Probenwahnsinn mit heftigem Augenzwinkern
Von Thomas Molke /
Fotos: © Patricio Cassinoni
Charles Villiers Stanford gilt zwar als bedeutender irischer
Komponist der Spätromantik, der als Musiklehrer die folgende Generation mit
seinem Stil stark beeinflusst hat, ist allerdings vor allem durch seine
Choralmusik im Bewusstsein geblieben. Obwohl er sich zeit seines Lebens auch
immer wieder der Oper gewidmet hat, spielen diese Werke in der Rezeption des
Musiktheaters heute kaum noch eine Rolle. Natürlich ist er bei einem Festival
wie in Wexford, das sich vergessenen Werken widmet, kein Unbekannter. So wurde
hier bereits 1964 seine Shakespeare-Vertonung Much Ado About Nothing
gespielt, und 2019 gab es eine konzertante Aufführung seines Opernerstlings
The Veiled Prophet. Da sich sein Todestag in diesem Jahr zum 100. Mal jährt
und er mit seiner vorletzten Oper The Critic ein Werk geschaffen hat,
das wunderbar zum diesjährigen Motto "Theatre within Theatre" passt, darf
dieses Stück, das 1916 im Shaftesbury Theatre in London
eine begeisterte Uraufführung erlebte, auf dem Spielplan nicht fehlen.
Stanford bearbeitet in The Critic ein Stück, das der
irische Schriftsteller Richard Brinsley Sheridan 1779 unter dem Titel The
Critic or A Tragedy Rehearsed herausgebracht hat und das von der chaotischen
Generalprobe einer Tragödie unter dem Titel The Spanish Armada handelt,
dem der äußerst scharfzüngige Kritiker mit dem sprechenden Namen Sneer und sein
Möchtegernkollege Dangle uneingeladen beiwohnen. Die Parodie auf patriotische
Stücke, mit denen man in Erinnerung an die Zerstörung der spanischen Flotte
unter Queen Elizabeth I. den Briten die Angst vor neuen spanischen Angriffen nehmen wollte, wurde ein großer Erfolg. Stanford machte
nun aus der Generalprobe der Tragödie die Generalprobe einer Oper, wandelte die
Rolle des Dangle in die des Komponisten um und baute so neben dem Konflikt
zwischen Darstellerinnen und Darstellern und dem Verfasser des Stückes Puff
einen weiteren Konflikt zwischen Text und Musik ein. Sheridans Text ließ er sich
dafür von dem Sänger und Schauspieler Lewis Cairns James bearbeiten, so dass
einerseits Sheridans satirischer Tonfall erhalten blieb, andererseits die recht
ausschweifende Geschichte verkürzt wurde.
Puff (Mark Lambert, Mitte rechts) erklärt dem
Kritiker Sneer (Arthur Riordan, Mitte links) und dem Komponisten Dangle
(Jonathan White, Mitte) das Konzept seines Stückes (links und rechts: Andrew
Henley und Henry Grant Kerswell als Soldaten).
In einem Vorwort zur gedruckten Partitur der Oper weist
Sheridan darauf hin, dass das Stück nur so gespielt werden solle, wie es das
Original vorsehe, da jeder Versuch einer Modernisierung oder satirischen
Bearbeitung den Humor darin zerstöre. Diese Anweisung hat das Regie-Team
um Conor Hanratty ernst genommen und tut sehr gut daran, weil gerade so der
Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten werden kann, ohne dabei zu verletzend zu
sein. So schwelgen die Kostüme von Massimo Carlotto in herrlicher Opulenz und
lassen eine längst vergangene Zeit zurückkehren, die mit langen Männerperücken
eine wunderbare Distanz zur Geschichte aufbauen. Die Bühne von John Comiskey
schafft eine passende Probenatmosphäre. So sieht man das Bühnenbild zunächst
von hinten aus der Sicht der Bühne, während im Hintergrund Logen
aufgebaut sind und ein Regie-Tisch, von wo aus Sneer mit Dangle und Puff die
Probe beobachten, kommentieren oder unterbrechen. Nach der Pause ist das Bühnenbild
gedreht und zeigt einen herrlich kitschigen Blick auf die Festung von Tilbury,
wo Königin Elizabeth I. ihre Truppen auf den Sieg gegen die spanische Armada
einschwor.
