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BoSy Meisterstücke
Tödliche Liebe

Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski und Béla Bartók

Aufführungsdauer: ca. 1 h 50' (eine Pause)

Donnerstag, 19. Oktober 2023, 20.00 Uhr
Großer Saal, Anneliese Brost Musikforum Ruhr



Bochumer Symphoniker
(Homepage)

Wechselbad der Emotionen

Von Thomas Molke

Er ist wieder da: Steven Sloane. Von 1994 bis 2021 war er Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker und eine treibende Kraft für die Realisierung des eigenen Konzertsaals für das Orchester. Nun kehrt er als Gast an seine ehemalige Wirkungsstätte zurück und bekennt im Tischgespräch mit Bjørn Woll vor dem Konzert, dass er sich immer noch im Revier zu Hause fühle. Für das erste Konzert der Saison in der Reihe "Meisterstücke" hat er zwei hochemotionale Werke des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ausgewählt und unter dem Titel Tödliche Liebe zusammengefasst.

Den Anfang macht Pjotr Iljitsch Tschaikowskis Fantasie-Ouvertüre Romeo und Julia. Die Shakespeare-Vorlage inspirierte Tschaikowski im Alter von 29 Jahren zu seinem ersten bedeutenden Orchesterwerk. Darin erzählt er allerdings nicht die tragische Geschichte linear, sondern destilliert einzelne Motive aus dem Drama heraus, die er wie in einer klassischen Ouvertüre in mehreren musikalischen Themen zueinander in Verbindung setzt. Die Anregung zu dieser kompositorischen Form stammte wie das Sujet von dem russischen Komponisten Mili Balakirew. Insgesamt lässt sich das gut 20-minütige Stück in drei musikalische Themen unterteilen. Das erste Thema porträtiert in einem nahezu choralhaften Ton Pater Lorenzo, der in Shakespeares Tragödie in bester Absicht handelt, aber dadurch die Katastrophe heraufbeschwört. Zum einen ist er es, der heimlich Julia mit Romeo vermählt. Zum anderen versucht er, mit dem Trank, der Julia in einen todesähnlichen Schlaf versetzt, das junge Mädchen vor einer Verheiratung mit dem Prinzen Paris zu bewahren, was letztendlich zum Tod der beiden Liebenden führt. In der langsamen Einleitung scheint man die Klage Lorenzos herauszuhören, der in der Retrospektive auf das Unheil blickt, das er angerichtet hat.

Im Allegro-Hauptteil treffen dann die verfeindeten Familien in einem Kampfthema aufeinander, das von hektischen Läufen der Geigen begleitet wird. Das Schlagwerk kündigt dabei an, dass es zu Handgreiflichkeiten zwischen den Montagues und den Capulets kommt. Aus diesem aggressiven Tonfall entsteht allmählich das Liebesmotiv, das lyrisch schwärmerisch vom Englischhorn eingeleitet und von den übrigen Holzbläsern aufgenommen wird. Doch dieser zarte Moment gewährt nur einen kurzen Augenblick zum Durchatmen und überlappt sofort mit den Hörnern und Trompeten, die erneut zum Kampf aufrufen. Wie das Liebespaar selbst wird man von der aufwühlenden Musik in die Auseinandersetzung hineingezogen und schwebt mit den Liebenden in einer elegischen Stimmung am Ende in eine andere Welt, in der ihre Liebe vielleicht einen Platz finden kann. Sloane taucht mit den Bochumer Symphonikern auf den Punkt genau in die hochemotionale Musik ein und lässt das Publikum ein Wechselbad der Gefühle erleben.

