (Emőke Baráth) fasziniert. Im Vergleich zu Händels 10 Jahre zuvor für London vertonten Fassung weist Giacomellis Oper inhaltlich und in der Zuordnung der Stimmen einige Änderungen auf. Während beispielsweise Cornelias Sohn Sesto bei Händel eine nicht unwesentliche Rolle mit großen Arien und einem der schönsten Duette der Operngeschichte zuteil wird, bleibt er bei Giacomelli als Kind eine stumme Rolle und tritt nur als Statist auf. Dafür wird der römische Senator Lepido aufgewertet, der in etwa mit Händels Curio verglichen werden kann. Beide lieben Cornelia, doch Lepido bei Giacomelli ist wesentlich aktiver als Curio bei Händel. Er verspricht ihr, für ihre Liebe sowohl Cesare als auch Tolomeo zu töten. Außerdem ist die Partie mit einer hohen Stimme besetzt, während Händel Curio als Bass oder Bariton angelegt hat. Auf ein großes Duett zwischen Cornelia und Lepido verzichtet Giacomelli allerdings, da Cornelia Lepidos Gefühle nicht erwidert. Achilla, dem bei Händel von Tolomeo die Hand Cornelias versprochen wird, liebt bei Giacomelli Cleopatra und will die Königin heiraten, verbündet sich aber schließlich mit Lepido gegen Tolomeo, weil der ägyptische König sein Versprechen bricht und Cleopatra lieber töten will. Des Weiteren ist auch seine Partie mit einer hohen Stimme besetzt. Die tiefste Stimme hat Tolomeo als Tenor. In Mailand soll auch Lepido unter dem Namen Lentulo noch mit diesem Stimmfach vertont worden sein. Im Gegensatz zu Händels Oper und Giacomellis Mailänder Fassung stirbt Tolomeo am Ende der Oper nicht, sondern erfährt Cesares Gnade. Cesare rettet ihn sogar vor Achilla und Lepido, die bei Tolomeos Vermählung mit Cornelia ein Attentat auf den ägyptischen König planen. So tritt Tolomeo bei Giacomelli am Ende demütig zurück und überlässt seiner Schwester den Thron. Nur Cornelia stimmt nicht in den allgemeinen Schlussjubel mit ein, sondern verlässt enttäuscht Ägypten. Cesare (Arianna Venditelli, Mitte rechts) will Cornelia (Margherita Maria Sala, Mitte) und Lepido (Federico Fiorio, Mitte links) begnadigen und sich mit ihnen gegen die Ägypter verbünden (rechts: Filippo Minecchia als Achilla mit der Statisterie). Wenn sich der Vorhang nach der Ouvertüre hebt, hat man beim Anblick des ersten Bildes zunächst keine klare Vorstellung, ob der Regie-Ansatz klassisch oder modern sein soll. Überdimensionale römische Ritterrüstungen erwecken den Eindruck der militärischen Überlegenheit des Römischen Reiches über seine Gegner. Die Kostüme von Giovanna Fiorentini sprechen siedeln die Geschichte aber in einer anderen Zeit an und zeigen die Römer in modernen roten Kampfanzügen mit Maschinengewehren und Kampfhelmen eines Sondereinsatzkommandos. Auch die Ägypter scheinen in ihren Kostümen der Gegenwart zu entstammen. Ein wenig unschlüssig ist man sich vielleicht bei Cleopatra, die in einem weißen Gewand auftritt. Wenn nach der ersten Szene die riesigen Römerrüstungen nach hinten gefahren werden und im Folgenden das ganze Geschehen zu überwachen scheinen, zeigt das Bühnenbild von Andrea Belli eine Art Labyrinth von hohen Steinruinen mit ägyptischen Schriftzeichen und Gemälden, das durch den Einsatz der Drehbühne ständig neue Räume entstehen lässt. In diesem Ambiente wird die Geschichte kurzweilig und librettonah erzählt, wenn man von kleineren diskutablen Regie-Einfällen absieht. So ist beispielsweise sicherlich nicht im Stück vorgesehen, dass das Kind Sesto während einer Arie Cornelias mit dem abgeschlagenen Kopf seines Vaters Pompeo im Nebenraum sitzt. Ansonsten durchlebt man aber vor allem musikalisch ein Wechselbad der Emotionen durch Giacomellis großartige Musik. Cornelia (Margherita Maria Sala) fühlt sich von Cesare verraten und will, dass Lepido (Federico Fiorio) ihn tötet. Während die Ouvertüre in ihrer Farbigkeit und im Abwechslungsreichtum durch das großartige Spiel der Accademia Bizantina unter der Leitung von Ottavio Dantone aufhorchen lässt, wird im weiteren Verlauf der Oper allerdings deutlich, wieso Giacomellis Arien zwar sehr beliebt zur Einfügung in andere Opern waren, sich die Werke im Ganzen aber aufgrund des sich weiter entwickelnden Operngeschmacks nicht auf den Bühnen halten konnten und auch heute ihre Schwierigkeit haben dürften, sich im Repertoirebetrieb zu etablieren. Jede einzelne Nummer ist wunderbar anzuhören und verlangt den Solistinnen und Solisten einiges ab. Es fehlt allerdings ein gewisser Abwechslungsreichtum und die psychologische Tiefe, die man beispielsweise in Händels Opern