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Historischer Stoff in der digitalen Welt
Von Thomas Molke /
Fotos von Anna Kolata (© Theater, Oper und Orchester GmbH Halle) Händels Dramma per musica Berenice, Regina d'Egitto gehört heute zu den eher unbekannten Opern des Hallenser Komponisten und ist nur eingefleischten Händel-Kennern ein Begriff. Betrachtet man die Umstände, unter denen das Werk am 18. Mai 1737 in Covent Garden uraufgeführt wurde, war der damalige Erfolg zumindest respektabel. Immerhin buhlte Händel mittlerweile seit drei Jahren mit einem Konkurrenzunternehmen, der "Opera of the Nobility", um die Gunst eines Publikums, dessen Interesse an der Opera seria immer mehr nachließ, so dass der drohende finanzielle Ruin bereits unausweichlich schien. Hinzu kamen Händels gesundheitliche Probleme. Da er sich von einem Schlaganfall im April erholen musste, konnte er die Premiere nicht wie gewohnt selbst dirigieren. Die Handlung war wegen zahlreicher Kürzungen recht verworren und schwer nachvollziehbar, und das Werk verschwand bereits nach nur drei weiteren Aufführungen vom Spielplan. Letzteres war jedoch dem nahenden Spielzeitende der Saison 1736/1737 zuzuschreiben. Negative Publikumsreaktionen sind nämlich nicht überliefert. Und auch wenn in Fachkreisen das Werk gelegentlich unterschätzt wird und trotz einer Wiederaufnahme in Deutschland sechs Jahre später schnell in Vergessenheit geriet, enthält es doch einige großartige musikalische Nummern. Die Sinfonia des dritten Aktes verwendete Händel beispielsweise elf Jahre später für seine berühmte Feuerwerksmusik wieder. Mit der Inszenierung dieses Werkes erlangt die Oper Halle bei den diesjährigen Händel-Festspielen nun zumindest für ein Jahr ein weltweites Alleinstellungsmerkmal. Nur hier sind jetzt seit dem Beginn der Händel-Renaissance alle Opern des Hallenser Komponisten szenisch zur Aufführung gebracht worden. Die Internationalen Händel-Festspiele in Göttingen werden allerdings nächstes Jahr mit Rodrigo nachziehen. Berenice (Ks. Romelia Lichtenstein) will sich ihre Unabhängigkeit von Rom bewahren und Demetrio heiraten. Das Stück basiert auf einem Libretto von Antonio Salvi, welches bereits 1709 von Giacomo Antonio Perti in Florenz vertont worden war und das sich wahrscheinlich seit Händels Zeit in Italien in dessen Bücherschrank befunden hat. Ausgangssituation ist das Jahr 80 v. Chr. Nach dem Tod ihres Onkels und Vaters herrscht Kleopatra Berenice III. (Berenice) als Königin über Ägypten. Auf Wunsch von Rom soll sie den Prinzen Ptolemaios XI. Alexander II. (Alessandro) heiraten. Während es sich historisch dabei um ihren Stiefsohn handelt, der Rom sehr nahe steht, soll er in der Oper eine sichere Allianz gegen den feindlichen König Mithridates VI. bilden. Doch Berenice liebt Demetrio, der wiederum in ihre Schwester Selene verliebt ist und lieber ein Bündnis mit Mithridates gegen Rom anstrebt. Da Selene Demetrios Gefühle erwidert, will Berenice ihre Schwester mit dem Prinzen Arsace verheiraten. Dabei lässt sie Selene in dem Glauben, der versprochene Prinz sein Demetrio, weshalb Selene einer Verbindung zustimmt. Demetrio fühlt sich daraufhin von Selene betrogen. Da er es immer noch ablehnt, Berenice zu heiraten, lässt sie ihn in den Kerker werfen. Alessandro wird mittlerweile von den Römern bedrängt, Berenice zur Frau zu nehmen, will diesem Ansinnen allerdings nur nachgeben, wenn Berenice ihn selbst erwählt. Davon ist Berenice wiederum so gerührt, dass sie sich doch für Alessandro entscheidet und Demetrio für Selene freigibt. Arsace geht zwar nun leer aus, tröstet sich allerdings mit dem Glück Selenes. So gibt es am Ende zwei Paare, und der Frieden mit Rom ist - zunächst einmal - gesichert. Doch Demetrio (Rilippo Mineccia) liebt