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Tolomeo, Re d'Egitto

Dramma per musica in drei Akten
Libretto
von Niccolò Francesco Haym nach Carlo Sigismondo Capece
Musik von Georg Friedrich Händel


in italienischer Sprache mit englischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Badischen Staatstheater am 14. Februar 2020
im Rahmen der 43. Internationalen Händel-Festspiele
(rezensierte Aufführung: 16.02.2020)

 
 
 
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Todessehnsucht und Lebensmüdigkeit 

Von Thomas Molke / Fotos von Falk von Traubenberg

Georg Friedrich Händels Dramma per musica Tolomeo, Re d'Egitto gehört zu den eher selten gespielten Opern des Hallenser Komponisten, was mit Blick auf die musikalische Gestaltung schade ist, da kaum ein anderes seiner Werke in derartiger Vielfalt in den Arien die Natursymbolik so lautmalerisch einfängt. Dass bereits der Uraufführung am 30. April 1728 im King's Haymarket Theatre in London kein großer Erfolg beschieden war, mag andere Gründe gehabt haben. Händels erste Opernakademie, die Royal Academy of Music, stand bereits vor dem Aus, als Händel in der Spielzeit 1727/28 mit Riccardo Primo, Siroe und Tolomeo noch einmal drei neue Opern herausbrachte, mit denen Händel das Londoner Publikum nicht mehr wie in den Vorjahren begeistern konnte. Da half auch die Starbesetzung mit dem Starkastraten Senesino und den beiden Primadonnen Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni nicht weiter, sondern führte im Gegenteil dazu, dass sich das Publikum in zwei unversöhnliche Lager spaltete, die entweder Cuzzoni oder Bordoni den Vorzug gaben. Die Oper wurde nach sieben Vorstellungen abgesetzt, und die drei Barockstars beschlossen, von nun an getrennte Wege zu gehen. Zwar gab es noch Wiederaufnahmen in Händels zweiter Opernakademie 1730 und 1733 mit einer anderen Besetzung, aber danach geriet das Werk schnell in Vergessenheit. In Karlsruhe hat diese Oper im Rahmen der Händel-Festspiele noch nicht auf dem Spielplan gestanden, so dass es höchste Zeit wird, diese Lücke zu schließen, zumal das Werk für das diesjährige Festspiel-Motto "Einsamkeit" prädestiniert zu sein scheint.

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Araspe (Morgan Pearse) liebt Delia / Seleuce (Louise Kemény, Mitte). Elisa (Eléonore Pancrazi, links) liebt Osmin / Tolomeo.

Die Geschichte handelt von Ptolemaios IX. (Tolomeo), der insgesamt dreimal als König über Ägypten herrschte und zwischen seinen Regierungsjahren jeweils im Exil lebte. Obwohl er der rechtmäßige Thronfolger war, bevorzugte seine Mutter Cleopatra III. seinen jüngeren Bruder Ptolemaios X. Alexander I. (Alessandro) und setzte alles daran, diesen zum König zu krönen. Zu Beginn der Oper befindet sich Tolomeo als Hirte Osmin getarnt auf Zypern im Exil und will seinem Leben ein Ende setzen, da er sich nicht nur von seiner Familie verraten fühlt, sondern auch glaubt, dass seine Geliebte Seleuce ebenfalls tot sei. Doch Seleuce ist ihm nach Zypern gefolgt und verbirgt sich dort unter dem Namen Delia. Auf der Suche nach seinem Bruder wird Alessandro nach einem Schiffbruch am Strand Zyperns angespült und von Tolomeo unerkannt gerettet. Alessandro verliebt sich in Elisa, die Schwester des Königs Araspe, die wiederum an dem vermeintlichen Hirten Osmin interessiert ist. Araspe hat ein Auge auf Delia / Seleuce geworfen und sieht in Osmin / Tolomeo einen Rivalen, den es auszuschalten gilt. Nach zahlreichen Intrigen, Mord- und Selbstmordversuchen, trifft die Nachricht über Cleopatras Tod ein. Alessandro ernennt seinen Bruder Tolomeo zum rechtmäßigen König von Ägypten und so kann dieser mit seiner Geliebten Seleuce schließlich doch noch als Herrscher in die Heimat zurückkehren.

