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Eine experimentelle Abhandlung über das Suchen nach Liebe in Mozarts Zauberflöte
Von Stefan Schmöe Der Versuch, Deutungshoheit zu erlangen, ist nicht minder zum Scheitern verurteilt wie der Versuch, etwas Niedagewesenes hervorbringen zu wollen. So hat Bruno Klimek, Regisseur der Dortmunder Neuproduktion der Zauberflöte, in den (im knappen, aber klugen Programmheft abgedruckten) Notizen zur Zauberflöte die Voraussetzungen seines Regieansatzes treffend umrissen. Das populäre, aber in seinen Widersprüchen und Brüchen letztendlich unverstandene Werk lebt bei jeder Neuinszenierung auch von der ungeheuer weit gespannten Erwartungshaltung, die vom kindgerechten Volksmärchen bis zur Dekonstruktion durch das Regietheater reicht. Und weil die endgültige Entschlüsselung (trotz der interessanten Deutung des Ägyptologen Jan Assmann siehe unsere Rezension) noch aussteht, bleibt eben doch auch die Hoffnung auf das Niedagewesene. Das alles lehnt Klimek also von Vornherein ab, noch dazu jede Niedlichkeitserwartung. (Und wer seine Kinder hier mit einer heiteren Märchenoper an das Musiktheater heranführen möchte, wird in der Tat bitter enttäuscht.) Das alles klingt ein wenig nach typischer Dramaturgenrechtfertigung, wie man sie in so manchem Programmheft findet, ist es aber nicht vielmehr ist dies das Thema von Klimeks Konzept, das die Brüche und Widersprüche thematisiert, anstatt sie erklären oder kaschieren zu wollen. Bei allem, was er zeigt, ist neben dem Werk selbst auch dessen Rezeption mitgedacht. Als Bühnenraum hat Thomas Armster einen weißen Guckkasten gebaut, der vorne und hinten durch eine hochziehbare Leinwand abgeschlossen ist. Der Chor agiert konsequent dahinter, die Hauptfiguren können auch schon einmal den schmalen Streifen davor nutzen. Der Raum lässt sich raffiniert ausleuchten, schon seine Wände können in strahlend weißem Licht aufleuchten, wogegen dahinter alles schwarz ist da zeichnet sich die Nacht-Tag-Dialektik ab. Auf Requisiten wird fast vollständig verzichtet, sodass eine experimentelle, stark abstrahierte Situation entsteht. Die Geschichte bleibt eine gedankliche; ein Zauberreich mit Bergen und Tempeln sucht man vergebens. Und darin soll sich die Zauberflöte inszenieren lassen? Rettung verheißt allein die konsequente Beschäftigung mit den Figuren und den Situationen, denen sie ausgesetzt sind. Das ist natürlich eine Trivialität und gilt im Prinzip für jede Inszenierung und jedes Stück. Trotzdem ist der Hinweis hier richtig, denn er trifft den Kern der Inszenierung. Klimek ordnet sein Figurenpersonal in einer Rangfolge, bei der ganz oben Pamina und Papageno stehen das sind die Hauptfiguren, weil sie am menschlichsten sind und weil ihre Leidensgeschichte die eigentliche Geschichte dieser Oper ist. Am anderen Ende stehen die drei Damen der Königin, Relikte aus dem Barocktheater, wandelnde Kulissenteile in verfremdet historisierenden Kostümen. Alle anderen bewegen sich dazwischen. Tamino wird nicht von einer Schlange, sondern drei barbusigen Damen verfolgt und halb entkleidet. Es wird nicht ganz klar, ob das eine traumatische Erfahrung am Anfang der Handlung oder ein mehr allgemeiner Verweis auf das Thema Liebe und Sexualität ist, um das es natürlich auch geht. Jedenfalls legt sich Tamino einen Panzer zu, szenisch aus Leder und Rüstungsteilen, den man aber auch als emotionalen Panzer verstehen darf Pamina, im Unterkleid bekleidungstechnisch wie emotional gänzlich schutzlos, wird letztendlich eben daran scheitern. Klimeks regieästhetische Sprache, die Charaktere über die Kleidung zu definieren, war zuletzt auch in der wenig geglückten Mönchengladbacher Aida zu erkennen in dieser Zauberflöte wirkt das Konzept sehr viel stringenter, wohl auch, weil Klimek hier die passenderen Sänger hat. Martina Schilling ist eine anrührende und zerbrechliche, geradezu kindliche Pamina, wozu ihre offene, sicher noch entwicklungsfähige Stimme beiträgt: Mit silbrigem, manchmal noch metallisch unausgewogenem Klang wird da auch musikalisch viel Verletzbarkeit hörbar. Und dann riskiert sie mit Erfolg in der hohen Lage ein ätherisches, dennoch substanzvolles Pianissimo (So wird Ruh' im Tode sein), wie man es ganz selten hört - alle Achtung. Und der lausbubenhafte Papageno von Brian Dore braucht keinerlei Federn und Vögel, der Amerikaner darf sogar zwischendurch in seiner Muttersprache darüber fluchen, dass er das alles auf Deutsch singen soll da wird die Volkstümlichkeit der Figur erst klischeebereinigt und dann in zeitgemäßer Form neu aufgestellt. Dore singt mit schlankem und jugendlichem Bariton, und die allerschönste Szene der Aufführung ist, wie er sich