Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Heimatlos zwischen den Zeiten
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Thilo Beu
Ganz klar ist nicht, warum der verarmte Graf Waldner einen schwerreichen, aber betagten Regimentsfreund aus alten Zeiten anschreibt in der Hoffnung, er möge sich aufgrund eines wie zufällig in den Brief hineingelegten Fotos in Waldners Tochter Arabella vergucken und einen Heiratsantrag machen. Schließlich ist die junge Dame ja auch im heimischen Wien überaus begehrt und von drei schneidigen jungen Grafen belagert, sicher keine schlechten Partien. Aber für die junge Dame geht es halt um die ganz, ganz große Liebe und "den Richtigen, wenn's einen gibt für mich auf dieser Welt, der wird einmal da steh'n … und keine Fragen werden mehr sein." Na ja, "und selig werd' ich sein und gehorsam wie ein Kind". Und bekanntlich wird dieses Frauenbild noch drastischer zementiert: "Und Du wirst mein Gebieter sein und ich Dir untertan." Im Uraufführungsjahr 1933 war der starke Mann ja außerordentlich populär (wobei der Text bereits 1928-29 entstanden ist; der Tod Hofmannsthals verhinderte weitere Überarbeitungen). Wobei der slawische Bauer Mandryka damit aus Sicht der Nazis ganz sicher nicht gemeint war.
Die Bonner Oper stellt die Produktion in einen Kontext Fokus '33 - Forschungsreise zu den Ursachen von Verschwinden und Verbleiben und hat in diesem Zusammenhang in den vergangenen Spielzeiten weitestgehend vergessene Opern wie Der Traum ein Leben (Walter Braunfels), Holofernes (Emil Nikolaus von Reznicek), Oberst Chabert (Hermann Wolfgang von Waltershausen) und Penthesilea (Othmar Schoeck) zur Aufführung gebracht. Ein Problem des Verschwindens besteht bei Arabella wahrlich nicht, das Werk findet regelmäßig den Weg auf die Bühne - allerlei unsäglichen Textpassagen und der problematischen Haltung des Komponisten zum NS-Regime zum Trotz. Die betörend schöne Musik ist natürlich ein handfester Grund für das Verbleiben im Repertoire. Den Text als Produkt seiner Zeit abzutun, das wäre dabei viel zu kurz gegriffen: Ein Satz wie "Du wirst mein Gebieter sein und ich Dir untertan" wäre etwa Bergs Lulu sicher nicht über die Lippen gekommen.
Warten auf den Richtigen, der eines Tages da sein wird: Arabella (vorne) und Schwester Zdenka, die in der Öffentlichkeit als Junge durchgehen muss
Marco Arturo Marelli, für Inszenierung, Bühnenbild und Licht zuständig, ist weder ein Bilderstürmer noch ein konkret politischer Regisseur, ganz im Gegenteil. Zusammen mit Kostümbildnerin Dagmar Niefind löst er die Oper weitgehend aus dem Kontext der Entstehungszeit wie aus der Erzählzeit (die Handlung ist gemäß in Wien im Jahr 1860 angesiedelt, wobei Strauss und Hofmannsthal es mit den historischen Bezügen wie schon im Rosenkavalier nicht allzu genau nehmen). Die Bühne wird begrenzt von hohen drehbaren Wänden, deren zurückgenommenes Dekor auf das späte 19. Jahrhundert verweist, aber es ist kein realer Innenraum, vielmehr ein variabler Durchgangsraum. Hin und wieder sieht man dahinter Gründerzeitarchitektur, ziemlich gesichtslos. Die Menschen leben aus Koffern, und die Heimatlosigkeit - auch was die Zeit betrifft - wird ein zentraler Aspekt der Regie. Arabella wird zum Werk des Übergangs in mehrfachem Sinn: Ein Stück über die Ratlosigkeit einer Epoche, deren Bewohner den Untergang der Welt vor 1914 nicht verkraftet haben, das indirekt diese Ratlosigkeit auf das Erfolgsduo Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal zurückspiegelt, die mit der Arabella den Erfolg des Rosenkavalier noch einmal zurückholen wollten.
Marelli und Niefind erzählen die Oper zunächst beinahe wie ein Märchen. Arabella im hinreißenden blauen Kleid ist die Prinzessin, die sich, obgleich alles andere als ein Aschenbrödel, von Mandryka den Schuh anziehen lässt. Der ist der Märchenprinz im blauen Mantel mit Pelzbesatz - ein König Ludwig II. vom Dorfe. Und wie letzterer mit Luftschlössern wie Neuschwanstein seine eigene Welt zurechtbauen ließ, glaubt dieser superreiche Landbesitzer Mandryka, mit seinem Geld eine Märchenkönigin einfangen und zur Gemahlin machen können. Marelli liest Arabellas fatalen Satz vom "untertan sein" in diesem Kontext: Gehorsam will sie dem utopisch guten König sein, wie man das im Märchen halt so macht. Während sie die Passage singt, kniet Mandryka, ihre Hand auf seiner Schulter: Das Bild widerspricht demonstrativ dem Text. Allerdings kehrt Marelli das im Finale dann um, dort kniet Arabella mit Mandrykas Hand auf der Schulter. Auch wenn man hier Marellis ästhetischen Sinn für symmetrische Zusammenhänge einrechnet - es bleibt eine nicht wirklich nachvollziehbare Rücknahme. Letztendlich kniet man aber hier wie da nebeneinander und begegnet sich auf Augenhöhe.
