Was ist hässlich?
Von Thomas Molke /
Fotos: © Pádraig Grant
Die "Pocket Operas / Opera Beag", die seit der Übernahme der künstlerischen
Leitung durch Rosetta Cucchi das ehemalige vor allem beim ortsansässigen
Publikum äußerst beliebte Format der "Short Works" abgelöst haben, unterscheiden
sich von den damaligen "Short Works" eigentlich nur in einem Punkt. Wie die
Hauptproduktionen auf der großen Bühne sollen sie im Bezug zum Motto des
Festivals stehen, das in diesem Jahr mit "Myths and Legends" überschrieben ist.
Ob Alexander Zemlinskys Operneinakter The Dwarf in diese Kategorie fällt,
mag unterschiedlich beurteilt werden. Jedenfalls liegt der Oper ein Märchen von
Oscar Wilde zugrunde, das zudem eine sehr bewegende Geschichte erzählt, die
negativ und realistisch betrachtet in den Bereich eines Mythos oder einer
Legende fällt. Als Spielort dient seit einigen Jahren für diese Werke das Jerome Hynes Theatre im National Opera House, das
mit der Nähe des Publikums zur Bühne eine sehr
vertraute Atmosphäre schafft, auch wenn man hier in der Regel auf Übertitel
verzichten muss. Deshalb spielt man das Werk hier auch nicht in deutscher
Originalsprache sondern in einer Übersetzung von Viktor Jugovic.

Die Prinzessin (Eleri Gwilym) gaukelt dem Zwerg (Charne
Rochford) Zuneigung vor.
Zemlinskys Einakter basiert auf dem Märchen The Birthday of the Infanta
von Oscar Wilde, das in dem vierteiligen Märchenband The House of the
Pomegranates 1891 erschien und bereits 1908 von Franz Schreker als Vorlage
für eine Ballettpantomime verwendet wurde. Darin erhält die spanische Prinzessin
Donna Clara zu ihrem 18. Geburtstag von einem Sultan einen verwachsenen und
unansehnlichen Zwerg geschenkt, der selbst nicht ahnt, wie hässlich er ist. Der
Zwerg überschüttet die schöne Infantin mit Komplimenten, was von ihr scheinbar
freudig aufgenommen wird und bei ihren Dienstmädchen und Freundinnen für große
Erheiterung sorgt. Nur die Zofe Ghita fühlt sich von dem seltsamen Wesen
berührt. Als der Zwerg ein wehmütiges Liebeslied vorgetragen hat und sich zum
Entsetzen der anwesenden Damen zur Belohnung eine Frau auswählen darf, wählt der
Zwerg die Prinzessin. Donna Clara geht auf dieses Spiel ein, gewährt ihm sogar
einen Tanz und überreicht ihm zum Abschied eine weiße Rose. Ganz erfüllt von
seinem Glück blickt der Zwerg durch Zufall in einen Spiegel und begreift seine
eigene Hässlichkeit. Als Donna Clara ihm zu verstehen gibt, dass er für sie nur
ein Spielzeug sei, bricht sein Herz, und er stirbt, während die Prinzessin
ungerührt zu den Feierlichkeiten zurückkehrt.

Die respektlosen Dienstmädchen (von links: Olivia
Carrell, Victoria Harley und Erin Flur) bei der Arbeit
Das Regie-Team um Chris Moran betont, dass die Hässlichkeit des Zwerges metaphorisch
zu verstehen ist, und zeichnet ihn optisch weder als verwachsenes noch als
unansehnliches Wesen. Dafür werden die anderen Figuren mit weiß geschminkten
Gesichtern und schwarzen Lippen ihrer Menschlichkeit beraubt. Schon der Auftritt
des musikalischen Leiters Christopher Knopp, der die Aufführung am Klavier
bewegend begleitet, betont diesen Ansatz vor. Etwas staksend und krumm stolpert er
nahezu über die dunkle Bühne zum Klavier auf der linken Seite der Bühne, nimmt
Platz und grinst grimassenhaft ins Publikum, bevor er mit dem Spiel beginnt.
Leicht bucklig treten dann die Dienstmädchen auf, deren innere Hässlichkeit und
Schäbigkeit hier durch ausladende Mimik nach außen getragen wird. Lustlos
bereiten sie unter dem despotisch herumkommandierenden Don Estoban den
Geburtstagstisch für die Infantin vor und äußern ihren Neid auf die schönen
Geschenke recht unverblümt. Am abstoßendsten gelingt dann der Auftritt der
Infantin. Wird sie in einer Scherenschnittprojektion noch als strahlende
Schönheit angekündigt, die mit wallenden blonden Locken in einem
herrschaftlichen weißen Kleid ihr Gesicht hinter einem Fächer verbirgt, bekommt
man einen regelrechten Schrecken, wenn sie ihr Gesicht zeigt, das an eine böse
Figur aus einem Horrorfilm erinnert.