bei der eben zitierten Arie Paminas zu ihr umdreht und in seinem mitfühlendem Blick alles Leid dieser Oper liegt. Wer da nicht begreift, dass eigentlich Pamina und Papageno zusammengehören, hat nicht richtig hingeschaut. (Und schließlich gehört ihnen ja auch das einzige ausgedehnte Liebesduett der Oper "Bei Männern, welche Liebe fühlen"). Das ist ja keine neue Idee und schon in Wolfgang Hildesheimers nicht mehr taufrischer, aber bahnbrechender Mozart-Biografie nachzulesen, aber um das Neuartige geht es ja auch nicht. Natürlich hat man auch schon den Sarastro als Sektenführer gesehen (Vidar Gunnarsson verschleppt mit dumpfem, in der Tiefe unhörbarem Bass leider in beiden Arien das Tempo); hier wird diese Sichtweise allerdings noch einmal ironisch gebrochen. Dies ist überhaupt eine der witzigsten Zauberflöten-Inszenierungen seit langem, mit vielen Umdeutungen und Anspielungen. Ein sehr eindrucksvolles Bild gelingt Klimek in der Heilge-Hallen-Arie Sarastros: Da ist Pamina durchaus entschlossen, ihn zu töten, und er zwingt sie halb väterlich, aber auch halb wie ein Vergewaltiger in seine vergebenden Arme da wird viel von der Ambivalenz der Szene deutlich. Die Ethik des Vergebens ist eben die der Mächtigen, die den anderen die Freiheit zur moralischen Entscheidung nimmt. Charles Kim ist ein Tamino mit heldentenoralen Zügen, aber auch einem sehr unausgeglichener Stimme: Manches gelingt prächtig, andere Phrasen versanden flach. Die Zauberflöte ist hier eine echte Querflöte, mit der er wie mit einem Schwert fuchtelt und zum Entsetzen aller Musikliebhaber auch mal kräftig auf den Boden haut. Die Königin der Nacht gehört wie ihre Damen, wenn auch weniger ausgeprägt, zum Fundus des Barocktheaters mit pompösem Auftritt und gewaltigem Kleid. Ein dramatischer Sopran ist Christina Rümann nicht, und so fehlt es der lyrischen Stimme in der ersten Arie an Kraft. Die zweite dann aber (Der Hölle Rachen kocht in meinem Herzen) ist mit ungeheurem Furor gesungen, und Koloraturen wie Spitzentöne perlen mit einer Sicherheit und Geläufigkeit, als sei dies die einfachste Sache der Welt ein grandioser Auftritt. Famos sind auch die drei Knaben (Carlo Wilfart, Jan Paul Albers und Lukas Weyergraf sind Solisten der Dortmunder Chorakademie), die von den Balkonen oder von der unverkleideten Hebebühne (eine Anspielung auf das barocke Maschinentheater) singen. Brillant ebenfalls Bart Driessen als Sprecher, zweiter Geharnischter und erster Priester (die Figuren sind zu einer zusammengezogen) mit viel spielerischem und musikalischem Witz; Blazej Grek als sein Kompagnon (zweiter Priester und erster Geharnischter) steht ihm kaum nach. Solide singen die drei Damen (Lydia Skourides, Vera Semienuk und Ji Young Michel) sowie Stephan Boving als Monostatos und Julia Giebel als Papagena. Vorzüglich spielen die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Ekhart Wycek. Das Klangbild ist hell und klar und wird von den Streichern bestimmt. Sicher ließen sich noch mehr Zwischentöne hörbar machen (das hat Markus Stenz in der allerdings szenisch desaströsen Kölner Zauberflöte gezeigt); hier ist der Klang leicht und spritzig, die Tempi flott und unpathetisch. Etwas dumpf klingt der Chor, was an der ungünstigen Position liegen könnte. Es gibt also viel zu hören und trotz des spartanischen Bühnenbildes viel zu sehen in dieser Produktion bis zum Schluss. An ein glückliches Ende glaubt der Regisseur nicht und darf sich da durchaus auf Mozart berufen: Der im Schlussjubel das hohe Paar Tamino und Pamina ja auch nicht mehr einkomponiert. Es jubeln nur die, die den Anspruch auf moralische Rechtssprechung für sich beanspruchen, weil sie die Macht haben (die moralische Integrität hat Klimek ihnen ja längst abgesprochen). Klimek inszeniert einen doppelten Schluss. Einen, bei dem Pamina tot am Bühnenrand liegt. Und einen, bei dem Tamino, jetzt in Alltagskleidung und kein hehrer Prinz, sondern fühlender Mensch, sie wieder zum Leben erweckt. Denejenigen, die am Ende ebenso unverständlich wie unberechtigt in ungewohnt heftiges Buh-Geschrei ausbrachen, dürfte entgangen sein, dass Klimek damit Mozarts Humanitätsideal wie ein Ausrufezeichen an das Ende der Oper setzt selbst wenn das gegen lieb gewonnene Theaterkonventionen verstößt. FAZIT Keine einfache, aber eine kluge, spannende und auch witzige Inszenierung, die sehr ernste und bewegende Bilder findet und auch musikalisch ganz starke Momente hat. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Pamina
Tamino
Königin der Nacht
Sarastro
Papageno
Papagena
1. Dame
2. Dame
3. Dame
Monostatos
1. Priester
2. Priester
Zweiter Geharnischter
Drei Knaben
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