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Irgendwann ist so eine Liebe halt vorbei
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Forster Herzog Blaubarts Burg ist fest verschlossen. Zu Beginn jedenfalls, denn da versperrt der Eiserne Vorhang die Bühne. Wenn er sich öffnet, wird das Publikum gleichsam hineingezogen in diese merkwürdige Burg, die ja eigentlich Blaubarts Seele bedeutet. Jedenfalls ist das wohl so gedacht, denn auf der Bühne sitzt bereits ein (sehr kleiner) Teil des Publikums in einem Halbkreis um die Spielfläche herum. (Eigentlich nicht auf der Bühne, sondern darüber, denn die Sessel hängen wie Schaukeln an langen Ketten.) Das Spiel mit dem Publikum wird Teil der Inszenierung von Paul-Georg Dittrich, die später auch in das Parkett übergreifen wird. Wir alle sind ein bisschen Judith, will uns das wohl sagen - kommt aber über diese Plattitüde nicht hinaus. Die Hölle sind literaturgemäß wir anderen: Die "Folterkammer" senkt sich über Judith und Blaubart, das Publikum schaut, teilweise auch im Halbrund auf der Bühne postiert, interessiert zu.
Aber zunächst trifft die echte und einzig wahre Judith, eine moderne junge Frau mit Gespür für herausfordernde Mode, auf einen formidablen Renaissancefürsten, den Blaubart erst einmal abgibt. Der möchte ihr auch sogleich angemessene Tracht umhängen (Ausstattung: Sebastian Hannak) - was natürlich nicht funktioniert, denn so leicht lässt sich diese Frau nicht vereinnahmen. Damit rebelliert Judith nicht nur gegen ein sehr in die Jahre gekommenes Rollenbild, sondern das Ablegen des Kostüms, nicht viel später auch bei Blaubart, versinnbildlicht auch die Öffnung des Innenlebens der Figuren. Das ist als Chiffre vielleicht ein wenig schlicht angelegt, gleichwohl sinnfällig. Geschlechterkampf (1): Blaubart und Judith, historisch
Wenn Judith die ersten beiden Türen der Burg öffnet - Folterkammer und Waffenarsenal Blaubarts -, dann senkt sich ein schuhkartonartiger Kasten auf die Spielfläche, durchsichtig und mit Ornamenten verziert wie aus der Architektur an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Darin sieht man ein Kind, ein Mädchen, das effektvoll ein Kissen zerreißt. Judiths Kindheit? Später, in der dritten und vierten Tür (Schatzkammer und Garten) gibt es eine heftige Liebesszene zwischen Judith und Blaubart. Zusätzlich gibt es Statistinnen (auf dem Besetzungszettel als "Judith 1", "Judith2" und "Judith 3" geführt), die verschiedene Lebensalter andeuten könnten, was allerdings, sollte es so gemeint sein, allzu ungenau inszeniert wäre. Zuletzt ist Judith eine unter mehreren Frauen Blaubarts. Wollte man darin eine durchgehende Liebesgeschichte erkennen, wie sie so oft passiert in der Welt und alsbald vorüber geht, wäre das eine sehr bescheiden anmutende Lesart, die so gar nicht zu dem erheblichen Aufwand passt, den die Regie treibt. Geschlechterkamp (2): Blaubart und Judith, modern
Um die Bühne herum zieht ein durchscheinender Vorhang, nicht sehr breit, seine Kreise, und darauf werden Videosequenzen projiziert, die Kai Wido Meyer in edlem Schwarzweiß gedreht hat. Kahle Bäume; leitmotivisch eine riesige Faust (die Blaubarts), die eine winzige Frau - Judith - umfasst (ein sehr plakatives Bildmotiv); immer wieder Überblendungen. Eine riesige Pupille lässt an Buñuels legendäre Sequenz aus Der andalusische Hund denken. Das sieht mitunter ganz hübsch aus, aber trägt nicht wirklich bei zur Deutung und führt letztendlich zu einer Überfrachtung der Inszenierung, die viel will, aber ihre Mittel nicht bändigen kann. Der Tränensee hinter der fünften Tür schwappt quasi ins Parkett, in das sich auch Judith und ihre Doppelgängerinnen begeben. Auf die Balkone werden Wörter projiziert (ein Sinn oder Zusammenhang erschloss sich von meinem Platz aus nicht). Über dem Parkett hängen (blaue?) Glühlampen (aber wann kommen die überhaupt zum Einsatz?). Ein bisschen soll dieser Blaubart, warum auch immer, zur Revue werden. Zweimal senkt sich von oben eine Leuchtreklame herab, auf dem in kleinen Buchstaben "es war einmal" und in großen Buchstaben "WAR NICHT" steht. Und wenn Judith pathetisch das leuchtende N und T auslöscht, dann steht da "WAR ICH". Die Regie geht verschwenderisch mit ihren Mitteln um, reiht Effekt an Effekt, um diesen dann regelmäßig verpuffen zu lassen. Was wollen uns diese Worte sagen?