Kann man so tiefe Emotion nach der Pause noch steigern? Man kann. Im zweiten Teil steht Béla Bartóks Operneinakter Herzog Blaubarts Burg auf dem Programm. Das am 24. Mai 1918 in Budapest in ungarischer Sprache uraufgeführte Werk hat im traditionellen Sinn gar keine richtige Handlung. Es basiert auf einer alten Legende und einem Märchen von Charles Perrault, wonach der Herzog Blaubart, ein reicher, mächtiger Mann seine bisherigen Frauen ermordet hat und nun eine junge Frau heiratet, die die Wahrheit ans Licht bringen will. Im Märchen gelingt es der namenlosen Frau mit Hilfe ihrer Brüder, Blaubart zu töten. Béla Balász, der das Libretto zu Bartóks Oper verfasst hat, interessiert sich eher für eine symbolistische Neudeutung und reduziert die Geschichte auf den elementaren Gegensatz zwischen der undurchdringlichen Seele Blaubarts und der unstillbaren Neugierde Judiths. Gemeinsam öffnen die beiden in der Oper die sieben Türen in der fensterlosen Burg Blaubarts. Hinter der letzten Tür befinden sich seine drei früheren Frauen als Verkörperung der Tageszeiten Morgen, Mittag und Abend. Judith wird ihren Vorgängerinnen nun hinter die letzte Tür als Verkörperung der Nacht folgen.

Die Partie der Judith wird in Bochum von der Mezzosopranistin Deidre Angenent gesungen, die die Rolle bereits am Aalto Theater in der szenischen Umsetzung 2022 mit großem Erfolg interpretiert hat (siehe auch unsere Rezension). Zu Beginn der Oper tritt sie auf ein erhöhtes Podest, das inmitten des Orchesters auf der linken Seite steht. Stimmlich begeistert sie mit einem klangschönen, lyrisch geprägten Mezzosopran, der in den Höhen zu kraftvollen Ausbrüchen fähig ist. Immer wieder beteuert sie ihren Willen, Licht ins Dunkel zu bringen und Blaubart zu retten. Immer wieder beschwört sie ihre Liebe und dringt weiter in Blaubarts Geheimnisse ein. Chrisztián Cser, der ihr gegenüber auf einem Podest auf der rechten Seite im Orchester steht, punktet als Blaubart mit markanten Tiefen. Die Musik lässt die beiden nicht wirklich zueinander finden, was durch die Trennung im Orchester noch hervorgehoben wird.

Neben den beiden großartigen Solisten kommt dem Orchester die dritte Hauptrolle in der Oper zu. Mit symphonischem Charakter zeichnet es absolut illustrativ die Räume und Landschaften, die sich hinter den verschlossenen Türen befinden und gewährt damit Einblick in Blaubarts Innenleben. Mit welcher suggestiven Kraft diese Bilder von den Bochumer Symphonikern unter der Leitung von Steven Sloane gezeichnet werden, geht unter die Haut. So intensiv hat man das Werk selbst in einer szenischen Umsetzung selten erlebt. Ungewohnt ist der über Band eingesprochene Prolog des Barden, der dem Stück vorangestellt ist und auf den bei den meisten Inszenierungen verzichtet wird. So wird bereits gemeinsam mit den ersten Tönen des Orchesters eine unheimliche Atmosphäre erzeugt. Sehr bildhaft arbeitet das Orchester das Dunkel heraus, das zu Beginn in Blaubarts Burg herrscht und lässt mit jeder neu geöffneten Tür neue Klangfarben erstehen, die beim Öffnen der fünften Tür sogar in strahlendem C-Dur eine pittoreske Landschaft nachzeichnen. Doch immer wieder schleichen sich dissonante Töne ein, die das Blutmotiv verkörpern. Getrocknetes Blut haftet nicht nur an der Folter- und Waffenkammer hinter den ersten beiden Türen, sondern trübt auch die Schatzkammer, den Garten und die Landschaft hinter den weiteren drei Türen. Der See der Tränen hinter der sechsten Tür macht musikalisch deutlich, dass Judith spätestens jetzt nicht weiter insistieren sollte. Doch sie geht unaufhaltsam ihrem Untergang entgegen. Das Publikum bedankt sich für diese intensive Interpretation mit großem Applaus.

FAZIT

Musikalisch geht dieser Abend unter die Haut und bietet einen Klangrausch vom Feinsten.



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Ausführende

Deidre Angenent, Mezzosopran

Krisztián Cser, Bassbariton

Bochumer Symphoniker

Steven Sloane, Dirigent

 


Werke

Pjotr I. Tschaikowski
Romeo und Julia (Fantasie-Ouvertüre)
(Suites 1 und 2)

Béla Bartók
Herzog Blaubarts Burg
Oper in einem Akt
Libretto von Béla Balász

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den

Bochumer Symphonikern
(Homepage)



Da capo al Fine

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