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Willkommen in der Serse-ShowVon Thomas Molke / Fotos von Falk von TraubenbergObwohl Händels drittletzte Oper Serse im Uraufführungsjahr wegen ihres geringen Erfolgs bereits nach fünf Vorstellungen abgesetzt wurde und erst 1924, also fast 200 Jahre später, bei den Händel-Festspielen in Göttingen erstmals wieder auf den Spielplan gesetzt wurde, gilt sie mittlerweile neben Giulio Cesare in Egitto zu den meistgespielten Bühnenwerken des Hallenser Komponisten, was nicht allein der berühmten Auftrittsarie der Titelfigur, "Ombra mai fù", zu verdanken sein dürfte, in der Xerxes seine Liebe zu einer Platane besingt und die als "Largo" bereits kurz nach der Uraufführung einen Siegeszug durch ganz Europa antrat. Auch die oft einteiligen Arien, bei denen Händel auf langatmige Da-capo-Formen verzichtet, um als Reaktion auf den Siegeszug der Beggar's Opera von Gay und Pepusch eine Erneuerung der Opera seria einzuleiten und den sinkenden Erfolg der Gattung zu stoppen, mögen heute zum großen Erfolg dieses unkonventionellen Werkes mit zahlreichen parodistischen Zügen beitragen. Für das Motto der diesjährigen Händel-Festspiele, "Rivalen", ist die Oper ebenfalls prädestiniert, da sich mit dem persischen König und seinem Bruder Arsamene zwei Männer begegnen, die um die Gunst der schönen Romilda buhlen. Auch die Besetzung ist ein Knüller, hat man doch mit Franco Fagioli und Max Emanuel Cencic zwei absolute Stars der Branche verpflichtet und Cencic nach seiner Doppelfunktion als Solist und Regisseur in Händels Arminio vor drei Jahren erneut mit der Inszenierung betraut. Die Handlung spielt im Jahr 480 v. Chr., als der persische König Xerxes (Serse) mit seinem Heer am Hellespont eine Brücke aus miteinander verbundenen Kriegsschiffen baute, um nach Griechenland überzusetzen. Das Libretto, das Händel von zwei früheren Vertonungen von Francesco Cavalli und Giovanni Battista Bononcini überarbeitet hat, übernimmt aus der bei Herodot überlieferten Historie aber nur die Episode, in der der König eine Platane wegen ihrer Schönheit mit goldenem Schmuck behängt. Ansonsten konzentriert sich die Oper auf frei erfundene Liebesverwicklungen. Serse verliebt sich in Romilda, die Geliebte seines Bruders Arsamene. Atalanta, Romildas Schwester, hofft dadurch, Arsamene für sich zu gewinnen. Da Arsamene allerdings nicht von Romilda lassen will, schickt Serse ihn ins Exil. Serses eigentliche Braut Amastre ist ihrem untreuen Geliebten heimlich gefolgt und hat sich als Soldat verkleidet, um unerkannt zu bleiben. Da Atalanta Serse überzeugen kann, dass Arsamene eigentlich sie und nicht Romilda liebt, beschließt Serse, seinen Bruder zu begnadigen. Romildas Vater Ariodate missversteht den König, als dieser um die Hand seiner Tochter für einen Mann königlichen Geblüts anhält, und glaubt, dass Serse damit seinen Bruder Arsamene meint. Folglich verheiratet er seine Tochter mit Serses Bruder. Als Serse daraufhin vor Wut rast und Romilda töten lassen will, stellt sich Amastre dazwischen. Sie führt ihm seine Treulosigkeit vor Augen und plant, Rache zu nehmen. Doch Serse bereut sein Verhalten und bittet alle um Verzeihung. Franco Fagioli als "Künstler" Serse Da die Historie in der Oper sowieso keine Rolle spielt, verlegt Max Emanuel Cencic in seiner Inszenierung die Geschichte nach Las Vegas in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. Seiner Meinung nach repräsentieren die sieben Figuren, auf die Händel die beiden Vorlagen von Minato und Stampiglia reduziert hat, die sieben Todsünden, und da es in dem Stück vor allem um die Sünde geht, scheint ihm das US-amerikanische Spielerparadies, in dem man in kürzester Zeit zu gewaltigem