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Emotionen pur im Konzerthaus Von Thomas Molke / Fotos: © Holger Jakoby Während man im Fußball in Dortmund um den Einzug ins Champions-League-Finale fiebert, konzentriert man sich im Musiktheater derzeit auf Richard Wagner. Am 9. Mai 2024 beginnt in der Oper Dortmund der mittlerweile fünfte Wagner-Kosmos, bei dem jeweils ein Werk Wagners in zeitlichen Kontext zu anderen Kompositionen der Zeit gestellt wird. In diesem Jahr wird Wagners Ring in der Inszenierung von Peter Konwitschny mit dem Vorabend Das Rheingold weitergeschmiedet. Die einzelnen Teile stehen in der neuen Dortmunder Produktion nicht in zeitlicher Reihenfolge, und so folgt der Vorabend erst auf den ersten und zweiten Tag des Zyklus. Im Konzerthaus geht man da andere Wege. Während kurz vor der Premiere der Walküre vor zwei Jahren im Opernhaus Yannick Nézet-Séguin mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra und einer großartigen Riege von Solistinnen und Solisten einen fulminanten Auftakt mit dem Rheingold präsentierte (siehe auch unsere Rezension), geht es nun chronologisch mit der Walküre weiter. Selbst wenn die Aufführung konzertant ist und an drei Pulten (im dritten Aufzug nur noch an zwei) teilweise vom Blatt abgesungen wird, lässt es sich das hochkarätige Ensemble nicht nehmen, auch darstellerisch pure Emotionen zu vermitteln und das Publikum tief in die Gefühlswelten der Figuren eintauchen und an ihrem tragischen Schicksal teilhaben zu lassen. Yannick Nézet-Séguin mit dem Rotterdam Philharmonic Orchestra Die Walküre nimmt mit Sicherheit von den vier Teilen des Ring des Nibelungen eine Sonderstellung ein. Zum einen wird in diesem Stück die Liebe in ihrer reinsten Form präsentiert, auch wenn es sich dabei mit dem Wälsungenpaar Siegmund und Sieglinde eigentlich um eine inzestuöse Beziehung handelt. Dennoch erreicht Wagner musikalisch zwischen diesen beiden Figuren eine Innigkeit, die im weiteren Verlauf des Rings ihrem gemeinsamen Sohn Siegfried und Brünnhilde, deren Liebe letztendlich Verrat und Betrug zum Opfer fällt, nicht zuteil wird. Selbst die Beziehung zwischen Brünnhilde und ihrem Vater Wotan geht weit über das hinaus, was an Gefühlen in späteren Teilen des Rings zu erleben ist. Zum anderen werden in keinem anderen Teil der Tetralogie der persönliche Schmerz und die Tragik der Figuren spürbarer, da das Schicksal des Wälsungenpaars, das nur am Ende des ersten Aufzugs einen ganz kurzen Moment des persönlichen Glücks erfährt, zu Tränen rührt. Von daher verwundert es nicht, dass dieser zweite Teil bisweilen im Repertoire ein Eigenleben führt und auch außerhalb des kompletten Zyklus zur Aufführung gelangt. Im Konzertrepertoire beschränkt man sich bisweilen sogar auf den ersten Aufzug der Walküre. Das ist in Dortmund allerdings nicht geplant. Hier soll schon in den folgenden Jahren der komplette Zyklus mit Yannick Nézet-Séguin und dem Rotterdam Philharmonic Orchestra erklingen. Hunding (Soloman Howard) ist misstrauisch. Der Abend startet mit nahezu bedrohlicher Vehemenz. Nézet-Séguin peitscht das Rotterdam Philharmonic Orchestra regelrecht durch den Sturm und setzt Siegmunds Flucht vor Hundings Sippe lautmalerisch grandios um. Stanislas de Barbeyrac gibt in den ersten Tönen mit zarten Nuancen einen geschwächten Siegmund, der sich noch so eben in das fremde Haus gerettet hat. Sofort zieht er die Aufmerksamkeit Sieglindes auf sich, die Elza van den Heever mit jugendlich frischem Sopran ansetzt. Im weiteren Verlauf setzt de Barbeyrac die Partie fast baritonal