Die Mamma wird's schon richten
Von Thomas Molke
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Fotos: © Patricio Cassinoni
Wenn man für ein Festival ein Motto wählt, das einen
komödiantischen Blick hinter die "Bretter, die die Welt bedeuten," werfen lässt,
kommt man an einem Meisterwerk nicht vorbei, erst recht nicht, wenn man sich
dabei in Wexford befindet: Gaetano Donizettis Le convenienze ed inconvenienze
teatrali. Zum einen kann Donizetti in Wexford beinahe als "Hauskomponist"
bezeichnet werden. Von keinem anderen Komponisten hat es seit dem Bestehen des
Festivals mehr Opernaufführungen gegeben. Auf der großen Bühne ist diese
Produktion mittlerweile seine 18. Oper, die auf dem Programm steht. Zum anderen
handelt es sich um eine bitterböse Abrechnung mit der Welt des Musiktheaters. Zwar
ist das Werk im eigentlichen Sinne nicht unbekannt, da es seit
Ende der 1960er Jahre immer wieder zur Aufführung gelangt ist. Das im Italienischen geniale
Wortspiel des Titels hat sich allerdings in anderen Sprachen als ein wenig sperrig erwiesen.
Mit "convenienze teatrali" sind im Italienischen die
Konventionen des Musiktheaters bis zum frühen 19. Jahrhundert gemeint, bei denen
noch eine Hierarchie der Rollen vorgeschrieben war. So musste beispielsweise
genauestens darauf geachtet werden, dass keine Arie die Nummern der Primadonna
übertraf. Die "inconvenienze teatrali" spielen dann auf den Unmut an, der
dadurch im Ensemble entstand und die Arbeit erheblich erschwerte.
In
Deutschland stand die Oper viele Jahre unter dem Titel Viva la Mamma! auf
dem Programm und feiert im November an der Deutschen Oper am Rhein als Prima
la Mamma in einer neuen Inszenierung Premiere.
Donizetti hatte das Stück zunächst als einaktige Farsa
komponiert, die am 21. November 1827 im Teatro Nuovo in Neapel zur Uraufführung
kam, wo er seit 1822 als Musikdirektor Rossinis Nachfolge angetreten hatte. Dabei handelte
es sich um eine Oper mit gesprochenen Dialogen in Neapolitanischem Dialekt. Das
Werk erfreute sich nicht nur in Neapel großer Beliebtheit sondern wurde auch bis
1831 in über 50 weiteren Theatern nachgespielt. Da der Neapolitanische Dialekt
in anderen Teilen Italiens allerdings nicht gut verstanden wurde, musste der
Text für Aufführungen in anderen Städten umgeschrieben werden. Dabei wurden
weitere Arien eingefügt, und so kam es zu einer erweiterten zweiaktigen Fassung,
die am 20. April 1831 in Mailand ihre Uraufführung erlebte. Ob Donizetti daran
beteiligt war, ist nicht belegt. Im gleichen Jahr kehrte die Oper dann auch in
der zweiaktigen Fassung nach Neapel zurück, wo dann Domenico Gilardoni als
Verfasser des "neuen" Neapolitanischen Textes genannt wurde.
Die Primadonna Daria (Sharleen Joynt) lässt sich
als Diva feiern (dahinter von links: Andrea Carozzi, Ivan Striuk und Charles
Riddiford).
Erzählt wird die Geschichte einer mittelmäßigen Theatertruppe,
die in einer unbedeutenden italienischen Kleinstadt die Oper Romolo ed
Ersilia zur Aufführung bringen will. Doch die Proben stehen unter keinem
guten Stern. Der Impresario kämpft mit großen finanziellen Problemen. Die
Primadonna Daria Garbinati führt sich als arrogante Diva auf, die sich als
absoluten Star der Produktion betrachtet, was von ihrem Mann Procolo noch
unterstützt wird. Der Tenor Guglielmo Antolstoinoff hat das Gefühl, im falschen
Stück zu sein, und möchte lieber etwas ganz anderes singen. Der Sänger Pippetto
ist unzufrieden, weil seine Rolle zu klein ist, und der Komponist Biscroma
Strappaviscere und der Librettist Cesare Salzapariglia liegen im ständigen
Clinch miteinander und mit dem Ensemble, das ihre Vorstellungen nicht wie
gewünscht umsetzt. Da taucht Agata Scannagalli, die Mamma der Seconda Donna
Luigia Castragatti, auf und verursacht noch mehr Chaos, da sie eine größere
Rolle für ihre Tochter einfordert. Sie legt sich mit der Primadonna Daria an,
die nicht bereit ist, ein Duett mit der Seconda Donna zu singen, ersetzt
Pippetto, der frustriert aus der Produktion aussteigt, und treibt das ganze
Produktionsteam in den Wahnsinn. In den ganzen Streit platzt der Impresario mit
der Hiobsbotschaft, dass der Theaterdirektor das Stück abgesetzt habe. Da allen
die Schulden über den Kopf wachsen, beschließt die Truppe, sich heimlich aus dem
Staub zu machen. In einem alternativen Ende versetzt Agata ihren gesamten
Schmuck, um so doch noch eine erfolgreiche Aufführung zu
garantieren. In Wexford hat sich die Regisseurin Orpha Phelan für das Ende noch
eine andere Variante überlegt.