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Noch scheint ihre Liebe aussichtslos zu sein: Tolomeo (Jakub Józef Orliński) und Seleuce (Louise Kemény).

Das Regie-Team um Benjamin Lazar wählt in seiner Inszenierung einen recht abstrakten Ansatz, der die in den Arien vorherrschende Natursymbolik passend einfängt. Bühnenbildnerin Adeline Caron hat sich von einem alten Hotel in Trouville im Norden Frankreichs inspirieren lassen und eine hohe lichtdurchflutete Halle entworfen, die in Videoprojektionen von Yann Chapotel im Hintergrund einen wunderbaren Blick auf das Meer bietet, das in unterschiedlichen Stadien wogt, die jeweils den Gefühlen der Figuren entsprechen. Zu Beginn ist die Bühne von einem weißen Tuch bedeckt, das wohl die Gischt des Meeres am Strand darstellt. Hier findet der lebensmüde Tolomeo, als er seinem Leben ein Ende setzen will, seinen bewusstlosen Bruder Alessandro, der nach einem Schiffbruch an den Strand gespült worden ist, und rettet ihm das Leben. Das Tuch verschwindet anschließend wie von Zauberhand in einem quadratischen Bassin in der Mitte und gibt den Blick auf eine Art Hotellobby mit einer Sitzecke frei. Das Bassin wird von zwei riesigen Blumenkübeln eingerahmt, die mit ihren silbern glänzenden Pflanzen eine surreale Atmosphäre schaffen. Alle Figuren sind fast permanent auf der Bühne, so dass auch hier die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit verschwimmt.

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Alessandro (Meili Li, kniend) trauert um seinen vermeintlich toten Bruder Tolomeo (Jakub Józef Orliński, liegend) (im Hintergrund: Araspe (Morgan Pearse)).

Die Kostüme von Alain Blanchot sind nicht einheitlich und unterstreichen eher die Stimmungen der einzelnen Figuren. Elisa wirkt in ihrem ausladenden schwarzen Rock und den glänzenden Applikationen auf ihrem Kostüm wie eine Herrscherin, die die anderen Figuren zu manipulieren versucht. Ihr Bruder Araspe bildet als Herrscher in seinem dunklen Anzug mit einem Orden einen deutlichen Kontrast zu den "Gestrandeten", die einfache Alltagskleidung tragen. Seleuces helles Kleid, das im Schnitt eher an ein Unterkleid erinnert, und Tolomeos weißes Hemd und seine helle Hose deuten an, dass diese beiden Figuren als Liebende zusammengehören. Anfangs trägt Seleuce über dem Kleid einen schwarzen Mantel, Tolomeo eine dunkle Lederjacke, um zu zeigen, dass die beiden sich jeweils unter einer anderen Identität tarnen. Erst als sie offen sagen, wer sie sind, legen sie den dunklen Mantel bzw. die Jacke ab. Alessandros Kleidung ist so uneinheitlich wie seine Motivation im Stück. So wird nicht ganz klar, wieso er eigentlich nach Zypern kommt. Dass er wirklich seinen Bruder wieder auf dem Thron etablieren möchte, scheint insgesamt ein wenig unglaubwürdig.

