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Man hört auch die im Dunkeln
Von Roberto Becker Die Dreigroschenoper ist das Stück zum Haus am Schiffbauerdamm. Schon, weil es hier 1928 uraufgeführt und von hier aus zum Welterfolg wurde. Woran auch das Verbot der Nazis nichts änderte. Weil es das Zwanzigerjahre-Gefühl auf ganz eigene Weise spiegelt. Mit all seinem kritischen Biss, dem künstlerischen Aufbruch und dem Sinn für die treffsichere Show. Und weil die Obrigkeit der DDR Bertolt Brecht dieses Haus überlassen hat, um ihn nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Ostberlin zu halten. Und wohl auch, um ihn damit zu domestizieren. Und das bei einem Dialektiker seines Ranges, der der SED-Führung nach dem Aufstand von 1953 die Empfehlung ins Stammbuch schreiben konnte, sich doch ein anderes Volk zu suchen, wenn sie mit dem vorhandenen nicht zufrieden sei. Wenn dieser linke Erzketzer nicht 1956 gestorben wäre, wer weiß, ob die Herren sich nicht einen neuen Dramatiker gesucht hätten. Foto © Jörg Brüggemann / OSTKREUZ
So aber entging er nicht dem Einzug in den Olymp der DDR-Bezugsgrößen. Heute sitzt er in Stein gehauen auf dem Platz vor seinem Theater, das u.a. Claus Peymann nach der Wende als gut besuchtes, touristenkompatibles Haus erhalten hat. Dass der 2007 Robert Wilson für die Dreigroschenoper engagierte, das passte in eine ästhetische Linie, bei der von der einstigen Ankündigung, der Reißzahn im Fleisch der Regierenden zu sein, meist hübsch oberflächenpolierte Theaterschmuckstücke in der Auslage übrigblieben, die freilich auch reichlich verkauft wurden. Für die postklassenkämpferische Großmäuligkeit waren eh für Jahrzehnte Frank Castorf und die Volksbühne zuständig. Foto © Jörg Brüggemann / OSTKREUZ
Nach über zehn Jahren Laufzeit hat Intendant Oliver Reese jetzt eine Neuproduktion der Dreigroschenoper" in Auftrag gegeben und Barrie Kosky, den bald scheidenden Intendanten der Komischen Oper, dazu eingeladen, sie zu inszenieren. Nun ist wahrscheinlich nicht davon auszugehen, dass Kosky seine Ästhetik (wie weiland Harry Kupfer) extensiv auf andere Berliner Bühnen ausdehnt. Aber für die Musik der Zwanzigerjahre ist er nun mal der ausgewiesen Fachmann. Meistens mit Entdeckermut und namens der Nachgeborenen auch mit Wiedergutmachungseifer vor allem für die von den Nazis (im günstigsten Fall nur von den Bühnen) Verbannten. Der Fall Dreigroschenoper liegt da etwas anders. Da hier die Erfolgsgeschichte einer rauf und runter inszenierten Bühnenikone fortzuschreiben ist, liegt die Herausforderung mehr in einem eigenen originellen Zugang als bei den Wiederbelebungen. Was will man an einer kritischen Gesellschaftsparodie auch szenisch enthüllen, außer sie als solche vorzuführen und ihrer Wirkung nachzuspüren. Dazu reduziert Kosky das Stück auf seinen musikalischen Kern, um es dann von dort aus aufzuladen und wirken zu lassen. Foto © JR Berliner Ensemble
Dass als Auftakt im Glitzervorhang von Rebecca Ringst nur das Gesicht von Josefin Platt als singender Mond über Soho auftaucht und sich in die Moritat von Mackie Messer so hineinschleicht, wie sie uns mit seiner bekanntesten Nummer damit in das Stück hineinzieht, das ist so programmatisch, wie das Bühnenlabyrinth, das hinter diesem Vorhang die komplette Bühnenöffnung füllt. Hier müssen sie sich alle irgendwie durchwurschteln. Ganz so wie durch die Verhältnisse, die so sind, dass sie nicht zulassen, dass der Mensch gut sein könnte. Da geht es den Peachums nicht anders als Mackie oder der Spelunken-Jenny und ihren Huren. Die berühmte Frage "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" wird diesmal gar nicht gestellt. Wenn Mackie in der Schlussszene sozusagen schon mal probehalber am Strick baumelt, dann prangt hinter ihm ein Neonschriftzug mit LOVE ME. Wie Tarzan dürfte der sich in die bürgerliche Welt schwingen. Vielleicht nicht als Bankier, aber für einen Politiker würde es wohl reichen. Mit der heuchlerischen Selbstdarstellung und wie man die fürs eigene Überleben (oder besser noch: Über-den-anderen-Leben) einsetzt, damit kennen sie sich alle aus. Foto © JR Berliner Ensemble
Die einen - wie Jonathan J. Peachum - mit überlegenem Scharfsinn. Tilo Nest würzt das mit zur Schau getragener Bildung. Immer wieder locker vom Hocker und über die Rampe weg. Die anderen mehr mit Instinkt und Gefühl. Wie Frau Peachum (Konstanze Becker), die nur mit Pelz bekleidet ihre Stippen zieht und hinreißend kenntnisreich über die sexuelle Hörigkeit der Männer im Allgemeinen und von Mackie Messer im Besonderen singt. Übertroffen nur von Nico Holonicz. Der Absolvent der Ernst-Busch-Schauspielschule mit reichlich München- und Frankfurterfahrung ist seit 2017 am BE. Er spielt diesen Mackie als den charmanten Hedonisten, gleichsam aus dem puren körperlichen Impuls heraus. Und zwar so, dass er sich das selbst glaubt. Kathrin Wehlisch verfremdet den Polizeichef Tiger Brown bis ins Changieren, das ihn bzw. sie schwer fassbar macht. Die anderen Frauen bleiben auf unterschiedliche Weise bei sich - so Bettina Hoppe als selbstbewusst kalkulierende Jenny oder Cynthia Micas als Polly und Laura Balzers Lucy als deren girliehaft überdrehte Konkurrentin um Mackie. Wenn die beiden um ihn streiten, fliegen die Fetzen. Dass hier auch sonst die Post abgeht und jeder sein Talent zum "richtigen" (sprich nicht opernhaften) Singen unter Beweis stellen kann, ist natürlich auch dem halben Dutzend Musikern im Graben zu verdanken, denen Adam Benzwi sowohl temperamentvolles Aufdrehen wie lyrische Zurücknahme erlaubt.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Band
Solisten
Mackie Messer
Polly Peachum
Jonathan J. Peachum
Celia Peachum
Tiger-Brown
Lucy Brown
Spelunken-Jenny
Der Mond über Soho
Bandit/ Hure
Bandit/ Hure
Bandit/ Hure
Bandit/ Hure
Bandit/ Hure
Filch/Smith/Bandit und Hure
Filch/Smith/Bandit und Hure
Filch/Smith/Bandit und Hure
Mond über Soho (Double)
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