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Opulente Barockmusik in steriler OptikVon Thomas Molke / Fotos von Falk von TraubenbergWährend man sich im letzten Jahr bei Händels Oper Riccardo Primo an der opulenten Optik berauschen konnte, da das Regie-Team um den Barockspezialisten Benjamin Lazar nicht nur in der Gestik der Protagonisten, sondern auch mit der Bühnen- und Kostümgestaltung sowie den zahlreichen Kerzen für die Beleuchtung an die barocke Aufführungspraxis anknüpfte (siehe auch unsere Rezension), ist bei der diesjährigen Premiere im Rahmen der Händel-Festspiele alles ein bisschen schlichter gehalten. Musikalisch steht Händels Dramma tragico Teseo, das als dritte Oper für London entstand und sich nach dem Flop seiner Schäferidylle Il Pastor Fido in der Ausgestaltung wieder eher dem großen Erfolg Rinaldo annäherte, an Melodienreichtum in nichts nach. Dennoch verschwand das Werk nach der Uraufführungsspielzeit vollständig von den Spielplänen - wahrscheinlich wegen des aufwändigen szenischen Apparates, der auch dazu führte, dass die Produktion zu einem finanziellen Fiasko wurde - und gelangte erst 1947 bei den Göttinger Händel-Festspielen zu einer Wiederaufführung, der einige wenige weitere Neuinszenierungen folgen sollten. Nun ist dieses Dramma tragico, das nahezu kammerspielartig beginnt, bevor es sich ab dem dritten Akt zu einer furiosen Zauberoper entwickelt, erstmals in Karlsruhe zu erleben. Medea (Roberta Invernizzi) liebt Teseo (Valer Sabadus). Händels einzige fünfaktige Oper, die sich eng an die Libretto-Vorlage für Lullys tragédie lyrique Thésée hält, reichert die mythologische Handlung um die bekannten Figuren Medea, Teseo (Theseus) und Egeo (Aigeus), den König von Athen, um weiteres Personal an, das die eigentliche Liebeshandlung durch mehrere Verwicklungen erweitert. Medea hat Egeo, dem König von Athen, der ihr die Ehe versprochen hat, mit ihren Zauberkünsten zum Sieg in den kriegerischen Auseinandersetzungen verholfen. Doch dieser verliebt sich in die junge Prinzessin Agilea, die nach der Ermachtung ihres Vaters in Athen Asyl gefunden hat und Teseo liebt. Medea, die ebenfalls Teseo zugetan ist, will diesem zur Königsherrschaft verhelfen, wenn er ihr Werben erhört. Doch auch Teseos Herz schlägt für Agilea. So versucht Medea, mit ihren Zauberkräften die Liebe zwischen Teseo und Agilea zu zerstören, was ihr allerdings nicht gelingt, so dass sie schließlich Egeo überredet, Teseo einen Gifttrank zu verabreichen, damit dieser ihm die Königskrone nicht streitig macht. Doch im letzten Moment rettet der König Teseo, weil er in ihm seinen eigenen Sohn erkennt, den er als Kind mit seinem Schwert zurückgelassen hatte. Medeas verzweifelter Versuch, das Glück des jungen Paares mit ihren Furien doch noch zu stören, scheitert durch das Eingreifen Minervas. So kommt es zu einer Doppelhochzeit, in der nicht nur Teseo und Agilea, sondern auch das Dienerpaar Clizia und Arcane zueinander finden. Medea (Roberta Invernizzi) wird von ihrer Vergangenheit heimgesucht. Bühnenbildner Flurin Borg Madsen hat einen recht abstrakten Raum entworfen, der die Geschichte in keiner bestimmten Zeit verortet. Die einzelnen Treppen und Podeste wirken dabei wie Versatzstücke, die eigentlich nirgendwohin führen. Wenn Medea im dritten Akt diesen "Palast" in eine Wüste voller Höllengeister, Dämonen und Ungeheuer verwandelt, wird lediglich die Rückwand schräg angehoben, so dass der Raum seine festen Konturen