Die Zuschauer auf der Bühne treten derweil gelegentlich als Statisten in Erscheinung, und das sieht dann leider sehr nach Laientheater aus. Wenn am Ende beim Öffnen der siebenten und letzten der verschlossenen Türen alle aufstehen, eine Art Nachttischlampe in die Hand gedrückt bekommen und sich wie zum Gruppenfoto in der Mitte versammeln, dann erreicht die Inszenierung ein schwer erträgliches Maß an Bieder- und Spießigkeit. Dabei ist es ja irgendwie gut gemeint: Wir alle könnten Blaubarts Geliebte sein (oder so ähnlich). Judiths gelber Mantel wirkt, wenn ihn alle tragen, plötzlich wie der billige Regenschutz, den man bei einem Open-Air-Festival für einen Euro erstehen kann. Dass sich Judith und Blaubart zwischendurch auch körperlich verletzt haben - geschenkt, das geht ebenso unter wie die Videoaufnahmen eines männlichen Geschlechts und weiblicher Brüste, über die Blut rinnt. Oder wie die Blumen, die man als Pfeile benutzen kann, und der Garten aus Spiegeln, in dem Judith auf ihr eigenes Spiegelbild einschlägt. Das sind Referenzen an den Symbolismus wie den Surrealismus, die über Stimmungsmalerei nicht hinauskommen. Und diese?
Sehr viel stringenter ist die musikalische Seite, auch wenn die Balance zwischen den beiden Sängerdarstellern und dem Orchester nicht immer gut austariert ist. Der ungarische Dirigent Gábor Káli am Pult der ausgezeichneten Essener Philharmoniker spitzt die Schärfen und Dissonanzen der Partitur zu und gibt den leisen Passagen oft eine brodelnde Unruhe. Wichtiger als melodische Entwicklungen sind großformatige Klangflächen, und auch der prägnant synkopische Grundrhythmus, der sich aus der Sprachmelodie ergibt, bleibt eher im Hintergrund. Was mitunter fehlt, ist ein Gespür für die Generalpausen. Judiths tonlose Reaktion auf den donnernden Choral an der fünften Tür, Blaubarts Reich, gerät allzu nebensächlich, dabei ist dieser Kontrast eine Schlüsselstelle der Oper. Und leider werden in manche Generalpausen Geräusche eingesteuert, Seufzen und Stöhnen und Wind - ein Unding, hier geht es schließlich nicht um den Soundtrack zu einem Film. Karl-Heinz Lehner gibt einen klar-prägnanten, sehr präsenten Blaubart, Deirdre Angenent eine klangschöne, lyrisch geprägte und doch kraftvolle, in den Ausbrüchen vielleicht nicht scharf genug attackierende Judith, und beide singen und spielen mit hohem Einsatz. Musikalisch ist das eine mitreißende Interpretation, die vieles bündeln kann, was auf der Bühne zerfasert.
Überfrachteter Geschlechterk(r)ampf: Die Regie will (zu) viel und findet dann vor lauter (oft plakativen) Einfällen letztendlich kein Thema. Musikalisch sehr eindrucksvoll. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Video
Dramaturgie
Solisten
Herzog Blaubart
Judith
Judith 1
Judith 2
Judith 3
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