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Auf dem Weg in den Wahnsinn Von Joachim Lange / Fotos: Ruth Walz Richard Wagners Parsifal behält immer einige Geheimnisse für sich. Wie zum Trotz. Weil sich die Aufführung des bombastischen Bühnenweihfestspiels eben nicht für alle Zeiten auf den Grünen Hügel beschränken ließ, wie Richard es wollte und Cosima es, so lange es halt ging, durchsetzte. Als zentrale Messe für die Wagnerianer aller Länder, für die man eben zum heiligen Gral nach Bayreuth wallfahren muss. Um dort vor allem zu staunen und zu glauben. Die Zeiten, in denen den Gralshütern „treu bis zum Tod“ gefolgt wurde, sind aber selbst auf dem Grünen Hügel vorbei. Spätesten seit Christoph Schlingensief und dann Stefan Herheim sich jeder auf seine Weise am Allerheiligsten vergangen haben. Andernorts galt das ohnehin nie. Und doch hat oftmals nicht nur der Knabe Parsifal selbst keinen Schimmer, was ihm da in dieser Männergesellschaft an Ritual vorgeführt wird, in deren Abgeschiedenheit von der Welt (und der weiblichen Hälfte der Menschheit) er bei der Schwanenjagd eingedrungen ist. Gralsenthüllung im ersten Aufzug Wie stark die Bayreuther Beneblungsstrategie nachwirkt, zeigte sich sogar bei der Osterfestspiel-Premiere der Berliner Staatsoper, die noch immer mit dem Schillertheater vorlieb nehmen muss. Selbst die sonst eher vorwitzig respektlosen Berliner hielten sich an das fragwürdige Applausverbot nach dem ersten Aufzug. In der „richtigen“ Kirche wird halt auch nicht geklatscht. Auch Daniel Barenboim schenkte sich diesmal jede Begrüßungs-Huldigung und zeigte sich erst nach getaner Arbeit mit der Staatskapelle. Dirigiert hatte er in einem mittleren Tempo, manchmal mit recht lospolternden Paukenschlägen oder instrumentalen Einzelstimmen, jedenfalls ohne es aufs Analytische oder allzu Weihevolle anzulegen. Dafür verhalf er seinem exzellenten Sängerensemble durchweg zu seinem Recht. Das musste sich ohnehin zusätzlich auf Kindheits-Traumata, die Dämonisierung und Tabuisierung des Sexuellen, Obsessionen Einzelner und Gruppen-Rituale konzentrieren, als sich vor allem im überirdischen Zelebrieren zu ergehen. Parsifal (Andreas Schager) bei den Blumenmädchen Der pubertäre Knabe Parsifal platzt in kurzen Hosen, mit voller Wanderermontur und Armbrust bei einer spartanischen, mies gelaunten Männertruppe in heutigen Winterklamotten herein. Die pflegen hinter dicken Gewölbemauern (vielleicht weit hinter dem Ural) Rituale, die (nicht nur für den Knaben) unverständlich bleiben. Da macht ein alter Herr im langen Ledermantel Probeliegen im Holz-Sarg und freut sich dann doch, als er lebendig wieder herausklettert. Seinem verwundeten Sohn wird Blut abgezapft, als wäre er der Heiland der Christen und jeder von der Truppe will was davon abhaben. Klingsor lebt in der Gegenwelt. Es ist der gleiche Raum, nur jetzt in sterilem Weiß. Ein Filzlatschen-Mann mit Strickjacke und mehr als einer Psychomacke, nennt jede Menge Kinder und Mädchen in hübschen Blumenkleidern mit Lutscher und Puppen sein Eigen. Fritzl lässt grüßen. Parsifal (Andreas Schager) und Kundry (Michaela Schuster) Als Parsifal Kundry hier wieder begegnet bricht es aus ihm heraus. Das „Amfortas! Die Wunde!“ wird bei Schager zu einem Anfall von Selbsterkenntnis und schmerzhaft erfahrenem Erwachsenwerden. Andreas Schager, der spätestens als Siegfried der Ringproduktion in Halle zur Spitzenriege der Wagnersänger durchstartete, erweist sich spätestens hier als ein phänomenaler Parsifal, dessen ungebrochene Strahlkraft bis nach Bayreuth hallt, wo er für den nächsten Parsifal schon gebucht ist. Auch Kundry, Anja Kampe, ist eine moderne Frau von heute. Sie ringt (trotz schwerer Grippe) überzeugend mit sich und ihrem Schicksal. Wolfgang Koch kämpft als Amfortas handfest um seinen Tod. Tómas Tómason ist Klingsor und Matthias Hölle der Titurel mit der Sargvorliebe. Flucht in den Wahnsinn Natürlich liefert Rene Pape den standfesten First-Class-Gurnemanz schlechthin. Bei dem Russen Dmitri Tcherniakov (Regie und Bühne) sorgt er dafür, dass am Ende alles bleibt wie es ist. Und das mit tödlicher Konsequenz. Den einzigen wirklich menschlichen Moment, beendet er skrupellos und vor Aller Augen. Als sich nämlich am Ende Kundry und Amfortas zu einem Happyend-Kuss umarmen, und Parsifal sich schon darüber freut, dass Männer und Frauen vielleicht doch zusammen passen, ja einander brauchen, da ersticht der eigentliche Gralshüter Gurnemanz diese Frau kaltblütig von hinten. Schnell wird klar, dass Parsifal da nicht mitspielt. Und so rutscht der bärtige Rest dieses unverbesserlichen, fundamentalistischen Haufens auf Knien in den offenkundigen Wahnsinn. Wohin auch sonst. Das Publikum reagierte auf so viel Düsternis kontrovers. FAZIT
Das Sängerensemble dieser Parsifal-Produktion ist exzellent. Neben René
Pape als Gurnemanz und Anja Kampe als Kundry ist vor allem der erste
Parsifal von Andreas Schager überzeugend. Daniel Barenboim und Regisseur
Dmitri Tcherniakov (beide haben 2008 Prokofiews Der Spieler und
2014 Rimski-Korsakows Zarenbraut gemeinsam erarbeitet) bleiben mehr
oder weniger hinter den hochgesteckten Erwartungen bei dieser
Neuproduktion zurück. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chöre
Dramaturgie
Staatskapelle Berlin Staatsopernchor Konzertchor der Staatsoper unter den Linden
Solisten
Amfortas
Gurnemanz
Parsifal
Klingsor
Kundry
Titurel
Knappen
Erster Gralsritter
Zweiter Gralsritter
Blumenmädchen
Stimme aus der Höhe
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