verliert, gewissermaßen aus den Fugen gerät. Aus dem Bühnenboden treten Statisten als Furien auf, die zwar in den Kostümen von Janine Werthmann mit den schwarzen wallenden Gewändern, dem weißen Oberkörper und dem vermummten Gesicht durchaus Furcht einflößend wirken, deren Abschreckung aber spätestens dann verloren geht, wenn sie in der Art eines höfischen Tanzes über die Bühne wandeln. Die Standbilder hingegen gelingen sehr beeindruckend, so dass die Bedrohung, die von ihnen für Agilea ausgeht, wenn sie sie foltern oder ihren geliebten Teseo mit dem Schwert bedrohen, durchaus glaubhaft wirkt. Am Ende entfacht Madsen im Bühnenbild dann doch etwas aufwändigeren Zauber, wenn Medea an Seilen über die Bühne fliegt und aus dem Schnürboden ein schwarzes Tuch herabgelassen wird, das den Raum unheilvoll verdunkelt, bevor die Göttin Minerva dann in Form einer gewaltigen Hand dem ganzen Spuk ein Ende bereitet. Medea (Roberta Invernizzi, Mitte) ruft die Furien (Statisten) aus der Unterwelt, um ihre Rivalin Agilea (Yetzabel Arias Fernandez, rechts) zu vernichten. Ansonsten werden die Effekte eher durch die Videoprojektionen von Benedikt Dichgans und Philipp Engelhardt erzielt, die vor allem für die einzelnen Szenen mit Medea beeindruckende Bilder entwickelt haben. Regisseur Daniel Pfluger lässt die toten Kinder Medeas als ständigen Schatten der Vergangenheit mit der Zauberin auftreten. Mit einer großen anklagenden Maske erinnern sie stets an das Verbrechen, das Medea an ihnen begangen hat, und legen damit Zeugnis davon ab, welche Schuld die Zauberin aus Kolchis mit sich trägt. Besonders großartig gelingt das Bild, wenn die Kinder vor der Rückwand stehen und diese mit einer Berührung in ein loderndes Feuer zu verwandeln scheinen. Intensiv gestaltet sind auch die Momente, in denen Teseo Medeas Werben zurückweist und seine geliebte Agilea auf die Wand projiziert wird und somit seine inneren Gefühle nach Außen transponiert werden. Gleiches gilt für Medea und Agilea, deren Sehnen um Teseo kreist, was ebenfalls mit einer Projektion auf der Wand zum Ausdruck gebracht wird. Regelrecht romantisch wird es, wenn Arcane Clizia seine Liebe gesteht und ein einsamer Stern am Firmament leuchtet oder wenn später Teseo in seinen Gefühlswallungen den ganzen Sternenhimmel in Wallungen bringt. Auch die Kostüme von Janine Werthmann sind fantasievoll gestaltet und finden zumindest beim König und Medea in der Opulenz barocke Anklänge. Medea (Roberta Invernizzi, rechts) gebietet den Furien (Statisten, links) Einhalt, da Agilea (Yetzabel Arias Fernandez, 2. von rechts) bereit ist, auf Teseo (Valer Sabadus, in der Mitte liegend) zu verzichten. Musikalisch wird die Aufführung Karlsruhes Ruf als "Händel-Metropole" mehr als gerecht. Das Badische Staatstheater hat für diese Produktion wieder eine Solisten-Riege verpflichtet, die verständlich macht, warum die Aufführungen alle lange im Voraus schon ausverkauft waren und es für diese Festspiele nur noch Stehplätze zu erwerben gab. Allen voran ist hier Valer Sabadus in der Titelpartie zu nennen, der seit seinem umjubelten Auftritt als Armindo in der Oper Partenope bei den Händel-Festspielen 2011 eine steile Karriere gemacht hat, so dass man stolz darauf ist, ihn in diesem Jahr erneut bei den Händel-Festspielen verpflichten zu können. Mit absolut beweglichem Countertenor schraubt er sich in grandiose Höhen, ohne dabei angestrengt zu klingen. Dabei bleibt seine Stimme stets weich und