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337 Jahre sind genug
Von Christoph Wurzel / Fotos: Monika Rittershaus Janáčeks Alterswerk Die Sache Makropulos ist ein schwieriges Werk und hat deswegen längst nicht die Popularität seiner früheren Opern Jenůfa oder Katja Kabanova erlangt. Wie in diesen geht es auch in Věc Makropulos um ein Frauenschicksal. Jenůfa und Katja zerbrechen jeweils an den erbärmlichen patriarchalischen Zuständen, in denen sie leben. In letzter Instanz ist auch die Hauptfigur dieser Oper ein Opfer männlicher Macht. Erst am Schluss klärt sich die Ursache ihres Schicksals auf. In ihrer Jugend (als Elina Makropulos) wurde sie von ihrem Vater für einen Versuch missbraucht, indem er an ihr ein lebensverlängerndes Elixier ausprobierte. Nun ist sie an einen Punkt gekommen, wo sie dieses langen Lebens müde ist. Nach vielen Identitäten (stets als Sängerin mit immer denselben Initialen E.M.) erscheint sie nun als Emilia Marty auf der Bildfläche - als 337-jährige Schönheit, ewig jung, aber mit ausgebranntem Gefühl, wie der Komponist seine Figur charakterisiert: "Aber ich möchte sie erwärmen, damit die Leute Sympathie für sie empfinden." Während Karel Čapek in seinem Stück die Geschichte eher komödiantisch darstellt, legt Janáček einen stärkeren Akzent auf die Tragik der Hauptfigur. Ein langes Leben erscheint hier nicht als Idealzustand, sondern als erschreckende Vorstellung von einer sinnlos gewordenen Existenz in Langeweile und Überdruss. Der Inszenierung gelingt es perfekt, die Waage zwischen der Situationskomik der Handlung und einer tiefen Empathie mit dem Schicksal der Hauptfigur zu halten, sie also im Sinne des Komponisten zu "erwärmen". Die Folie, auf der sich die komplizierte Handlung allmählich entwirrt, ist ein hundertjähriger Erbschaftsstreit, in den Emilia Marty (alias Ellian McGregor alias Elina Makropulos) verwickelt ist. Die Sisyphus-Arbeit an diesem Prozess inszeniert Klaus Guth im 1. Akt im Ambiente der Entstehungszeit der Oper (1922) als kafkaeskes Slapsticktheater, wo Anwaltsgehilfen wie aufgezogene Roboter endlos Akten hin- und hertragen. In starkem Kontrast zu dieser Handlungsebene einer konkreten, wenn auch teilweise surrealen Oberflächenwelt steht ein zeitloser, undefinierter Raum, weiß, neblig und kalt wie eine Kühlkammer. Es ist die alleinige Sphäre der Hauptfigur, in der sich zu Beginn und zwischen den Akten die Existenz Emilia Martys lediglich durch tiefe Atemgeräusche realisiert. Durch das Hin- und Herschieben der dreigeteilten Guckkastenbühne wird dieser Wechsel der Bühnenrealitäten eindrucksvoll verbildlicht.
Zwei Sphären: das geteilte Bühnenbild. Kalt, abweisend und divenhaft arrogant zeigt Marlis Petersen die Sängerin Emilia Marty, die von den Männern umschwärmt wird, sie aber ausnutzt, wenn sie sie braucht, um an ihr Ziel zu kommen - das Rezept für den lebensverlängernden Trank, die "Sache Makropulos". Das ist die eine Seite. Die von Janáček selbst beschriebene Ambivalenz der Figur, deren seelische Auszehrung durch ein unmenschlich langes Leben, zeigt Marlis Petersen in ihrem berührenden Rollenportrait andererseits auch in deren nach und nach einsetzenden Schwäche und Verletzlichkeit. Symbolhaft fügt die Regie der realen Figur Emilia Marty zwei Frauengestalten hinzu: die eine in barockem Kostüm als junge Emilia zum Zeitpunkt der Einnahme des Tranks, die andere eine Greisin, wohl als Wunschbild dessen, was der Marty verwehrt ist, nämlich in Würde zu altern. Und in einer Rolle als Sängerin erscheint die Marty als Madame Butterfly, der Figur einer Todessehnsüchtigen. In der Anwaltskanzlei des Dr. Kolenatý: Jan Mrtiník (Dr.Kolenatý), Marlis Petersen (Emilia Marty), Kanzleiangestellte (Tänzerinnen und Tänzer) Die Männer um sie herum sind nur Erfüllungsgehilfen ihres Plans. Als jovialen Lebemann zeigt Bo Skovhus den Baron Jarolav Prus, der der Marty für die Herausgabe des entscheidenden Umschlags mit dem Rezept eine Liebensnacht abpresst, sich aber nachher über ihre Eiseskälte beschwert. Aussichtslos himmelt Albert Gregor (mit schwärmerischem Tenor: Ludovit Ludha) die Marty an, die ihn aber abblitzen lässt; ist sie doch, was nur sie wissen kann, seine eigene Großmutter. Einzig das Auftauchen des einfältigen Grafen Hauk-Šendorf, der in der Marty völlig zurecht seine spanische Geliebte aus fernen Zeiten erkennt, lässt in ihr frühere Leidenschaft aufkeimen. In einer glänzend choreografierten Revueszene unter passendem Spotlight legen beide einen rasanten Tanz auf die Bühne, eine brillante Einlage von Jan Ježek in der Rolle dieses Operettentenors. Auch alle weiteren Rollen sind in Spiel und Gesang außerordentlich gut besetzt, fordert doch diese Oper in ihrer Knappheit von der Länge nur eines Wagner-Aktes äußerste Konzentration und hohe Professionalität. Simon Rattle am Pult der Staatskapelle komplettierte das eminente Gelingen dieser Produktion. Mit phänomenaler Präzision und starker Expressivität gestaltete er mit dem großartig spielenden Orchester die schwierige Partitur, von ihrer anfänglich aphoristischen Kleinteiligkeit hin bis zum symphonisch ausschwingenden Schluss, dem Schlussmonolog Emilia Martys, in dem sie im endlich erlangten Besitz des Rezepts für den lebensverlängernden Trank vor den Qualen nicht endenden Lebens warnt. Niemand möchte ihr Schicksal teilen und so geht das Blatt am Ende in Flammen auf und Emilia Marty erstarrt, einem hellen Licht zugewandt, zur leblosen Menschenfigur. FAZIT Ein Glücksfall. Mit dieser Inszenierung ist der Staatsoper Unter den Linden eine Produktion gelungen, die ebenso klar wie hintergründig und zudem noch unterhaltsam ist.. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Solisten
Emilia Marty, berühmte Sängerin
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