Tiefer Blick in die Seele
Von Thomas Molke /
Fotos: © Xiomara Bender (TFE Presse)
Dass nach dem ruhigen Verklingen der Musik am Ende des ersten
Aufzugs im Parsifal nicht geklatscht werden soll, gehört zu den Sitten
und Unsitten der langjährigen Rezeptionsgeschichte und wird immer wieder von
eingefleischten Wagner-Enthusiasten eingefordert, die gegebenenfalls mit Zischen
einen aufbrausenden Applaus zu unterdrücken versuchen oder zu Beginn der Pause
die Ignoranz eines applaudierenden Publikums beklagen. Dass aber am Ende einer
Vorstellung ein ganzer Saal gebannt innehält, bevor sich das Publikum nach einer
gefühlten Ewigkeit in tosendem Jubel befreit, ist nicht häufig zu erleben und
darf durchaus als Ritterschlag der neuen Inszenierung in Erl bezeichnet werden.
Da in diesem Jahr wegen der Passionsspiele das Passionsspielhaus als Spielstätte
für die Oper nicht zur Verfügung steht, hat
Intendant Jonas Kaufmann passend zu den Passionsspielen und zur
Jahreszeit über Ostern Wagners Bühnenweihfestspiel im neuen Festspielhaus auf
den Spielplan gestellt und übernimmt selbst die Titelpartie.
Das Regie-Team um Philipp M. Krenn rückt ihn und Kundry dabei
immer wieder ins Zentrum der Inszenierung, was sich unter anderem in eindrucksvollen
Videoprojektionen von Thomas Achitz widerspiegelt. Beim Betreten des Saals sieht
man zahlreiche Zuschauerinnen und Zuschauer in einer Projektion, die im Saal des
Festspielhauses sitzen und scheinbar auf den Beginn der Aufführung warten. Wenn
das Vorspiel beginnt, wird Kaufmann in einem dunklen Kapuzenpullover auf den
Vorhang projiziert, wie er sich suchend auf den Weg in Richtung des Festspielhauses
macht. Wenn
Kaufmann bzw. Parsifal im weiteren Verlauf das Festspielhaus betritt und nach
einigem Irren durch den Backstage-Bereich im Saal landet, ist der Saal
fast leer. Noch eine Person ist da, der er im weiteren Verlauf der Projektionen
immer wieder begegnet und die genauso wie Parsifal auf der Suche zu sein
scheint: Kundry. Ihre Blicke treffen sich, und in Kundrys Augen spiegelt sich
Parsifal. Diese tiefen Blicke spielen eine bedeutende Rolle für die Erkenntnis
Parsifals und werden auch durch eine geschickte Personenregie bei den beiden
immer wieder ins Zentrum gerückt.

Gurnemanz (Brindley Sherratt, links) und Amfortas
(Michael Nagy, im Rollstuhl) warten mit den Gralsrittern (Marius Pallesen und
Lukas Enoch Lemcke) auf die "Erlösung durch den reinen Tor" (rechst: Wolfgang
Pöschl als Statist).
Wenn der Vorhang sich nach dem Vorspiel öffnet, sieht man ein
relativ abstraktes Bühnenbild von Heike Vollmer, das aus sechs riesigen hellen
Elementen besteht, von denen sich jeweils zwei zu einem Sechseck
zusammenschieben lassen würden, das in zwei Trapeze zerlegt werden könnte. Da
diese Sechsecke in der senkrechten Symmetrieachse geteilt sind, erinnern sie in
der Form mit ihrer lamellenartigen Füllung in gewisser Weise an Harfen. Diese
sechs Elemente scheinen zunächst relativ willkürlich auf der Bühne zu stehen.
