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Klavier-Festival Ruhr 2025

Düsseldorf, Tonhalle
2. Juli 2025


Evgeny Kissin



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Klavier-Festival Ruhr

Ironie und Wahrhaftigkeit

Von Stefan Schmöe

Dmitri Schostakowitsch musste spätestens nach dem Skandal um seine Lady Macbeth von Mzensk Repressionen durch das Stalin-Regime fürchten. Feierte die Oper nach der Uraufführung 1934 noch riesige Erfolge, so erschien im Januar 1936 in der Prawda der vernichtende Artikel "Chaos statt Musik", ohne Nennung des Autors von Stalin selbst (der einige Tage zuvor eine Aufführung im Bolschoi-Theater besucht hatte) oder auf dessen Geheiß verfasst. Der Komponist galt fortan als "kleinbürgerlich" und "formalistisch" und erwartete, von der Geheimpolizei inhaftiert zu werden. Komponieren wurde fortan zur Gratwanderung zwischen vordergründiger Anpassung an das Regime und versteckter Rebellion - und ein heikles Spiel mit Wahrheit und Ironie. Gerade die Märsche in seinen Werken besitzen diese Ambivalenz, huldigen sie doch vordergründig dem militaristischen Staat und pervertieren diese Logik gleichzeitig. Auch in der zweiten Klaviersonate aus dem Jahr 1943, kurz nach der 7. Symphonie komponiert, verwendet er einen Marsch als zweites Thema des Kopfsatzes. Evgeny Kissin spricht im Programmheftchen zu diesem Konzert vom "Gegensatz zwischen der dramatischen Wahrhaftigkeit des Hauptthemas und der fröhlichen Lüge des Marsches".

Diese Sonate bildet das Zentrum des Abends. Kissin überzeichnet in seiner Interpretation nichts und vermeidet den grellen Effekt. Vielmehr stellt er den großen Bauplan in den Mittelpunkt, das Spiel des Komponisten mit schnell wechselnden Effekten, bei dem man nie so genau weiß, woran man ist. Den zweiten Satz beginnt er fast improvisatorisch frei, als handele es sich hier um Free Jazz - oder um Gedanken, die nicht offen ausgesprochen werden dürfen. Im Finale hebt er das kinderliedartig beginnende Thema hervor und gibt der Musik viel von dem bösen Witz, den sie benötigt. Bei allem Bekenntnis Kissins zum politischen Charakter dieser Musik geht er das Werk aber in erster Linie innermusikalisch an, im ersten Satz auch als ein Stück mit pianistischer Bravour.

Damit korrespondiert vor der Pause Chopins Scherzo Nr. 4, bei dem Kissin Virtuosität als integralen Bestandteil der Komposition vorführt - wie auch beim populäreren Scherzo Nr. 2, das er als Zugabe spielt. Es beeindruckt der Blick auf den großen Zusammenhang und die musikalische Logik. Klangzauberei im Detail (wie etwa von Vikingur Ólafsson beim Klavier-Festival Ruhr auf die Spitze getrieben) hört man kaum. Kissin meidet die extremen Lautstärken, ein wirkliches Pianissimo gibt es selten, und ein Fortissimo bedeutet eher, dass der Pianist die Klangfülle des Instruments auskostet, als dass er die Musik dramatisch auf den Effekt hin steigert. Die technisch souveräne, aber nie übermäßig auftrumpfende Interpretation der Scherzi wirkt dadurch auf angenehme Weise altmodisch. Etwas viel an Bedeutungsschwere haben die beiden vorangestellten Nocturnes (cis-Moll op. 27/1 und As-Dur op. 32/2), die Kissin nicht als poetische Nachtstücke gestaltet, sondern als große Miniaturdramen.

Auch Bachs Partita Nr. 2 spielt Kissin sehr gewichtig und erweitert durch den modernen Konzertflügel den Klangraum ins Große. Eine "romantische" Interpretation hört man aber keineswegs, dem steht die rhythmische Härte seines Spiels entgegen. Aber Bach erscheint als ein Komponist, der die traditionelle Form (die hier in den Schlussätzen allerdings variiert wird, indem der Komponist ein Rondeau und ein Capriccio an Stelle der üblichen Gigue verwendet) hochexpressiv auflädt wie später auch Schostakowitsch. Vor dem Hintergrund der Schostakowitsch-Sonate ergibt sich natürlich ein Zusammenhang durch die kontrapunktischen Techniken. Kissin endet mit zwei Präludien und Fugen aus Schostakowitschs unmittelbar an Bach orientierten 24 Präludien und Fugen op. 87. Das Präludium Nr. 15 Des-Dur hebt naiv an wie ein Kinderlied ("We Wish You a Merry Christmas"), um in einen absurden Walzer abzudrehen, gefolgt von einer Fuge mit ständigen Taktwechseln. Kissin hält auch hier elegant Maß zwischen Zuspitzung und pianistischer Grandezza. Die den Zyklus beschließende Nummer 24 d-Moll hat wenig von solcher Doppelbödigkeit und bewegt sich in großer Schlichtheit zwischen Resignation und Innerlichkeit - und beschwört in der zweiten Hälfte der langen Fuge dann doch utopisch anmutende Hoffnung. Kissin lässt die Oberstimme leuchten und trifft den drängenden, um ein gutes Ende ringenden Gestus der Musik eindrucksvoll. Großer Jubel.




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Klavier-Festival Ruhr 2025

Düsseldorf, Tonhalle
2. Juli 2025


Ausführende

Evgeny Kissin, Klavier


Programm

Johann Sebastian Bach:
Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826

Frédéric Chopin:
Nocturne cis-Moll, op. 27 Nr. 1
Nocturne As-Dur op. 32 Nr. 2
Scherzo Nr. 4 E-Dur op. 54

Dmitri Schostakowitsch:
Klaviersonate Nr. 2 h-Moll op. 61
aus 24 Präludien und Fugen op. 87:
Nr. 15 Des-Dur
Nr. 24 d-Moll



Zugaben:

Johann Sebastian Bach:
Siciliano aus der
Flötensonate Nr. 2 Es-Dur BWV 1031
(arr. Wilhelm Kempff)


Frédéric Chopin:
Scherzo b-Moll op. 31
Walzer cis-Moll op. 64/2




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