Reichtum gelangen und genauso schnell alles wieder verlieren kann, eine geeignete Projektionsfläche für die Geschichte. Serse ist für ihn kein persischer König, der andere Länder erobern will, sondern ein Ausnahme-Pianist wie Liberace, der mit seinem begnadeten Spiel die Charts auf der ganzen Welt stürmen will. Amastre ist keine ihm versprochene Prinzessin, die er heiraten will, um mit ihrem Volk sein Heer zu vergrößern, sondern eine Angestellte, mit der er bereits während der Ouvertüre ausgiebigen Sex hat, für die er aber keine tieferen Gefühle hegt. In seiner "Serse-Show", die in glamourösen Kostümen von Sarah Rolke und Wicke Naujoks den Glanz des Showbusiness atmet, trifft er auf Romilda, die als neues Sternchen, befeuert von ihrem ehrgeizigen Vater Ariodate, ebenfalls Karriere im Show-Geschäft machen will. Dafür ist sie allerdings nicht bereit, sich an Serse zu verkaufen, weil sie aus unerklärlichen Gründen seinen Bruder, den Versager Arsamene, liebt. Rivalen unter sich: Serse (Franco Fagioli, rechts) zeigt seinem Bruder Arsamene (Max Emanuel Cencic, Mitte), wer das Sagen hat (rechts: Elviro (Yang Xu), im Hintergrund: Amastre (Ariana Lucas)). In einem bombastischen Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic, das zwischen einer mondänen Villa mit riesigem Swimming-Pool, einem bunten Diner mit dem Namen "frustrated lovers", einer Boutique namens "Pretty Woman" für die Reichen und Schönen, einem billig anmutenden Sexshop, in dem laszive Mädchen ihren Körper anbieten und einem dubiosen Etablissement namens "Tom of Persia", vor dem sich vor allem homosexuelle Pärchen tummeln, changiert, schießt Cencic in einer ausgefeilten Personenregie ein absolutes Gag-Feuerwerk ab. Da kommt keinen Moment Langeweile auf, und jede musikalische Nummer wird szenisch genau auf den Punkt gebracht und nicht einfach dem Schönklang der Musik überlassen. Zu Beginn lässt Cencic Franco Fagioli als Serse in pompösem Outfit in der Serse-Show mit zahlreichen Tänzerinnen auf einer großen Showbühne auftreten, die von den Tasten eines Klaviers eingerahmt wird. Auch der Flügel auf der Bühne ist mit dem großen Kandelaber eine Anspielung auf Liberace. Zur berühmten Auftrittsarie des Serse, "Ombra mai fù", begleitet sich Fagioli dann auch gleich selbst am Flügel, um zu unterstreichen, dass der gesungene Text ebenfalls nur Show ist. Über der Bühne wird in Leuchtschrift immer "Applause" eingeblendet, um das Publikum aufzufordern, in die einzelnen Arien hineinzuklatschen. Für das Ende wird dann aus dem Schnürboden eine "Wedding Chapel" herabgelassen, in der der überglückliche Arsamene seine Romilda zum Traualtar führt. Da kommt Serse in weißem Schwanenoutfit leider einen Moment zu spät. Unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen drohen er und Arsamene an, sich gegenseitig abzuknallen. Unterbrochen werden sie von Amastre, die ebenfalls im Hochzeitskleid auftritt und der Presse eine herzzerreißende Geschichte darüber liefert, dass sie von Serse sexuell ausgenutzt worden ist, bevor sie ihm ebenfalls eine Pistole an die Schläfe hält. Schließlich müssen die Cops einschreiten und den außer Rand und Band geratenen Künstler in Handschellen abführen. Das lieto fine, in dem der Chor das glückliche Paar Arsamene und Romilda mit bunten Luftballons feiert, ist folglich ebenfalls nicht ganz ernst zu nehmen. Austausch beim Shopping: Romilda (Lauren Snouffer, 2. von links), Atalanta (Katherine Manley, links) und die Statisterie Die Produktion lässt nicht nur szenisch sondern auch musikalisch keine Wünsche offen. Da ist zunächst Franco Fagioli in der Titelpartie zu nennen, der mit seiner wandelbaren Stimme die zahlreichen Stimmungsschwankungen und die