Für die Enthüllung des Grals werden sie später von den Gralsrittern zur Seite
geschoben. In der Mitte befindet sich ein riesiges mit Wasser gefülltes Bassin,
in dem Kundry einen Großteil ihrer Bühnenpräsenz verbringen muss. Man kann schon
ein bisschen Mitleid mit der Sängerin Irene Roberts bekommen, die zunächst darin
einen blassen Strickpullover und eine dunkle Hose völlig durchnässen lassen
muss, bevor sie sich dieser Sache entledigen kann, und auch im dritten Aufzug in
ihrem weißen Kleid von Gurnemanz hier vorgefunden wird. Was der Statist
(Wolfgang Pöschl) soll, den Gurnemanz zu Beginn des ersten Aufzugs schlafend
neben diesem Bassin findet, erschließt sich nicht wirklich. Ist er ein verirrter
Wanderer, der zufällig hier Rast gemacht hat und von Gurnemanz und den beiden
Gralsrittern fälschlicherweise für den "reinen Tor" gehalten wird, der "durch
Mitleid wissend" die Ritterschaft retten kann? Jedenfalls flieht er entsetzt,
nachdem man ihn ebenfalls einem Zwangsbad unterzogen hat.

Parsifal (Jonas Kaufmann) und Kundry (Irene
Roberts) begegnen sich in der Gralswelt (im Hintergrund rechts: Brindley
Sherratt als Gurnemanz).
Wie die Bühnenelemente sind auch die Kostüme von Regine
Standfuss für die Gralsgesellschaft in farblosem Weiß gehalten, weisen im
Schnitt allerdings keine Uniformität auf, vielleicht um die unterschiedliche
Herkunft der Gralsritter zu betonen. Auch der Rollstuhl, in dem Amfortas
geschwächt auf die Bühne fährt, und der Stab, auf den sich der alte Titurel
stützt, sind weiß gehalten. Umso mehr fällt die sich nicht schließende rote
Wunde bei Amfortas auf. Auch er steigt ins Bad auf der Bühne und lässt sie von
Kundry reinigen, was ihm vielleicht einen Moment der Linderung bringt, weil das
Rot des Blutes wirklich abgewaschen ist. Bei der Enthüllung des Grals bricht es
allerdings wieder hervor, wie man an den neuen Blutflecken auf seinem weißen
Gewand erkennen kann. Auf einen Schwan im eigentlichen Sinne wird in der
Inszenierung verzichtet. Stattdessen reißt Parsifal einen weißen wehenden
Vorhang herab, der die Gralswelt von der Außenwelt abgeschottet hat, und dringt
so unfreiwillig in diese Gemeinschaft ein. Und wieder ist es ein Blick, der hier
mit der Projektion ins Zentrum gerückt wird. Parsifal scheint im Wasser sein
Spiegelbild zu sehen, was auf den Hintergrund projiziert wird, und auch mit Kundry tauscht er bereits hier intensive Blicke aus.

Parsifal (Jonas Kaufmann, links) verfolgt die
Enthüllung des Grals durch Amfortas (Michael Nagy, Mitte).
Selten intensiv hat man in einer Inszenierung die
Auseinandersetzung zwischen Titurel und Amfortas gesehen, mit der der Vater
seinen Sohn auffordert, trotz aller Schmerzen den Gral zu enthüllen. Fast
rachsüchtig schiebt Titurel Amfortas' Rollstuhl in für ihn fast unerreichbare
Ferne, um ihm dann seinen Stab zur Stütze zu übergeben. Zur Enthüllung des Grals
wird dann mit Amfortas ein Teil der Bühne emporgefahren, das in der Form an die
übrigen Bühnenelemente erinnert. Und hier bekommt man bei aller sonstigen
Abstraktion einen klassisch leuchtenden Gral, der der Ritterschaft neues Leben
spendet. Auch die Projektion im Hintergrund lässt eine Quelle erkennen, in der
in nahezu pittoresken Bildern das Wasser fließt. Umso erschütternder ist es für
Gurnemanz und die Gralsgesellschaft, dass Parsifal nicht versteht, welchem
Wunder er hier gerade beiwohnt. Bevor Parsifal allerdings fortgejagt wird, kommt
es noch zu einem sehr intensiven Blickkontakt zwischen Amfortas und Parsifal, in
dem man Amfortas' Hilferuf nach Erlösung erkennen kann. Mit diesen Bildern endet
der erste Aufzug.

Klingsor (Georg Nigl) setzt Kundry (Irene
Roberts) auf Parsifal an.
