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Zauberinsel in der Neuen Welt
Von Thomas Molke /
Fotos von Gert Kiermeyer Im Rahmen der diesjährigen Händel-Festspiele hat sich die Oper Halle Händels Zauberoper Alcina vorgenommen, die zusammen mit Ariodante und Orlando gewissermaßen einen Zyklus von Werken über Ariostos Epos Orlando furioso bildet. Wie Ariodante war auch Alcina nicht mehr für das Theater am Haymarket bestimmt, sondern erlebte ebenfalls die Uraufführung am Theatre Royal in Covent Garden, wo eine Balletttruppe zur Verfügung stand, so dass beide Werke als Ballettopern konzipiert wurden. Andrej Woron hat in seiner Inszenierung zwar Tanzelemente eingebaut, ansonsten aber mit seinem Dramaturgen Roland Quitt durch Umstellen einzelner Arien und Szenen und mit einigen Strichen eine zweiaktige Spielfassung erarbeitet, die das Stück in seiner Grundstruktur beibehält. Alcina (Romelia Lichtenstein) ist glücklich mit Ruggiero (Terry Wey). Melisso (Ki-Hyun Park) und Bradamante (Bettina Ranch) müssen tatenlos zusehen. Die Geschichte erzählt von der Zauberin Alcina, die Ritter auf ihre Insel lockt, um sie in wilde Tiere zu verwandeln. Auch der Ritter Ruggiero ist in ihrem Reich gelandet. Da Alcina sich jedoch in ihn verliebt hat, verwandelt sie ihn nicht, sondern lässt ihn nur seine Pflicht vergessen und führt mit ihm ein sinnenfrohes Leben. Allerdings hat sich Ruggieros Verlobte Bradamante mit dessen Erzieher Melisso aufgemacht, um den verschollenen Geliebten zu suchen, und strandet ebenfalls auf der Insel. Als Vorsichtsmaßnahme gibt sich Bradamante als ihr eigener Bruder Ricciardo aus. Ruggiero erkennt sie nicht, macht ihr aber klar, dass er seine ehemalige Verlobte vergessen habe und bei Alcina bleiben wolle. Zu allem Unglück verliebt sich Alcinas Schwester Morgana in die verkleidete Bradamante, was wiederum die Eifersucht Orontes hervorruft, der als Feldherr Alcinas mit Morgana liiert ist. Schließlich gibt sich Melisso Ruggiero zu erkennen und überzeugt ihn, dass er die Insel verlassen muss. Alcina versucht verzweifelt, den Geliebten zu halten, und stellt erschrocken fest, dass sie mit ihrer Liebe zu Ruggiero zugleich auch ihre Macht über die Insel verloren hat. So muss sie tatenlos zusehen, wie Ruggiero im Moment seiner Abreise die Zauberinsel zerstört. Der Zauber wird aufgelöst und die zurückverwandelten Menschen preisen den Wandel zum Guten. Versöhnung zwischen Morgana (Ines Lex) und Oronte (Andreas Karasiak) Andrej Woron assoziiert Alcinas Zauberreich mit der "neuen" Welt, die die Europäer seit Columbus entdeckt haben, und sieht in deren Bewohnern Eingeborene, die noch im Einklang mit der Natur leben. So hat Alcina die zahlreichen Ritter nicht in irgendwelche Tiere verwandelt - Obertos Vater stellt hierbei als Bär eine Ausnahme dar -, sondern lässt sie exotische Blätter als Kopfschmuck tragen, der eine Verbundenheit mit der Natur fernab jeglicher Zivilisation suggeriert. Nur Oronte macht mit seinem dunkelblauen Generalssakko und dem kriegerischen Kopfschmuck deutlich, dass auf dieser Insel keineswegs alles so friedlich zugeht, wie Alcina es gerne hätte. Allerdings ist Oronte auch musikalisch der einzige Inselbewohner, der mit seinen Intrigen gegen die Fremden auf der Insel den Frieden stört. Alcina hingegen wirkt in ihrem weißen Gewand mit langen schwarzen Haaren sehr mild. Ihre Liebe zu Ruggiero hat ihren Zauber bereits gebrochen. Da vermag auch ihr knallrotes Kostüm im zweiten Akt ihre ehemalige Macht nicht mehr aufleben lassen. Die hochtoupierten Haare erinnern hierbei an eine Barockfrisur und zeigen, dass Alcina durch ihre Zuneigung zu Ruggiero längst Opfer der Zivilisation geworden ist. In diesem Zusammenhang verwundert es auch nicht, dass sich Melisso als Priester kleidet, wenn er Ruggiero auf den rechten Weg der Tugend zurückführen will. Ruggiero (Terry Wey) zwischen Alcina (Romelia Lichtenstein, Mitte) und Bradamante (Bettina Ranch, rechts) Das Bühnenbild zeigt Alcinas Reich als eine sandfarbene Oase mit zwei Palmen und einem Teich, der durch den Lichteinfall an der Decke reflektiert wird und somit ein faszinierendes Bild erzeugt. Hinter der sandfarbenen Wand befinden sich hohe exotische Bäume, aus denen das Zauberreich seine Kraft schöpft. So ist es auch konsequent, Ruggiero am Ende einen großen Strauch zerstören zu lassen, um das ganze Reich zum Einsturz zu bringen. Die sandfarbene Oase wird in den Schnürboden gefahren, die Bäume verschwinden, und alles, was bleibt, ist ein schwarzes Nichts. In dieses