Mamma Agata (Paolo Bordogna, links) legt sich mit
der Primadonna Daria (Sharleen Joynt, auf dem Podest) an (links und rechts vom
Podest: Andrea Carlotta Pelai und Miriam Tomè).
Schon bei der Erweiterung auf zwei Akte hat Donizetti Musik von
anderen Komponisten eingefügt. So verwendet er beispielsweise Desdemonas Lied
von der Weide aus Rossinis Otello. Mamma Agata versucht damit, der
Theatertruppe zu beweisen, dass sie ein hervorragender Ersatz für Pippetto ist
und problemlos in das geprobte Stück einsteigen kann. Indem sie den Text
verdreht, zeigt sie aber eigentlich, dass sie für die Aufführung völlig
ungeeignet ist. Es folgt eine zur damaligen Zeit berühmte Kofferarie aus der
heute unbekannten Oper Il conte di Lenosse von Giuseppe Nicolini, die
Giuditta Pasta unter anderem in Rossinis Tancredi einfügte. Orpha Phelan
geht in ihrer Inszenierung noch weiter und verwendet auch Komponisten, die erst
nach Donizetti tätig waren. So lässt sie den deutschen Tenor Guglielmo
Antoilstonoff als Baron von Trapp aus Richard Rodgers Musical The Sound of
Music auftreten, der ständig auf der Suche nach seiner Maria und den Nonnen
ist und in einem relativ unpassenden Moment das berühmte Lied "Edelweiß"
anstimmt. Die Diva Daria darf im zweiten Akt mit Bernsteins berühmtem "Glitter
and Be Gay" aus Candide glänzen, und auch ihr Gatte erhält eine
Arie und ein Streitduett mit Agata, das bei Rossini "geborgt" ist. Da die
Theatertruppe die heute relativ unbekannte Oper Romolo ed Ersilia des
tschechischen Komponisten Josef Mysliveček einstudiert, wird auch die
Ouvertüre des Stückes als Ballettmusik zu Beginn des zweiten Aktes eingefügt.
Agata (Paolo Bordogna, links) will ihrer Tochter
Luigia (Paola Leoci, rechts) zu einer größeren Rolle verhelfen.
So kommt das Publikum mit großartiger Musik und einem absolut
spielfreudigen Ensemble in einer kurzweiligen, unterhaltsamen Inszenierung voll
auf seine Kosten. Eine Produktion steht und fällt natürlich mit der Besetzung
der Mamma Agata, und hier hat man - vielleicht mit Rosetta Cucchis Beziehungen
zu Pesaro? - einen Vollblutkomödianten nach Wexford geholt, der in dieser Partie
wohl kaum zu übertreffen ist: Paolo Bordogna. Selten erlebt man beim
begeisterten Schlussapplaus in Wexford stehende Ovationen, doch bei Bordogna
erheben sich zahlreiche Besucherinnen und Besucher mit frenetischem Jubel von
ihren Sitzen, und zu Recht. Was Bordogna in dieser Produktion leistet, ist Komik
vom Feinsten. Schon sein erster Auftritt im giftgrünen Kostüm als italienische
Mamma sprüht nur so vor überbordender Komik. Mit herrlich effeminierter Gestik
und Mimik legt er sich mit jedem in der Truppe an und verteidigt als Mamma das
Töchterchen wie eine Löwin. In der Auftrittsarie spielt Bordogna mit flexiblem
Buffo-Bariton mit scheinbar willkürlich angesetzten Noten und zeigt
hervorragend, wie er es schafft, die Melodie stets gekonnt seiner Stimme
anzupassen. Mit Sharleen Joynt als Daria liefert er sich ein grandioses
Zickenduell und ist sofort bereit, in die vakante Rolle des Romolo
einzuspringen. Dazu schlüpft er in ein herrlich kitschiges römisches Gewand mit
viel zu kurzem Rock. Aber auch dem ist die Mamma gewachsen und weiß resolut ihre
Blöße zu verdecken. Großartige Komik entfaltet Bordogna auch beim Vortrag des
Weiden-Liedes, bei dem ihm immer wieder der Notenständer mit dem Text
weggenommen wird, weshalb er den Text völlig durcheinanderbringt. Dabei weist er
die Bühnenarbeiter an, das antike Podest, auf dem er steht, nach vorne zu
schieben. Doch da es zwei Podeste gibt, steht er jedes Mal auf dem falschen
Podest, was zu einem herrlichen Slapstick-Moment führt, wenn er schließlich auf
beiden Teilen steht und die Bühnenarbeiter nur ein Podest verschieben.