Die Welt des Klingsor im zweiten Aufzug ist optisch eine
Parallelwelt, die sich nur minimal von der Gralswelt unterscheidet. Die
Bühnenelemente aus dem ersten Akt sind nun mit bunten Farbspritzern versehen,
die fast an eine Art Sündenfall erinnern. Die Farbkleckse befinden sich auch auf
den Kostümen von Klingsor und den Blumenmädchen, die die Blumen wie eine Waffe
tragen. Nur der Speer, den Klingsor Amfortas entwendet hat, ist von reinem Weiß.
Klingsor selbst trägt ein Kleid, um zu betonen, dass er sich entmannt hat. Im
Zentrum der Projektionen steht in diesem Aufzug Kundry, die suchend durch die
Räume des Festspielhauses irrt. Wenn der Vorhang sich öffnet, liegt sie erneut
im Bassin und wird von Klingsor gegen ihren Willen auf den Neuankömmling
angesetzt. Nachdem dieser sich intensiv mit den Blumenmädchen auseinandergesetzt
hat, erscheint ihm Kundry auf dem gleichen Podest, auf dem im ersten Aufzug der
Gral gestanden hat. Auch sie trägt nun ein weißes Kleid mit einigen
Farbspritzern. Es kommt zu einer absolut intensiven Szene zwischen den beiden,
die in einem leidenschaftlichen Kuss endet, durch den sich Parsifal von dem
falschen Zauber befreit, und wieder ist es der tiefe Blickkontakt, der Parsifal
die Erkenntnis bringt. Interessant gelöst ist hier die Speerszene. Klingsor
erscheint auf dem hochgefahrenen Podest und schiebt den Speer durch eine Öffnung
auf den darunter stehenden Parsifal, der den Speer so problemlos greifen und
Klingsors Zauberreich zerstören kann.

Intensiver Blickkontakt: Kundry (Irene Roberts)
und Parsifal (Jonas Kaufmann)
Der dritte Aufzug beginnt dann wieder mit einer Wanderung in der Projektion.
Jetzt trägt Parsifal die Kapuze auf dem Kopf, so dass er für Gurnemanz bei der
anschließenden Ankunft in der Gralsgesellschaft zunächst nicht erkannt wird. Die
Bühnenelemente weisen noch die Farbspritzer von Klingsors
Zaubergarten auf, sind allerdings gekippt. Ein Element liegt quer auf der Bühne
und überdeckt auch teilweise das Bassin, in dem die arme Kundry zu Beginn liegt.
Ihr Seufzen und Stöhnen vernimmt man im Publikum anders als Gurnemanz allerdings
nicht. Stattdessen hört man höchstens das Rauschen des Wassers. Wenn sie dann
völlig durchnässt dem Bassin entsteigt, wickelt Gurnemanz sie in einen weißen
Vorhang ein, den er kurzerhand von der Seite herabreißt, so wie Parsifal im
ersten Aufzug einen Vorhang heruntergerissen hat, als er in die Gralswelt
eingedrungen ist. Wenn Parsifal ankommt, balanciert er mit dem Speer auf dem
liegenden Bühnenelement und hat erneut intensiven Blickkontakt mit Kundry. Es ist schon
erstaunlich, wie es der Personenregie gelingt, bei der ganzen folgenden
Gurnemanz-Erzählung das Augenmerk nur auf Parsifal und Kundry zu lenken, die in
innigem Spiel zueinander finden. So hat es schon fast eine unfreiwillig komische
Note, dass Gurnemanz' Worte "Nicht so" fallen, wenn die beiden gerade
zu einem Kuss ansetzen.
Parsifal steigt im Folgenden zwar nicht ganz ins Bassin, legt
aber zumindest seine Kleidung bis auf eine weiße Unterhose ab und lässt sich von Kundry noch mehr als bloß die Füße waschen, bevor er sie mit einer Taufe erlöst.