an, was mit van den Heevers Sopran wunderbar harmoniert. Die beiden haben stimmlich einen nahezu innigen Moment, bis die Harmonie vom Auftritt Hundings gestört wird. Beim Anblick Soloman Howards, der unter seinem Sakko nur eine Weste trägt und einen gestählten Oberkörper präsentiert, fragt man sich vielleicht, was Sieglinde optisch an diesem Gatten auszusetzen hat. Aber schließlich kommt es ja nicht nur auf äußere Werte an. Und dass dieser Hunding charakterlich kein angenehmer Typ ist, macht Howard direkt mit den ersten Tönen deutlich. Mit eiskalten Tiefen, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen, fragt er sich, wer denn da uneingeladen seine Gastfreundschaft ausnutzt. Auch in der Mimik nimmt man ihm das Misstrauen gegenüber dem Fremden in seinem Haus ab. Trotzdem erweist er sich als Ehrenmann, der das Gastrecht einhält und den Feind erst am nächsten Tag zum Kampf herausfordern will. Aber Sieglinde misstraut seinen Blicken und setzt ihn vorsichtshalber doch mit einem Schlaftrunk außer Gefecht. Siegmund (Stanislas de Barbeyrac) und Sieglinde (Elza van den Heever) haben sich gefunden. Siegmund hat sich mittlerweile durch das gemeinsame Mahl mit Hunding etwas gestärkt. So kann de Barbeyrac bei den folgenden "Wälse"-Rufen zeigen, welche heldentenoralen Kräfte in ihm stecken, bevor van den Heever wieder auftaucht und die Geschwister sich endgültig erkennen. Die berühmte fast schon an eine klassische Arie erinnernde Szene "Winterstürme wichen dem Wonnemond" überschüttet in der musikalischen Interpretation durch de Barbeyrac und van den Heever das Publikum mit einer Welle des Glücks. De Barbeyrac glänzt dabei stimmlich, ohne zu forcieren. Man hat das Gefühl, dass er allein mit seiner Stimme das Schwert aus der Esche Stamm zu ziehen vermag. Bei der folgenden ekstatischen Musik tauschen de Barbeyrac und van den Heever intensive Blicke aus und bewegen sich langsam aufeinander zu. Beim letzten Ton kommt es zu einer zarten Umarmung und die Köpfe berühren einander an der Stirn. Zwar beschreibt die Musik hier etwas ganz anderes, aber schließlich hat man im Konzerthaus ja keinen Vorhang, der hier, wie es in der Regieanweisung verlangt wird, schnell fallen könnte, um das folgende Geschehen den Blicken des Publikums zu entziehen. Schon nach dem ersten Aufzug gibt es stehende Ovationen für die eindringliche Interpretation. Auf dem gleichen Niveau geht es im zweiten Aufzug weiter. Tamara Wilson macht direkt beim ersten "Hojotoho"-Ruf deutlich, welche stimmlichen Kräfte in ihr stecken. Mit vollem Sopran ist sie Walküre durch und durch und versteht es dabei, die Höhen sehr differenziert anzusetzen. Da gelingen ihr als mitfühlender Maid auch sehr zarte Töne. Brian Mulligan legt ihren Vater Wotan zunächst mit recht hellem Bariton an. Wie das Orchester im Vorspiel andeutet, fühlt er sich zu Beginn noch als Sieger und glaubt, dass sein Plan aufgeht. Doch er hat die Rechnung ohne seine Gattin Fricka gemacht. Karen Cargill zeigt schon bei ihrem Auftritt allein mit ihrer Bühnenpräsenz und ihrer Mimik ganz klar, dass man sie als Gegnerin nicht unterschätzen darf. Sie tritt auf der linken Seite auf, auf der Wotan steht, um majestätisch an ihm vorüber auf die rechte Seite zu ziehen. Von dort führt sie auch das Kampfgespräch, aus dem sie schließlich als Siegerin hervorgeht. Brünnhilde scheut die Konfrontation mit der Gattin ihres Vaters und geht zur rechten Seite ab. Wenn sie auf der rechten Seite zurückkehrt, wendet Fricka ihr den Rücken zu, während sie ihr mitteilt, auf die neue Weisung Wotans zu