Dangle (Jonathan White, rechts) und Sneer (Arthur
Riordan, 2. von rechts) hinterfragen, wieso Puff (Mark Lambert, 2. von links)
Lord Burleigh (Tony Brennan, links) als stumme Rolle angelegt hat.
Um die Probenatmosphäre der Oper aufrechtzuerhalten, sind Puff,
Dangle und Sneer reine Sprechrollen, die mit den Sängerinnen und Sängern und dem
Dirigenten und dem Orchester in Interaktion treten. Hinzu kommt noch eine Person
namens Hopkins, die als "Mädchen für alles" fungiert und am Ende dann noch einen
großartigen Auftritt als Königin Elizabeth I. in mondänem Kostüm hat, auch wenn
Puff dem Kritiker gegenüber zunächst immer wieder verneint, dass er Elizabeth I.
in seiner Oper höchstpersönlich in Erscheinung treten lasse. Stattdessen gibt es eine
herrliche Instrumentalszene mit ihrem wichtigsten Berater William Cecil Lord Burleigh, der jedoch nur als stumme Figur auftritt. Sneer wartet ungeduldig
darauf, dass der erhaben auftretende Lord (Tony Brennan) endlich das Wort an das
Publikum richtet, erhält aber von Puff die sehr amüsante Erklärung, dass allein
mit seinen Blicken und der tragenden Musik Dangles alles in dieser Szene gesagt
sei. So wartet das Stück mit zahlreichen Spitzen gegen das Regietheater auf, die
wahrscheinlich vor allem von Theaterschaffenden gewürdigt und nachempfunden
werden können.
Die Liebesszene zwischen Tilburina (Ava Dodd) und
Don Ferolo (Dane Suarez, vorne) gefällt Puff (Mark Lambert, hinten rechts),
Dangle (Jonathan White, hinten 2. von rechts) und Sneer (Arthur Riordan, hinten
Mitte) noch nicht (auf der linken Seite hinten: Hannah O'Brien als Confidant).
Großartig ist auch der Clou zu Beginn des zweiten Aktes. Hier
baut Puff plötzlich eine Geschichte als "Unterhandlung" ein, die mit der
eigentlichen Oper in gar keinem Zusammenhang steht, was auch bei
modernem Regietheater vorkommen kann. So führt er einen Richter ein, der
mit seiner Frau vor Gericht unerwartet mit seinem verlorenen Sohn konfrontiert
wird. Es kommt zu einer rührenden Szene, bei der alle in Ohnmacht fallen und
anschließend ein fröhliches Wiedersehen feiern. Ansonsten sieht man mit viel
Humor und Komik in wenigen Szenen die eigentliche Handlung der einstudierten
Oper. Tilburina, die Tochter des Governors der Festung Tilbury hat sich in den
gefangenen Spanier Don Ferolo Wiskerandos verliebt, der auch die Herzen der
beiden Nichten von Sir Walter Raleigh und Sir Christopher Hatton höher schlagen
lässt. Da er sie zugunsten Tilburinas zurückweist, planen die beiden, ihn
umzubringen. Das wollen auch Raleigh und Hatton, doch Beefeater, ein weiterer
Verehrer Tilburinas, bietet ihnen Einhalt, weil er den Rivalen selbst erledigen
will. Es kommt zum Duell zwischen Beefeater und Don Ferolo, bei dem letzterer
stirbt. Die Sterbeszene spielt mit einer weiteren Konvention des damaligen
Musiktheaters, da Ferolo mitten in seiner Sterbearie abbricht und die Arie dann
von Beefeater fortgesetzt wird. Daraufhin verfällt Tilburina dem Wahnsinn und
stürzt sich ins Meer.
Pompöses Abschlussbild: Im einem Kahn küsst Puff
(Mark Lambert, vorne) Hopkins als Königin Elizabeth I. (Olga Conway) die Hand
(im Hintergrund von links: Rory Dunne als Govenor of Tilbury, Gyula Nagy als
Beefeater, Tony Brennan als "Vater Thames", Ben McAteer als Sir Raleigh und
Oliver Johnston als Sir Hatton).