Dabei muss sie erneut ins Bassin eintauchen und verschwindet dann unter dem darüberliegenden Bühnenelement. Parsifal zieht nun eine weiße Hose und
einen weißen Kapuzenpullover an, um den Gral zu enthüllen. Mit Hilfe der
Gralsritter, die sich zunächst geschwächt auf die Bühne geschleppt haben und
regelrecht aggressiv bei Amfortas die Enthüllung des Grals einfordern, die
dieser ihnen standhaft verweigert, werden die Bühnenelemente beiseite geschoben,
so dass Parsifal Platz hat, zum einen mit dem Speer die Wunde des Amfortas zu
schließen und zum andern den Gral zu enthüllen. Dieses Mal wird allerdings kein
Teil der Bühne hochgefahren. Stattdessen hebt sich ein Vorhang im
Hintergrund der Bühne und gibt den Blick auf einen Raum frei, durch den Parsifal
zuvor in den Projektionen geirrt ist. Dort steht der Chor der Tiroler Festspiele
in moderner farbiger Kleidung und schreitet bei der Enthüllung des Grals nach
vorne bis in den Zuschauersaal. Der nahezu himmlische Gesang erfüllt so den
ganzen Raum, während der Chor durch die Gänge im Saal emporschreitet. Außerdem wird das
Orchester hochgefahren, so dass alles beim letzten Ton eine Einheit bildet. Da
ist man im Publikum derart ergriffen, dass man wirklich einen Moment benötigt,
bis man dieses großartige Bild mit Applaus goutieren kann.
Neben der großartigen szenischen Umsetzung lässt auch die
musikalische Darbietung keine Wünsche offen. Jonas Kaufmann glänzt in der
Titelpartie als strahlender Held mit sauber angesetzten Höhen und intensivem
Spiel. Irene Roberts begeistert mit dramatischem Mezzosopran und großartiger
Textverständlichkeit und beweist auch in den Momenten, in denen sie musikalisch
nicht im Mittelpunkt steht, eine enorme Bühnenpräsenz. Brindley Sherratt
meistert die wortreiche Partie des Gurnemanz mit klarem Bass und einer
hervorragenden Diktion, auch wenn seine Erzählungen bisweilen sehr langatmig
sind. Aber da schafft ja die Personenregie Abhilfe, so dass in keinem Moment
Langeweile aufkommt. Michael Nagy punktet als Amfortas mit kraftvollem Bariton
und macht mit intensivem Spiel dessen Leiden deutlich. Clive Bayley gibt mit
autoritärem Bass einen unnachgiebigen Titurel. Georg Nigl legt den Klingsor mit
hartem Bariton sehr diabolisch an. Auch die kleineren Partien der Gralsritter,
Knappen und Blumenmädchen sind hervorragend besetzt. Der von Olga Yanum
einstudierte Chor der Tiroler Festspiele überzeugt mit homogenem Klang. Asher
Fisch lotet mit dem herrlich aufgelegten Orchester der Tiroler Festspiele die
Feinheiten der Partitur bis in die kleinste Nuance differenziert aus, so dass es
einhelligen Jubel für alle Beteiligten gibt.
FAZIT
Dieser Parsifal ist absolut festspielwürdig und gibt einen hervorragenden
Einstand für die ab Mai beginnenden Passionsspiele in Erl.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Asher Fisch
Regie
Philipp M. Krenn
Bühnenbild
Heike Vollmer
Kostüme
Regine Standfuss
Licht Stefan Schlagbauer
Video
Thomas Achitz
Chorleitung
Olga Yanum
Dramaturgie
Werner Hintze
Orchester der
Tiroler Festspiele Erl
Chor der Tiroler Festspiele Erl
Solistinnen und Solisten
Amfortas
Michael Nagy Titurel
Clive Bayley
Gurnemanz
Brindley Sherratt Parsifal
Jonas Kaufmann Klingsor
Georg Nigl
Kundry
Irene Roberts
1. Gralsritter
Marius Pallesen
2. Gralsritter
Lukas Enoch Lemcke
1. Knappe
Annina Wachter 2. Knappe
Maya Gour 3. Knappe
Hyunduk Kim 4. Knappe
Lukas Siebert
1. Blumenmädchen I
Annina Wachter 2.
Blumenmädchen I
Stefani Krasteva 3.
Blumenmädchen I
Zoe Hippius
1. Blumenmädchen II
Evelina Liubonko
2. Blumenmädchen II
Maya Gour 3. Blumenmädchen
II
Karis Tucker Stimme von
Oben
Karis Tucker Statist
Wolfgang Pöschl
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Tiroler Festspiele Erl
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