Selbstverliebtheit des Königs, hier Künstlers, großartig darstellt. So glänzt er in seiner großen Arie am Ende des ersten Aktes, "Più che penso alle fiamme del core", wenn Serse seine neu entfachte Liebe zu Romilda besingt, mit halsbrecherischen Koloraturen, die sich regelrecht spielerisch durch verschiedene Oktaven bewegen. Hier wird Fagiolis großartige Kunst deutlich, von den höchsten sauber angesetzten Spitzentönen ohne jegliche Brüche in eine beinahe schon baritonale Tiefe hinabzugleiten. Mit seiner großen Arie im dritten Akt, "Crude Fure degl' orridi abissi", wenn er sich von allen betrogen fühlt und die Furien herbeiruft, löst er beim Publikum eine solche Begeisterung aus, dass er sehr lange auf dem Boden in gebückter Haltung verharren muss, bevor die Vorstellung fortgesetzt werden kann und er zwei Revolver zückt, mit denen er auf das Brautpaar losgeht. Mit makellosen Koloraturen lässt Fagioli hier die Funken sprühen und schwingt sich erneut von voluminösen Tiefen zu dramatischen Höhen empor. Darstellerisch versprüht er auch eine große Komik, wenn er zunächst nicht begreift, dass Romildas Vater Ariodate seine Anweisung missverstanden hat, oder er seinen Schritt mit Socken ausstopft, um damit für Romilda attraktiver beziehungsweise potenter zu wirken. Serse (Franco Fagioli) kann bei Romilda (Lauren Snouffer) nicht landen. Max Emanuel Cencic ist als Serses Bruder Arsamene stimmlich und darstellerisch ein passender Gegenpart zu Fagioli. Mit großem Pathos präsentiert er die schmachtende Verliebtheit des jungen Mannes zu Romilda und beklagt nahezu herzzerreißend mit sauber gesetztem Countertenor in den Höhen sein Liebesleid. Dass er auch richtig zornig werden kann, beweist er in der großen Arie "Amor, tiranno Amor", im dritten Akt, in der er die Liebe verflucht, weil er seine Geliebte Romilda verloren glaubt. Hier begeistert Cencic mit halsbrecherischen Koloraturen und großer Dramatik. Lauren Snouffer ist nicht nur optisch eine großartige Romilda, bei der man gut nachvollziehen kann, dass sie die Herzen der beiden Männer höher schlagen lässt. Mit strahlendem Sopran und glockenklaren Koloraturen begeistert sie auch stimmlich auf ganzer Linie. Ariana Lucas bietet als verschmähte Geliebte Amastre mit dunkel timbriertem Mezzosopran stimmlich einen guten Kontrast. Dabei punktet sie ebenfalls mit sehr beweglicher Stimmführung und versprüht als verkleideter Mann und am Ende als schlagfertig durchgreifende Braut darstellerisch sehr viel Spielwitz. Auch Katherine Manley legt die Partie von Romildas verschmähter Schwester Atalanta mit großem, komischem Potenzial an und überzeugt mit sauber geführtem Sopran. Yang Xu stattet Arsamenes Diener Elviro mit dunklem Bass aus, der sich auch absolut sicher im Falsett bewegt, wenn er als getarnte Blumenverkäuferin Romilda Arsamenes Brief übergeben soll. Pavel Kudinov rundet das Ensemble als Ariodate mit markantem Bass wunderbar ab. George Petrou entfacht mit den Deutschen Händel-Solisten aus dem Orchestergraben ein regelrechtes Händel-Feuerwerk, das in hervorragendem Einklang zum Treiben auf der Bühne steht. So gibt es am Ende frenetischen Beifall für alle Beteiligten.
Max Emanuel Cencics Inszenierung begeistert musikalisch auf ganzer Linie, und auch die Verlegung der Geschichte nach Las Vegas kann als durchaus gelungen und überzeugend betrachtet werden. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne Kostüme Choreographie Licht Chorleitung
Dramaturgie
Deutsche Händel-Solisten Händel-Festspielchor Statisterie SolistenSerse
Arsamene, sein Bruder Ariodate Romilda,
seine Tochter Atalanta,
ihre Schwester Amastre,
Serses Geliebte Elviro,
Arsamenes Diener
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