findet. All das gleicht Leo Muscato in der Personenregie mit einem gewissen Augenzwinkern aus, die das Publikum an einigen Stellen sicherlich schmunzeln lässt. Wenn Cornelia genervt zum wiederholten Male den sie umwerbenden Lepido zurückweist, birgt das schon eine gewisse Komik. Am Ende verzichtet Muscato allerdings darauf, Cornelia einen furiosen Abgang zu geben, sondern lässt sie in den allgemeinen und sehr unrealistischen Jubel über den wiedergewonnenen Frieden einstimmen. Hier hätte man ihr vielleicht doch ein wenig mehr Individualität gewünscht, da sie in der Oper von der Figurenzeichnung her eigentlich den rundesten Charakter aufweist. Achilla (Filippo Minecchia, 2. von rechts), Lepido (Federico Fiorio, links) und Cornelia (Margherita Maria Sala) bedrohen Cesare (Arianna Venditelli, Mitte), als dieser sich für Tolomeo (Valerio Contaldo, rechts) einsetzt. Neben dem großartigen Spiel der Accademia Bizantina unter der Leitung vom Ottavio Dantone erweisen sich auch die Solistinnen und Solisten als absolut festspielwürdig. Da ist zunächst Arianna Venditelli in der Titelpartie zu nennen. Mit beweglichem Sopran gestaltet sie den römischen Feldherrn absolut viril trotz der stimmlichen Höhe und punktet mit kraftvollen Koloraturen und flexiblen Läufen. Hervorzuheben ist vor allem die große Arie im zweiten Akt kurz nach der Pause, wenn Cesare seine triumphale Rückkehr nach Rom prophezeit. Hier begeistert Venditelli mit stupenden Spitzentönen und lässt den siegreichen Feldherrn absolut glaubwürdig erscheinen. Emőke Baráth punktet als Cleopatra mit rundem, vollem Sopran und intensivem Spiel. Ein musikalischer Höhepunkt ist ihre große Arie am Ende des ersten Aktes, wenn sie glaubt, die Herrschaft in Ägypten übernehmen zu können. Hier begeistert Baráth mit sauber angesetzten Höhen und großer Beweglichkeit in den Koloraturen. Bewegend gelingt ihr auch die große Arie im dritten Akt, wenn sie glaubt, dass Cesare in den Fluten des Meeres untergegangen und für sie damit die Hoffnung auf einen Sieg verloren ist. Baráth überzeugt hier mit bewegendem Spiel, auch wenn diese Szene musikalisch die Tiefe von Händels "Piangerò" nicht erreicht. Margherita Maria Sala stattet die Partie der Cornelia mit einem dunklen Alt aus und klingt damit fast noch tiefer als Tolomeos Tenor. Das passt inhaltlich sehr gut, da Cornelia in Giacomellis Oper eigentlich die interessanteste und stringenteste Figur ist, die ihren Prinzipien treu bleibt und in gewisser Weise in sich selbst ruht. Valerio Contaldo gestaltet die Partie des Tolomeo mit flexiblem Tenor, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Dennoch klingt es ungewöhnlich, diese Partie mit einer verhältnismäßig tiefen Stimme zu hören. Gleiches gilt für die Partie des Achilla, bei dem man eigentlich einen Bass gewohnt ist, der von Giacomelli allerdings mit einer hohen Stimme belegt ist. Filippo Minecchia verfügt mit seinem Countertenor über kraftvolle Höhen und meistert den Registerwechsel in seiner ersten Arie von Kopf- zur Bruststimme ordentlich. Dass er Cleopatra und nicht Cornelia lieben soll, wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich, macht aber das Liebesverhältnis damit ein bisschen ausgeglichener. Schließlich gibt es bei Giacomelli ja auch noch Lepido, der Pompeos Witwe begehrt. Dass diese Partie mit einem Sopranisten besetzt ist, mag wohl damit begründet sein, dass sie musikalisch in gewisser Weise Händels Sesto-Partie übernimmt. So hat Giacomelli auch für Lepido großartige Arien mit halsbrecherischen Koloraturen komponiert. Federico Fiorio verfügt über einen weichen, in den Höhen beweglichen Sopran, der vor allem in der großen Rache-Arie im zweiten Akt vor der Pause mit stupenden Läufen begeistert. So gibt es für alle Beteiligten verdienten und großen Jubel, in den sich auch das Regie-Team am Ende der Vorstellung einreiht. FAZIT
Giacomellis Vertonung reicht zwar insgesamt musikalisch nicht an Händels Fassung
heran, bietet aber eine interessante Alternative, von deren Meriten man sich
bald auf der CD-Aufnahme überzeugen kann,
die von der Produktion erstellt wird.
Weitere Rezensionen zu den
Innsbrucker Festwochen der Alten Musik 2024 |
ProduktionsteamMusikalische LeitungOttavio Dantone Regie Bühne Kostüme Licht
Statisterie Solistinnen und Solisten
Giulio Cesare
Cleopatra, Königin von Ägypten
Tolomeo, König von Ägypten Cornelia, Witwe des Pompeo Lepido,
römischer Senator Achilla, General des Tolomeo
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- Fine -