Im Anschluss folgt noch eine groß inszenierte Seeschlacht zu
Instrumentalmusik, die von Hanratty mit überbordender Komik in Szene gesetzt
wird. Mit hellblauen Tüchern lässt Puff dabei Sneer und Dangles das Meer
imitieren, während die übrigen Darstellerinnen und Darsteller mit riesigen
Schiffen auf den Köpfen, aus denen sogar beim Kampf ein gewisser Nebel
aufsteigt, majestätisch durch die Wogen schreiten und wie bei einem kitschigen
Ballett in eine Art Menuett-Tanz übergehen. Dann tritt auch noch der Darsteller
des Lord Burleigh als "Vater Thames" auf, wobei Sneer die Anspielung zunächst
nicht versteht, da die Silben "Tha" und "Mes" von zwei Darstellern in falscher
Reihenfolge gehalten werden. In dieses an sich schon kitschige Bild platzt dann
auch noch Hopkins als Königin Elizabeth I., und Sneer lässt entgegen seinem
Namen seiner Begeisterung für diese Inszenierung freien Lauf.
Das Ensemble beweist große Spielfreude. Für die Sprechrollen
sind drei Schauspieler und eine Schauspielerin engagiert, die mit enormem Witz
begeistern. Mark Lambert gibt einen herrlich chaotischen Puff, der bei seinen
Regieanweisungen teilweise selbst nicht zu wissen weiß, was er eigentlich will,
alles aber mit dem größten Brustton der Überzeugung anpreist. Jonathan White
macht als Komponist Dangle mit herrlich intrigantem Spiel deutlich, dass er von
Puffs Ideen überhaupt nichts hält, auch wenn er immer wieder betont, dass sie
beide die besten Freunde seien. Arthur Riordan schießt als Kritiker Sneer eine
Spitze gegen das Premierenpublikum ab, wenn er auf die Frage Dangles, wieso er
denn unbedingt die Generalprobe und nicht erst die Premiere besuchen wolle,
leicht indigniert antwortet, dass er sich ein unvoreingenommenes Urteil bilden
wolle, was bei dem heutigen Publikum oft nicht möglich sei. Die Sängerinnen und
Sänger changieren gekonnt zwischen ihrer Rolle als Sänger bzw. Sängerin und der
Rolle im gespielten Stück. Ava Dodd punktet mit glockenklarem höhensicherem
Sopran und zeigt sich, wenn sie von Puff kritisiert wird, als Operndiva sehr
zickig. Dane Suarez legt die Partie des umworbenen Spaniers Don Ferolo mit viel
Ironie an, besonders im großen Liebesduett mit Dodd und in seiner Sterbeszene.
Auch Rory Dunne, Gyula Nagy, Ben McAteer, Oliver Johnston, Meilir Jones, Andrew
Henley Hannah O'Brien und Caroly Holt überzeugen in den zahlreichen kleineren
Partien mit großartiger Komik.
Ciarán McAuley führt das Orchester des Wexford Festival Opera
mit viel Fingerspitzengefühl durch die abwechslungsreiche Partitur, in der
Stanford zahlreiche unterschiedliche Stile mit einem Augenzwinkern aufs Korn
nimmt. So gibt es am Ende großen, verdienten Applaus für alle Beteiligten.
FAZIT
Wer behauptet, dass eine klassisch angelegte Inszenierung museal wirken muss,
wird hier eines Besseren belehrt. Stanfords Oper begeistert gerade deshalb, weil
Hanratty sie so in Szene setzt, wie es der Komponist gewünscht hat.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Ciarán McAuleyInszenierung
Conor Hanratty Bühne
John Comiskey Kostüme
Massimo Carlotto Licht
Daniele Naldi Chorleitung
Andrew Synnott Orchester des Wexford Festival Opera Chor
des Wexford Festival Opera Solistinnen und Solisten
Puff (Sprechrolle)
Mark Lambert
Dangle (Sprechrolle)
Jonathan White
Sneer (Sprechrolle)
Arthur Riordan
Hopkins (Sprechrolle)
Olga Conway
Lord Burleigh (stumme Rolle)
Tony Brennan Governor of
Tilbury Fort / Justice
Rory Dunne Earl of Leicester / Beefeater
Gyula Nagy Sir Walter Raleigh
Ben McAteer Sir Christopher Hatton
Oliver Johnston Master of the Horse / Constable
Meilir Jones Don Ferolo Wiskerandos
Dane Suarez Son
Andrew Henley Tilburina
Ava Dodd Confidant / First Niece
Hannah O'Brien Justice's Lady / Second Niece
Carolyn Holt
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