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Mahlers Kosmos in überwältigender Klangfarbenpracht
Text von Stefan Schmöe / Fotos © Bayer Kultur Bis in die letzte Ecke Wuppertals hatte es sich wohl nicht herumgesprochen, dass da ein absolutes Spitzenensemble in der Stadt gastiert; jedenfalls blieben in der Historischen Stadthalle allzu viele Plätze frei. Dabei ist das 1983 gegründete Budapest Festival Orchestra eigentlich längst kein Geheimtipp mehr. Veranstalter des Konzertes war, wie schon eine knappe Woche zuvor beim Gastspiel des City of Birmingham Symphony Orchestra am selben Ort, die Kultur-Abteilung des Bayer-Konzerns im Rahmen ihres ambitionierten stARTfestivals. Immerhin wurde 1863 in Wuppertal - genauer: in der damals noch selbstständigen Stadt Barmen - die Firma "Friedr. Bayer et. comp." gegründet. Und im Gegensatz zum benachbarten Leverkusen, dem Standort der Firmenzentrale, gibt es in Wuppertal einen großen, repräsentativen Konzertsaal.
Das ungarische Orchester beginnt mit Beethovens 4. Klavierkonzert, aufgeführt in relativ großer Orchesterbesetzung, aber mit keineswegs massigem Klang; Dirigent (und Orchestergründer) Iván Fischer dirigiert vielmehr schlank und beweglich, dennoch großformatig. Der Streicherklang im langsamen Mittelsatz hat beeindruckende Körperlichkeit, und da zeigt sich, wie viel Sinn Fischer für die oft gelobte, aber nicht einfache Akustik des Saales mit ziemlich langer Nachhallzeit besitzt. Das Wechselspiel mit Pianist Alexandre Kantorow, 2019 Gewinner des Tschaikowsky-Wettbewerbs, ist in diesem Mittelsatz eher auf ein gegenseitiges Übergeben der musikalischen Linie als ein Gegeneinander angelegt. Kantorow spielt (nicht nur hier) selbstbewusst, baut immer wieder mal überraschende Akzente ein, setzt bei den virtuosen Passagen gerne zu Beginn kleine Ausrufezeichen, um die Phrase dann leicht und lässig auszuspielen, als sei weiter nichts dabei. Vieles hat Charme, es gibt immer wieder schöne Momente. Eine zentrale Interpretationsidee aber hört man Kantorows Spiel nicht an, zu sehr bewegt er sich im Moment. Den Übergang vom zweiten zum dritten Satz, um ein Beispiel zu nennen, verschenkt er, lässt ihn wie eine Nebensächlichkeit auslaufen. Und auch der Beginn des ersten Satzes, bei dem der Pianist mit den ersten Tönen - Klavier solo, das gab es vorher in einem Klavierkonzert nie, was für eine Ansage des Komponisten - die Richtung vorgeben müsste, bleibt zu unentschlossen, orientiert sich eher Richtung Klassik als Richtung Romantik, bleibt aber allzu pauschal. Eine ordentliche, keine herausragende Interpretation des Werkes. Viel Romantik dann in der ein wenig manieriert geratenen Zugabe, die gerne als Dreingabe gespielte (von Giovanni Sgambati erstellte) Klavierversion von Glucks "Seligen Geistern" aus Orpheus und Eurydike. Herausragend wurde es dann nach der Pause mit Gustav Mahlers erster Symphonie. Die Anweisung "wie ein Naturlaut" zur langsamen Einleitung nimmt Fischer sehr ernst, kommt auch in den anderen Sätzen immer wieder darauf zurück. Die Einwürfe der Bläser sind ungeheuer genau durchgestaltet. Das den Liedern eines fahrenden Gesellen entliehene Hauptthema des ersten Satzes entwickelt Fischer fast zögerlich, zunächst geradezu zerbrechlich. Die schwebenden Klangflächen des Beginns bleiben lange präsent. Fischer verbindet im Folgenden die schnell wechselnden, geradezu collagierten Stimmungsbilder zu einem großen Klangbild, ohne im Einzelnen zu glätten. Fast schon aufreizend "musikantisch", aber keineswegs gekünstelt gelingen die Passagen, in denen Mahler volksmusikartige Elemente einfügt wie etwa das erste Trio des langsamen Satzes.
Referenzcharakter hat sicher der Beginn eben dieses Satzes mit dem merkwürdigen Trauermarsch mit der Melodie des Kanons Bruder Jakob: Wie Pauke und Solo-Kontrabass hier im Wechselspiel eine völlig neue Welt schaffen, wie der Bass phrasiert und eine sehr eigene Klangfarbe entwickelt, als habe man das Stück noch nie gehört, das ist hinreißend. Auch hier spielen die Musikerinnen und Musiker höchst souverän mit der Akustik des Raumes - was auch im Wechsel zwischen der Hörnergruppe und den Trompeten, den Fischer immer wieder registerartig nebeneinandersetzt und dabei so ausdifferenziert, dass man nie mehr pauschal von "Blechbläsern" sprechen möchte, frappierend neu klingt. Und bis ins Finale mit seinen Fortissimo-Ausbrüchen bleibt der Klang immer durchhörbar und klar, wird nie unscharf und hat doch große Kraft. Letztendlich ist es auch die Art und Weise, wie Fischer den großen "Naturlaut" dieser Symphonie eben nicht programmmalerisch nachzeichnet, sondern bewusst artifiziell ausgestaltet, der die Interpretation zum Ereignis macht. Da bekommt die "Erste", die ja oft ein wenig unter dem Wert der späteren Symphonien gehandelt wird, die ihr angemessene Bedeutung: Ein Kosmos, den Mahler später weiter und anders ausdifferenziert hat, der sich aber hier in Iván Fischers Dirigat im Grunde schon voll entfaltet. Nach freundlichem Beifall zur Pause riss es das Publikum mit dem Schlussakkord von Mahlers Symphonie förmlich von den Sitzen: Stehende Ovationen für Orchester und den Dirigenten. Keine Zugabe, mit Mahler war bereits alles gesagt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
AusführendeBudapest Festival OrchestraLeitung: Iván Fischer Alexandre Kantorow, Klavier WerkeLudwig van Beethoven:Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58 Gustav Mahler: Symphonie Nr. 1 D-Dur
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