Mamma Agata (Paolo Bordogna, Mitte) als
Primaballerina (von links: Miryam Tomè, Andrea Carozzi, Charles Riddiford und
Andrea Carlotta Pelai)
Auch als Balletttänzer macht Bordogna eine hervorragende Figur.
So choreographiert er nicht nur eine herrlich kitschige Tanzeinlage der sechs
Tänzerinnen und Tänzer nach der Pause, sondern lässt sich von einem Tänzer auch
noch auf die Fußspitzen heben und dreht scheinbar federleichte Pirouetten. Hier
zeigt Bordogna bei aller Komik eine enorme Eleganz. Großartig gestaltet er auch
die Auseinandersetzung mit Giuseppe Toia als Darias Ehemann Procolo. Dabei
liefern sich Toia und Bordogna stimmlich einen hervorragenden Schlagabtausch.
Paola Leoci legt Agatas Töchterchen Luigia herrlich unbeholfen an und punktet
gerade dadurch mit großartiger Komik, weil sie der Schlagfertigkeit ihrer Mutter
nicht gewachsen ist. Großartig ist die Szene im zweiten Akt, in der Agata ihre
Tochter anweist, den Impresario zu bezirzen, damit er ihr eine größere Rolle
gibt. Bordogna singt versteckt hinter der Kulisse, während Leoci zur baritonalen
Stimme die Lippen bewegt und versucht, Philip Kalmanovitch als Impresario zu
verführen. Doch auch hier muss die Mamma schließlich eingreifen, um der Tochter
zum Erfolg verhelfen.
Procolo (Giuseppe Toia, rechts) und Mamma Agata
(Paolo Bordogna, Mitte) als Romolo und Ersilia
Dass der Abend nicht zu einer One-(Wo)-Man-Show wird, ist der Spielfreude des
übrigen Ensembles zu verdanken. Hier ist in erster Linie Sharleen Joynt
als Primadonna Daria zu nennen, die sich in Mimik und Gestik als Diva nicht die
Butter vom Brot nehmen lässt. In ihrer Auftrittsarie punktet sie mit glasklaren,
sauber angesetzten Koloraturen, die sie wunderbar ironisch übertreibt, und auch
in der eingefügten Arie von Bernstein begeistert sie mit strahlenden
Spitzentönen und macht mit den drei Tänzern eine absolut gute Figur. Wieso
Phelan den Theaterdirektor derart effeminiert darstellt, bleibt ein Rätsel, wird
aber von Henry Grant Kerswell überzeugend umgesetzt. Alberto Robert punktet als
deutscher Tenor Guglielmo, dessen Herz für Rodgers The Sound of Music
schlägt. Giuseppe Toia verleiht Darias Gatten Procolo fast mafiöse Züge,
und Matteo Loi, William Kyle und Philip Kalmanovitch punkten als völlig
überforderter Komponist, Librettist und Impresario. Danila Grassi arbeitet mit
dem Orchester des Wexford Festival Opera die scheinbare Leichtigkeit von
Donizetti und den übrigen anklingenden Komponisten sehr detailliert heraus, so
dass es am Ende großen und verdienten Jubel für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Diese Produktion darf als absoluter Höhepunkt des diesjährigen Festivals
bezeichnet werden.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Danila GrassiInszenierung
Orpha Phelan Bühne und Kostüme
Madeleine Boyd Choreographie
Amy Share-Kissiov Licht
Daniele Naldi Chorleitung
Andrew Synnott Orchester des Wexford Festival Opera Chor
des Wexford Festival Opera Solistinnen und Solisten
Daria Garbinati
Sharleen Joynt
Procolo
Giuseppe Toia
Biscroma Strappaviscere
Matteo Loi
Agata Scannagalli
Paolo Bordogna
Luigia Castragatti
Paola Leoci Guglielmo
Antolstoinoff
Alberto Robert Pippetto
Hannah Bennett Cesare Salzapariglia
William Kyle Impresario
Philip Kalmanovitch Direttore del Teatro
Henry Grant Kerswell Dancers
Luisa Baldinetti
Andrea Carozzi
Andrea Carlotta Pelai
Ivan Striuk
Miryam Tomè
Charles Riddiford
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