Berenices Schwester Selene (Svitlana Slyvia). Das Regie-Team um Jochen Biganzoli überträgt die mit affektgeladenen Arien ausgeschmückte Geschichte in eine digitale Welt, in der die Plattformen Twitter, Instagram, facebook, YouTube oder WhatsApp mit dem Smartphone die Menschen mit einer Informationsfülle und Bildwelten überschütten, die als ebenso künstlich und überzogen betrachtet werden können wie eine Barockarie. Wolf Gutjahr hat dafür eine Drehbühne entworfen, die ständig in Bewegung ist und im Hintergrund eine riesige Leinwand hat, auf der permanent irgendwelche Projektionen einer der oben genannten Plattformen laufen. Da drei Räume gleichzeitig zu sehen sind, flimmern auch in der Regel drei unterschiedliche Projektionen im Hintergrund. Über der Drehbühne gibt es weitere Bildflächen, die beim Zuschauer zu einer regelrechten Reizüberflutung führen. Man hat große Schwierigkeiten, sich auf die Handlung oder die Übertitel zu konzentrieren, weil man von den zahlreichen flackernden Bildern stark abgelenkt wird, die ja bisweilen auch in engem Zusammenhang zum Geschehen auf der Bühne stehen. So werden beispielsweise während der Arien WhatsApp-Nachrichten oder Twitter-Meldungen zur jeweiligen Szene verschickt, die dann auf der Leinwand eingeblendet werden. Bei dieser Überfrachtung ist man Demetrio schon dankbar, wenn er mitten im zweiten Akt mehrere Stecker zieht und die Bilderflut unterbricht. Nach der Pause werden die Projektionen dann ein wenig moderater eingesetzt. Die Figuren des Stückes prangen nun in großen Standbildern auf den Leinwänden über der Bühne, und nur ganz vereinzelt bewegen sich die Bilder, wenn beispielsweise Demetrio seine Hand zum Gesicht führt. Ansonsten sieht man nur mit einer beweglichen Kamera eingefangene Bilder, die beispielsweise Demetrio auf seinem Weg in den Kerker oder angekettet an eine Wand zeigen. Berenice (Ks. Romelia Lichtenstein, vorne) lässt Demetrio (Filippo Mineccia, Mitte) von Arsace (Franziska Gottwald, links) in den Kerker werfen. Die einzelnen Räume auf der Drehbühne sind nur mit wenigen Requisiten ausgestattet. In einem Raum bildet ein riesiges rotes Bett den Mittelpunkt. Hier geht es wohl um die Liebe, die mit den politischen Entscheidungen nicht immer übereinkommt. In einem weiteren Raum steht ein Mikrophon, das wohl für politische Verlautbarungen eingesetzt werden soll. In einem dritten Raum wiederum befindet sich ein Kühlschrank, den Berenice plündert, wenn sie versucht, sich mit Frustessen über Demetrios Zurückweisung zu trösten. Ein silbern glitzernder Faden-Vorhang rahmt die Bühne ein und verwandelt sie in eine Kunstwelt, die in ihrem Glanz genauso überladen ist wie die Informationsflut auf den Bildschirmen. Aristobolo tritt als eine Art Conférencier mit silbern glitzerndem Anzug vor den Vorhang und leitet das ganze Spiel als eine Art Strippenzieher. Manchmal wird er auch über Lautsprecher wie ein Regisseur eingespielt, der aus dem Off Anweisungen gibt. Die übrigen Figuren beginnen den Abend in Kostümen, die in ihrer Opulenz an die Barockzeit erinnern, wobei jedoch alle bereits mit dem Smartphone beschäftigt sind und von einem Raum in den nächsten jagen. Im weiteren Verlauf legen sie die Kostüme ab und wirken wie moderne Menschen. Zum lieto fine verwandeln sich dann alle wieder in die barocken Figuren. Dass Biganzoli dem lieto fine nicht traut, wird dadurch deutlich, dass er die glücklichen Fügungen als eine Art Posse aufführen lässt, bei der nahezu jeder einzelne übertrieben vorgetragene Satz von eingespieltem Gelächter und Applaus begleitet wird. Und natürlich dürfen auch am Ende bei aller Glückseligkeit die Selfies mit den Smartphones nicht fehlen. Happy End mit Selfie: von links: Demetrio (Filippo Mineccia), Alessandro (Samuel Mariño, vorne), Fabio (Robert Sellier, hinten), Arsace (Franziska Gottwald), Berenice (Ks. Romelia Lichtenstein), Aristobolo (Ki-Hyun Park) und Selene (Svitlana Slyvia) Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Kammersängerin Romelia Lichtenstein gestaltet die Titelpartie mit dunkel gefärbtem Sopran in einer enormen Bandbreite. Dabei punktet sie direkt in ihrer Auftrittsarie im ersten Akt, "No ché serviere altrui", in der sie sich der römischen Weisung, Alessandro zu heiraten, widersetzt, mit klaren Höhen, die ihren Stolz und ihr Selbstbewusstsein zum Ausdruck bringen. Ein weiterer Höhepunkt ist ihre Arie "Traditore, traditore", wenn sie erkennt, dass Demetrio sie mit ihrer Schwester betrügt. Mit scharfen Koloraturen untermalt sie dabei ihre Entwicklung zur Furie. Von einer ganz anderen Seite präsentiert sie sich dann im dritten Akt in der Arie "Chi t'intende", in der sie im Dialog mit der Oboe melancholisch in weichen Bögen die Launen der Götter beklagt. Im zarten Largo "Avvertite, mi pupille" zeigt sie sich als zart liebende Frau, die bereit ist, ihr Herz Alessandro zu schenken und damit der Staatsräson zu dienen. Samuel Mariño begeistert als Alessandro mit großer Strahlkraft in den Höhen. Direkt im ersten Akt punktet er in seiner Arie "Che sarà quando amante accarezza", wenn Alessandro von Berenices Liebe träumt, mit beweglichen Koloraturen in exorbitanten Höhen. Mit weichen Bögen zeigt er sich dann leidend bereit, sein Schicksal zu akzeptieren und auf Berenice zu verzichten, wenn diese einen anderen liebt. Im strahlenden Schlussduett findet er dann mit Lichtenstein zu einer bewegenden Innigkeit, die belegt, dass die beiden zumindest musikalisch als Paar zusammengehören. Filippo Mineccias Countertenor ist ein bisschen dunkler eingefärbt, was Demetrio zu dem begehrenswerteren Kandidaten macht, der von beiden Schwestern geliebt wird. Dabei begeistert Mineccia mit einer warm-timbrierten Mittellage, die problemlos in strahlende Höhe übergeht. Ein musikalischer Glanzpunkt ist seine furiose Arie "Su, Megera, Tisifone, Aletto", in der er die Götter der Unterwelt herbeiruft, damit sie ihm seine Gefühle für die vermeintlich untreue Selene aus dem Herzen reißen. Hier glänzt Mineccia mit stupenden Koloraturen. Darstellerisch und stimmlich überzeugend legt er auch Demetrios Opferbereitschaft am Ende des zweiten Aktes an. Svitlana Slyvia verfügt als Selene über einen warmen, dunkel eingefärbten Mezzosopran. Franziska Gottwald legt den Arsace mit einem weichen Mezzosopran an. Vor allem in ihrer Arie "Amore contro Amor" im zweiten Akt, in der sich Arsace zwischen der Liebe zu Selene und dem Wunsch nach Ruhm entscheiden muss, gestaltet Gottwald mit flexibler Stimmführung, die den inneren Konflikt des jungen Mannes deutlich macht. Ansonsten empfindet man schon ein wenig Mitleid mit Arsace, der am Anfang und am Ende als Bühnenarbeiter die Bühne fegen muss und in Liebesdingen leer ausgeht. Robert Sellier und Ki-Hyun Park runden als Fabio und Aristobolo das Ensemble stimmlich und darstellerisch überzeugend ab. Jörg Halubek sorgt mit dem Händelfestspielorchester der Staatskapelle Halle für einen transparenten Klang und arbeitet die Vielschichtigkeit der Partitur emotional und ausdrucksstark heraus, so dass es am Ende verdienten und großen Jubel für alle Beteiligten gibt. FAZIT Die "letzte Lücke im Händel-Repertoire" wird in der Oper Halle musikalisch hervorragend und szenisch überzeugend geschlossen. Weitere Rezensionen zu den Händel-Festspielen 2018 in Halle Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Video
Licht
Dramaturgie
Händelfestspielorchester der
Statisterie der Oper Halle
Berenice
Alessandro
Demetrio
Selene
Arsace
Fabio
Aristobolo
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E-Mail: oper@omm.de