charakterisiert den Helden Teseo als einen gutmütigen Helden, dem natürlich der nötige Biss fehlt, um es mit einer Medea aufzunehmen. Dagegen findet er mit Yetzabel Arias Fernandez als Agilea zu einer Innigkeit, die unter die Haut geht. Wenn die beiden ihr großes Liebesduett "Cara, caro" am Ende des vierten Aktes anstimmen und auf eine glückliche Zukunft hoffen, verschmelzen ihre Stimmen zu einer Einheit, die die Gefühle der Liebenden regelrecht spürbar macht. Mit ihrem warmen, in den Koloraturen absolut beweglichen Sopran wird Fernandez der Milde Agileas auch stimmlich mehr als gerecht. Ein musikalischer Höhepunkt dürfte ihre große Arie "Amarti io sì vorrei" im vierten Akt sein, in der sie ihre Verzweiflung darüber ausdrückt, dass sie auf Teseo verzichten muss, wenn sie sein Leben nicht gefährden will. Was Fernandez hier stimmlich zelebriert, ruft beim Publikum große Begeisterungsstürme hervor. Glückliches Ende: Arcane (Terry Wey, 2. von links) beglückwünscht Agilea (Yetzabel Arias Fernandez, links), Clizia (Larissa Wäspy, 2. von rechts) gratuliert Teseo (Valer Sabadus, rechts) (in der Mitte: Egeo (Flavio Ferri-Benedetti)) Larissa Wäspy und Terry Wey begeistern als zweites Paar Clizia und Arcane im Gegensatz dazu mit komischen Momenten. Wäspy stattet die Dienerin Agileas mit jugendlichem Sopran und kokettem Spiel aus. Wey begesitert als Diener des Königs mit einem frischen Countertenor und einer herrlich gespielten Naivität aus, der deutlich macht, dass er dieser faszinierenden Frau absolut ergeben ist. Wie sie sich allmählich im Stück annähern, wird von den beiden in einer wunderbaren Personenregie umgesetzt. Roberta Invernizzi glänzt als Medeo mit divenhaftem Spiel und beweglichem Sopran, der wesentlich härter klingt als bei ihrer Gegenspielerin Agilea, aber dennoch jegliche Schärfe vermeidet. So nimmt man ihr die rasende Furie, die zwar durchaus zur Einsicht fähig ist, mit ihrer Vergangenheit aber keine Möglichkeit sieht, von ihrem Weg abzuweichen, in jedem Moment ab. Gerade im Zusammenspiel mit den beiden Kindern wird bei Invernizzi die Verletzbarkeit Medeas spürbar. Flavio Ferri-Benedetti wechselt als König Egeo zwischendurch von der Kopf- in die Bruststimme, wobei nicht ganz klar wird, ob dies wirklich so intendiert ist. Von daher fällt seine Interpretation im Vergleich zu den anderen Solisten ein wenig ab. Die Deutschen Händel-Solisten präsentieren unter der Leitung von Michael Form, der die Verzierungen der Arien nicht komplett selbst vorgenommen hat, sondern sie auch als Projekt von Kollegen hat durchführen lassen, um dieser Aufführung eine besondere Note zu verleihen, einen gewohnt professionellen Barock-Klang, so dass es am Ende tosenden Applaus für alle Beteiligten gibt, in den sich auch das Regie-Team einreiht.
Auch wenn die Regie nicht über alle dramaturgischen Längen im Stück hinwegtäuschen kann, ist diese Aufführung musikalisch ein Hochgenuss, den man, wenn man dieses Jahr keine Karten mehr ergattern kann, nächstes Jahr bei den Händel-Festspielen genießen sollte. Der Vorverkauf dafür läuft bereits. (Termine: 20., 24. und 27. Februar 2016) Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne Kostüme Video
Dramaturgie
Deutsche Händel-Solisten Statisterie des SolistenTeseo
Agilea, seine Geliebte
Egeo, König von Athen
Medea, seine Verlobte
Clizia, Geliebte des Arcane
Arcane, ein Vasall des Königs Priester der
Minerva Chor der Athener
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