warten, bevor sie erneut zur linken Seite hinüber schreitet, um triumphierend an Wotan vorbeizugehen. Das kann man darstellerisch kaum besser inszenieren. Und auch stimmlich begeistert Cargill mit einem satten Mezzosopran, der Wotan in ihrer Gegenwart immer kleiner werden lässt. Bewegend schildert Mulligan als Wotan dann die Vorgeschichte und erläutert Brünnhilde, wieso sie Siegmund nicht schützen darf. Wilson zeigt sich zunächst störrisch, weil sie den wahren Wunsch Walvaters durchschaut. Doch da zeigt sich Mulligan unerbittlich und weist die Tochter mit autoritären Tiefen in ihre Schranken. So wartet die Walküre ein wenig enttäuscht auf Siegmund, um ihm seinen bevorstehenden Tod zu verkünden. Doch der Held zeigt sich ungerührt und will lieber mit der bräutlichen Schwester gemeinsam ins Reich des Todes hinabsteigen. Solche Gefühle hat die Walküre noch nicht erlebt. Großartig setzt Wilson den Wandel um und beschließt fortan, dem Gebot Wotans zu trotzen und Siegmund im Kampf zu schützen. Wenn Howard als Hunding dann zum Kampf auftritt, hat er das Sakko ausgezogen und lässt im wahrsten Sinne des Wortes seine Muskeln spielen. Sein Bass bewegt sich wieder in absoluten Tiefen. Doch bevor Brünnhilde Siegmund zum Sieg verhelfen kann, geht Wotan dazwischen und zertrümmert Siegmunds Schwert. Brünnhilde hat nur noch die Möglichkeit, Sieglinde und die Stücke des Schwertes in Sicherheit zu bringen, während der völlig überforderte Hunding mit Wotan allein auf der Bühne zurückbleibt. Verächtlich schleudert Mulligan ihm ein "Geh" entgegen und Howard verlässt apathisch die Bühne. Auch dieser Aufzug lässt szenisch nichts vermissen. Im dritten Aufzug treten dann zum berühmten Walküren-Ritt, den das Rotterdam Philharmonic Orchestra mit tosender Wucht ansetzt, die acht Walküren auf. Jessica Faselt, Brittany Olivia Logan, Justyna Gluj, Iris van Wijnen, Maria Barakova, Ronnita Miller, Anna Kissjudit und Catriona Morison begeistern als Walküren durch strahlend leuchtende Stimmen und tragen ihre Partien ohne Textbuch vor. Stimmlich und darstellerisch versuchen sie, ihre Schwester vor Wotans Zorn zu schützen, doch geben schließlich der Autorität des Vaters nach. Van den Heever hat mit "O hehrstes Wunder" einen grandiosen Abgang, und man ist wehmütig, dass man dieser Figur im nächsten Teil nicht noch einmal begegnen darf. Mulligan und Wilson haben eine bewegende Schlussszene, die unter die Haut geht. Wieder glänzt Wilson durch nuancierte Phrasierungen, so dass es der Walküre schließlich doch gelingt, einen Feuerkreis zum Schutz zu erhalten. Der Feuerzauber wird vom Rotterdam Philharmonic Orchestra eindringlich zelebriert, bis man im Orchester im zarten Harfenklang die Flammen lodern hört. Nach dem letzten Ton scheint das Publikum regelrecht in Trance zu sein. Erst nach einigen Sekunden der Stille erlöst ein "Bravo"-Ruf die Ergriffenheit und lässt das Publikum in tosenden Jubel für alle Beteiligten ausbrechen. FAZIT Mit dieser konzertanten Walküre wird bereits die Vorfreude auf die weiteren Teile mit Nézet-Séguin und dem Rotterdam Philharmonic Orchestra geweckt. Wer so lange nicht warten möchte, hat in Dortmund ja den Luxus, den Ring auch szenisch im Opernhaus erleben zu können, wenn auch in verdrehter Reihenfolge.
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Ausführende Yannick Nézet-Séguin, Dirigent Rotterdam Philharmonic Orchestra
Siegmund Sieglinde Hunding Wotan Fricka Brünnhilde
Helmwige Gerhilde Ortlinde Waltraute Siegrune Grimgerde Schwertleite Roßweiße
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