Die Prinzessin (Eleri Gwilym) weist den Zwerg (Charne
Rochford) angewidert von sich.
Dazu bildet der Zwerg, der als einziger im Gesicht nicht weiß geschminkt
ist, mit seiner bunten Kleidung in warmen Farben einen starken Kontrast. Es
mag sein, dass die Farben bei ihm nicht optimal aufeinander abgestimmt sind.
Aber hässlich, wie er in der Scherenschnittprojektion gezeichnet wird, ist er
keineswegs. Man stellt sich also die Frage: Was heißt denn eigentlich hässlich?
Bedeutet es, anders zu sein als die anderen, aus der Masse herauszustechen, weil
man damit Neider auf sich zieht? Auch diesen Ansatz scheint die Inszenierung zu
verfolgen. In Art eines Stummfilms werden über der Bühne bisweilen Zitate aus
Oscar Wildes Märchen eingeblendet. Besonders bewegend gelingt dadurch der
Schluss, da bei Wilde die Prinzessin sogar so weit geht, sich demnächst kein
Geschenk mehr zu wünschen, das ein Herz besitzt, weil dieses Herz schließlich
brechen kann. Des Weiteren werden aus alten Stummfilmen kurze Filmsequenzen
eingeblendet, die unter anderem den Helden Siegfried zeigen, wie er den Kampf
mit dem Drachen aufnimmt. Das soll wohl die Illusion andeuten, der sich der
Zwerg hingibt, wenn er sein eigenes Äußeres noch nicht zur Kenntnis genommen
hat.
Christopher Knopp setzt am Klavier die unterschiedlichen
Atmosphären der Musik sehr lautmalerisch um, findet weiche, romantische Töne für
den Zwerg, wenn er sich seinen Träumen hingibt, und betont die schonungslos
grausamen Passagen des restlichen Hofstaates. Charne Rochford stattet die
Titelpartie mit kraftvollem Tenor aus, der in den Höhen bewusst zu pressen
scheint und stets an seine Grenzen geht, um zu zeigen, wie sehr sich dieser
Zwerg selbst überschätzt. Umso ergreifender zeichnet er die Erkenntnis,
wenn er sein Bild im Spiegel wahrnimmt. Zuerst begreift er überhaupt nicht, dass
das Wesen, das er dort im Spiegel sieht, er selbst ist, da es dafür ja viel zu
hässlich erscheint. Doch die weiße Rose in seiner Hand lässt ihn in
Zweifel geraten, und die grausame Antwort der Infantin gibt ihm schließlich Gewissheit und lässt ihn leblos zusammenbrechen. Eleri Gwilym zeichnet die
Prinzessin mit scharfen Höhen absolut gnadenlos und spielt die Gefühlskälte
erschreckend glaubhaft aus. Da bilden die weichen Töne von Charlotte Baker als
ihrer Zofe Ghita eine willkommene Abwechslung. Ross Cumming verleiht dem Kanzler
Don Estoban mit profundem Bariton eine enorme Autorität, auch wenn er von den
Dienstmädchen nicht wirklich ernst genommen wird. Victoria Harley, Olivia
Carrell und Erin Fllur zeichnen sie mit kraftvollen Stimmen und intensivem Spiel
genauso respektlos wie Cerys MacAllister, Heather Sammon, Eleanor O'Driscoll und
Camilla Seale die vier Freundinnen der Infantin, auch wenn die
Textverständlichkeit bei allen ausbaufähig ist.
FAZIT
Die tragische Geschichte des Zwergs bewegt in der Lesart von Chris Moran und
wird vom Ensemble eindrucksvoll umgesetzt.
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