Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musikfestspiele
Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum



Klavier-Festival Ruhr 2025

Mülheim an der Ruhr, Stadthalle
11. Juni 2025


Leif Ove Andsnes



Homepage
Klavier-Festival Ruhr

Ätherische Moderne und sachliche Romantik

Von Stefan Schmöe / Foto von Werner Häußner ( Klavier-Festival Ruhr)

Geirr Tveitt (1908 - 1981) ist eine tragische Figur der norwegischen Musikgeschichte. Beim Brand seines Hauses 1970 wurden große Teile seiner Werke vernichtet, die meisten noch ungedruckt. Auf 80% seines Gesamtwerks wird der Verlust geschätzt. Nur eine seiner Klaviersonaten blieb erhalten, die Nr. 29 mit dem rätselhaften Titel Sonata Etere ("ätherische Sonate"). Komponiert wurde das dreisätzige Werk von etwa 30 Minuten Dauer in den 1950er-Jahren. "Ätherisch" klingt vor allem Tveitts Technik, die tiefen Tasten des Flügels gedrückt zu halten (zu Beginn des zweiten Satzes betrifft das fast die halbe Klaviatur), sodass die Saiten frei schwingen können, und dann sehr hohe Töne anzuschlagen, wodurch die tiefen Saiten zu schwingen beginnen und einen geheimnisvollen, leisen Klang erzeugen. Wenn der Komponist dann aber auch noch ein Crescendo auf solchen Clustern notiert, kann ein Konzertflügel das nicht realisieren - das funktioniert nur durch elektronische Verstärkung.

Foto

Leif Ove Andsnes

Leif Ove Andsnes, der die Sonate ins Zentrum seines Programms stellt, verzichtet auf solche Mittel. Ein Verlust ist das nicht. Das unaufhaltbare Verschwinden des Klangs und damit die Flüchtigkeit des Moments haben die stärkere Wirkung als ein elektronisch erzeugter Effekt. Andsnes hört den unwirklichen Klängen nach, die Tveitt mit rhythmisch strengen Mustern kontrastiert. Oft setzt er zunächst ein Modell aus mehreren Takten zusammen, die aus verschiedenen Klangschichten aufgebaut sind und meist ein streng durchlaufendes Metrum besitzen. Dann wiederholt sich dieses Modell, wobei eine der Schichten variiert oder ausgetauscht wird. Es ergibt sich eine blockhafte Struktur, die mit ihren repetitiven Elementen auf die Minimal Music vorausweist, allerdings in ihrer Mehrschichtigkeit komplexer ist. Harmonische Spannung entsteht durch bitonale Elemente. Andsnes spielt mit viel Energie, ohne ruppig zu werden (was Anweisungen wie ein dreifaches Fortissimo mit dem Zusatz "so viel wie möglich" oder "gigantisches Crecendo" nahelegen könnten). Er romantisiert nicht, hat aber Gespür für die Sinnlichkeit des Klangs. So entwickelt die Sonata Etere einen Sog ganz eigener Art. Ein Werk für's Repertoire hat Andsnes da sicher nicht entdeckt, aber einen spannenden Kontrapunkt zum üblichen Werkekanon auf jeden Fall.

Foto

Leif Ove Andsnes

Die anderen Werke des Abends lassen sich von diesem Kraftzentrum ausgehend mit geschärften Ohren hören. Wobei Andsnes den Abend mit Edvard Griegs einziger Klaviersonate, komponiert 1865 mit 22 Jahren, beginnt. Die Musik klingt nicht zu stürmisch, nicht zu romantisch. Andsnes denkt das Werk aus der klassischen Tradition und hebt die Architektur hervor. Auffällig ist die vergleichsweise starke Betonung der linken Hand, die dadurch an Autonomie gewinnt (wie später bei Tveitts Komposition noch sehr viel extremer). Dieser Effekt ist auch nach der Pause bei Chopins 24 Préludes op. 28 zu beobachten, die Andsnes recht sachlich anlegt. Rubati und Verzögerungen setzt er sparsam ein, bei den Lautstärken meidet er die Extreme. Die Musik darf virtuos klingen, wo es angebracht ist, aber nur ganz selten poetisch. Andsnes gibt sich nicht als Klangzauberer, sondern als kluger Konstrukteur. Nicht der einzelne schöne Ton besticht, sondern die musikalische Linie in ihrem Zusammenhang. In seinen Chopin kann man sich nicht verlieren, aber man staunt immer wieder über den kühnen Einfallsreichtum des Komponisten.

Das setzt sich in der Zugabe, Debussys La cathédrale engloutie (Die versunkene Kathedrale) aus dem ersten Band von dessen Préludes fort. Die glockenartigen Akkorde klingen klar konturiert, nichts verschwimmt, nichts wird unscharf. Auch hier geht es Andsnes nicht darum, Stimmungsmalerei im Kleinen zu betreiben. Bei ihm hört man analytisch genau und dennoch mit feiner Nuancierung den Bauplan des Stückes. Nachdem einige Tage zuvor beim Klavier-Festival Ruhr Víkingur Ólafsson mit vielen interpretatorischen Freiheiten um die Schönheit des Moments gerungen hatte, ist solche Reduktion auf den Notentext und die musikalische Form wie auch die selbstauferlegte Strenge wohltuend.




Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)
Klavier-Festival Ruhr 2025

Mülheim an der Ruhr, Stadthalle
11. Juni 2025



Ausführende

Leif Ove Andsnes, Klavier


Programm

Edvard Grieg:
Sonate e-Moll op. 7

Geirr Tveitt:
Sonate Nr. 29 Sonata Etere op. 129

Frédéric Chopin:
24 Préludes op. 28



Zugaben:

Claude Debussy:
La cathédrale engloutie
aus Préludes Band 1 Nr. 10

Sergei Rachmaninow:
Etude-Tableaux op. 33 Nr. 2


Klavierfestival Ruhr 2025 -
unsere Rezensionen im Überblick



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Klavier-Festival Ruhr
(Homepage)








Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Festspiel-Startseite E-Mail Impressum
© 2025 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: konzerte@omm.de

- Fine -