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Happy End: von links: Araspe (Morgan Pearse), Tolomeo (Jakub Józef Orliński), Seleuce (Louise Kemény), Alessandro (Meili Li) und Elisa (Eléonore Pancrazi)

So wie die Figuren von ihren Gefühlen überrannt werden, lässt Lazar in seiner Inszenierung auch die Natur die ganzen Bühne ergreifen. Im dritten Akt wird das Wogen des Meeres nicht nur immer wilder, sondern versenkt schließlich auch den ganzen Raum, so dass man sich scheinbar auf dem Grund des Meeres befindet. Aus dem Schnürboden werden weiße Quallen herabgelassen. Hier vollzieht sich nun das aus heutiger Sicht recht unglaubwürdige lieto fine. Alessandro rettet Seleuce vor den von Elisa beauftragten Killern. Seleuce hat das Gift, das Tolomeo trinken soll, gegen ein Schlafmittel ausgetauscht, so dass der scheinbar tote Tolomeo in den Armen seines Bruders wieder erwacht und Seleuce wie ein Deus ex machina aus dem Bassin auftaucht. Lazar macht in der Personenregie deutlich, dass Araspe und Elisa mit diesem Ende nicht zufrieden sind und lässt sie beim abschließenden Jubelchor relativ unbeteiligt über die Bühne schreiten. Ob es doch noch zu einer abschließenden Annäherung zwischen Elisa und Alessandro kommt, bleibt offen.

Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau und lässt keine Wünsche offen. Dazu hat man in Karlsruhe ein hochkarätiges Ensemble zusammengestellt. Die Titelpartie übernimmt Jakub Józef Orliński, der seit ein paar Jahren als neuer Shooting-Star in der Riege der jungen Countertenöre gefeiert wird und als Tolomeo dieser Bezeichnung in jeder Hinsicht gerecht wird. Mit dunkel gefärbtem Countertenor verleiht er der Figur eine tiefe Melancholie, die die ständigen Selbstzweifel des um seinen Thron gebrachten Königs bewegend einfängt. Glanzpunkte der Vorstellung stellen seine furiose Arie "Son qual rocca percossa dall'onde", in der er seine Liebe zu Seleuce mit einem Fels in der Brandung vergleicht, der dem Sturm des Meeres trotzt, und seine Abschiedsarie "Stille amare" dar, in der er den vermeintlichen Giftbecher leert, um seinem Leben ein Ende zu setzen, nachdem er die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit Seleuce begraben hat. Orliński begeistert hier mit stupenden Koloraturen und einer unwahrscheinlichen Bandbreite im Ausdruck. Meili Li punktet als sein Bruder Alessandro mit weichem Countertenor und intensivem Spiel. Louise Kemény gestaltet die Partie der Seleuce mit einem leuchtenden Sopran, der die Reinheit der Figur unterstreicht. Eléonore Pancrazi stattet die intrigante Elisa mit sattem Mezzosopran und beweglichen Koloraturen aus. Morgan Pearse rundet als böser Araspe mit dunklem Bariton das hervorragende Solistenensemble ebenbürtig ab, so dass es fast nach jeder einzelnen Arie begeisterten Szenenapplaus gibt. Federico Maria Sardelli steuert mit den Deutschen Händel-Solisten einen luziden Klang aus dem Graben bei, der die in der Musik angelegte Natursymbolik lautmalerisch umsetzt. So gibt es am Ende großen Jubel für alle Beteiligten im ausverkauften Haus.

FAZIT

Musikalisch macht die Produktion deutlich, welche Schätze in Händels selten gespielter Oper stecken. Benjamin Lazar findet einen guten Ansatz, die etwas abstruse Geschichte auch szenisch überzeugend umzusetzen. Da in diesem Jahr die restlichen Veranstaltungen bereits ausverkauft sind, sollte man sich bereits für die Wiederaufnahme dieser Produktion bei den nächsten Festspiele Karten reservieren.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Federico Maria Sardelli

Regie
Benjamin Lazar

Bühne
Adeline Caron

Kostüme
Alain Blanchot

Maske
Mathilde Benmoussa

Video
Yann Chapotel

Licht
Mael Iger

Dramaturgie
Deborah Maier

 

Deutsche Händel-Solisten

Statisterie des Staatstheaters Karlsruhe


Solisten

Tolomeo
Jakub Józef Orliński

Seleuce
Louise Kemény

Elisa
Eléonore Pancrazi

Alessandro
Meili Li

Araspe
Morgan Pearse

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)



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