Nichts lässt Woron Alcina mit ihrer Arie "Mi restano le lagrime" in einem schwarzen Kleid aus dem Orchestergraben treten. Auch wenn diese Arie in der Partitur eigentlich nicht am Schluss steht, sondern Alcina danach noch ein letztes Mal versucht, Ruggiero zu halten, stellt Woron Alcinas Klage an das Ende direkt vor den Chor, der den Sieg der Liebe preist, da aus seiner Sicht diesen Worten Alcinas nichts mehr hinzuzufügen ist. So lässt er sie auch mitten in der Arie zusammensinken und den Gesang abbrechen. Der Jubelchor danach erhält damit einen faden Beigeschmack. Alcinas (Romelia Lichtenstein) Macht ist gebrochen. Gesungen wird auf hohem Niveau. Jeffrey Kim gibt sein Debüt bei den Händel-Festspielen als Oberto. Optisch und stimmlich überzeugt er in der Rolle des verzweifelten jungen Mannes, der auf der Suche nach seinem Vater ist. Sein Countertenor klingt dabei leicht und jugendlich. Ki-Hyun Park begeistert mit kräftigem Bass als Melisso und zeigt sich stimmlich und darstellerisch absolut unnachgiebig. Andreas Karasiak mimt einen leicht diabolischen Oronte mit teilweise etwas schneidendem, aber zur Rolle gut passendem Tenor. Ines Lex verfügt als Morgana über einen strahlenden Sopran und wirkt in ihren Kostümen recht verführerisch. Ein Höhepunkt ist ihre Arie "Credete al mio dolore" im zweiten Akt, in der sie Oronte um Vergebung bittet, nachdem sie erkannt hat, dass der von ihr angebetete Ricciardo eine Frau ist. Was der fliegende Hai und der fliegende Clownfisch in dieser Szene bedeuten sollen, erschließt sich nicht, auch wenn es beim Publikum für einige Lacher sorgt und das Bild, wenn Oronte und Morgana mit den beiden Fischen an der Leine versöhnt die Bühne verlassen, durchaus bewegt. Bettina Ranch stattet Bradamante mit wohl-timbriertem Mezzo und beweglichen Koloraturen aus, die sie vor allem in ihrer ersten Arie "È gelosia" unter Beweis stellen kann, wenn sie Ruggiero in den Armen Alcinas vorfinden muss. Auch in ihrer Arie "Vorrei vendicarmi" lässt sie die Koloraturen perlen und vollzieht gekonnt den Wandel von der wütenden zur verzeihenden Frau. Terry Wey überzeugt als Ruggiero mit kräftigem Countertenor, der darstellerisch auch in den Höhen stets viril klingt. Besonders eindrucksvoll gelingen ihm seine Zweifel in der Arie "Mi lusinga il dolce affetto" am Ende des ersten Aktes, in der er überlegt, ob er Alcina wirklich für Bradamante verlassen soll. Grandios gelingt ihm auch die Gleichnisarie "Sta nell'ircana pietrosa tana", in der er Alcina mit einer Tigerin vergleicht, die überlegen muss, ob sie sich zum Schutz ihres Jungen dem Jäger stellen oder lieber ihr eigenes Leben retten soll. Die Titelpartie ist mit der vor kurzem zur Kammersängerin ernannten Romelia Lichtenstein, wie zu erwarten, großartig besetzt. Lichtenstein lotet die Rolle nicht nur darstellerisch zwischen unberechenbarer Zauberin und liebender Frau überzeugend aus, sondern versteht es auch, mit ihrem dramatischen Sopran die unterschiedlichen Emotionen treffend auszudrücken. Großartig gelingt ihr die Arie "Ah, mio cor!" direkt vor der Pause, in der sie sich auffordert, sich nicht dem Schmerz hinzugeben, sondern ihre Macht zu nutzen. Auch das Bild, das Woron für diese Szene findet, ist gelungen. Lichtenstein wird in dem Teich emporgefahren, im Hintergrund wird sie von Oronte, Morgana, Melisso und Oberto beobachtet und unter dem Teich befinden sich Ruggiero und Bradamante in inniger Umarmung. Wie gebrochen Lichtenstein am Ende die Arie "Mi restano le lagrime" präsentiert, beweist, welch große Sängerdarstellerin dem Theater Halle hier zur Verfügung steht. Bernhard Forck rundet den Abend mit dem präzise einstudierten Händelfestspielorchester Halle hervorragend ab, so dass es am Ende lang anhaltenden Applaus für einen durchweg gelungenen Abend gibt. FAZIT Andrej Woron gelingt mit seiner zweiaktigen Fassung eine stimmige Umsetzung des Werkes. Die Sängerdarsteller leisten das Übrige, um zu einem rundum gelungenen Opernabend beizutragen. Weitere Rezensionen zu den Händel-Festspielen 2012 in Halle Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne und Kostüme Mitarbeit Bühne und Kostüme Choreographie und Co-Regie Choreinstudierung Dramaturgie
Chor der Oper Halle Statisterie der Oper Halle Ballett Rossa Ballettstudio der Oper Halle Händelfestspielorchester
SolistenAlcina Ruggiero Morgana,
Schwester Alcinas Bradamante,
Verlobte Ruggieros
Oronte, Feldherr Alcinas Melisso, Vertrauter Bradamantes Oberto Bär
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