Marelli, obwohl in seinem narrativen Ansatz vergleichsweise konventionell, löst die Figuren ziemlich weit aus einem genauer zu verortenden räumlichen oder zeitlichen Kontext heraus. An Genrezeichnungen ist ihm nicht gelegen, vom historischen Wien bleibt nicht mehr als eine Ahnung, aber immerhin so viel, dass die Handlung ihren Sinn behält. Die Personenregie ist von immens großer Präzision. Damit macht er deutlich, dass sich die Figuren nicht auf ein paar misslungene Sätze reduzieren lassen, und auch, dass die Sympathien des Komponisten bei den Frauen liegen - Arabella und ihre Schwester Zdenka, die sich lange als Mann ausgeben muss (für die standesgemäße Repräsentation von zwei Mädchen fehlt der Familie das Geld) sind ja auch fast immer die Agierenden, die das Geschehen bestimmen.
Auf dem Ball: Die Fiaker-Milli, umgeben von Mandryka und Arabella, aber auch die Grafen Elemer und Lamoral machen sich noch Hoffnung auf Arabellas Liebesgunst
In dieser Bonner Produktion sind sie zudem stimmlich den Männern klar überlegen: Barbara Senator als Arabella und Nikola Hillebrandt als Zdenka, im Timbre ziemlich ähnlich, glänzen mit strahlenden, höhensicheren Sopranen nur so um die Wette. Dramaturgisch gesehen müsste da ein Abstand hörbar sein, der hier gering ausfällt, aber was soll's: Zwei junge Frauen fordern auch klanglich ziemlich intensiv ihr Liebesglück ein. Auch optisch gibt Nicola Hillebrand den jungen Mann, der sich unerwartet in ein engelsgleiches Mädchen verwandelt, perfekt, und Barbara Senator ist eine sehr elegante Erscheinung. Zur Frauenpower trägt auch Susanne Blattert als höchst präsente Mutter Adelaide bei. Dagegen ist Giorgios Kanaris zwar ein donnernd stimmgewaltiger Mandryka, aber im Gegensatz zu den Frauen fehlen ihm die leisen und damit die Zwischentöne; musikalisch gerät ihm die Figur dadurch allzu eindimensional. Auch Martin Koch als unglücklicher Verehrer Matteo verkörpert mit höhensicherem, aber grellem Tenor eher den Dauerhysteriker als den sensiblen Liebhaber, und das Arabella umwerbende Grafentrio mit Santiago Sánchez als Elemer, Mark Morouse als Dominik und Pavel Kudinov als Lamoral bleibt vokal arg blass.
Den Ball, vor dessen Hintergrund der zweite Akt spielt, verkürzt Marelli zur schrillen Revue-Nummer, in der die Fiaker-Milli (Julia Bauers koloratursicherer Sopran ist allzu kleinformatig, um der Rolle Gewicht zu verleihen) als pinkfarbene Domina mit Schnurrbart Peitsche eine Gruppe Männer mit Hasenohren vor sich her treibt - klar, auch da geht es um das Verhältnis von Mann und Frau, von Macht und Gebieten auch in der erotischen Sphäre. Die Schwächen der Oper kann das auch nicht überspielen. Ansonsten wendet sich die Farbigkeit allmählich von blau zu weiß, und das begleitet den Lernprozess von Arabella und Mandryka, die schnell aus ihren jeweiligen Märchenwelten herausgerissen werden und hart auf dem Boden der Realität landen. Am Ende finden sich, das hat Marelli recht schön herausgestellt, zwei in dieser sich rasch verändernden Welt Verlorene, die sich neu orientieren müssen - und das gemeinsam tun werden. Man darf zweifeln, ob das klappt; das durch die gemeinsame Liebesnacht bekräftigte, von weniger hochtrabenden Worten begleitete Glück von Zdenka und Matteo scheint greifbarer. Aber mit solchen Erkenntnissen zeigt Marelli, dass diese Arabella ungeachtet ihrer dramaturgischen und textlichen Probleme doch eine ganze Menge zu sagen hat.
Allzu sehr traut Dirigent Dirk Kaftan der Oper aber wohl nicht, jedenfalls scheut das straffe und energische Dirigat jede Nähe zu vermeintlichem Kitsch. Ein wenig mehr Ruhe dürfte die Musik indes bekommen, mehr Sinnlichkeit, zumal dort, wo die Regie ja auch dem Märchenhaften Raum gibt - da dürfte auch Kaftan mit dem recht guten Beethoven-Orchester ein wenig Schwelgerei im schönen Klang erlauben, auch differenzierter sein in den Parlando-Passagen wie dem Abschied Arabellas von ihren Grafen-Freunden, wo von der einkomponierten leisen Wehmut allzu wenig zu vernehmen ist. Überhaupt neigt die Aufführung dazu, gerade bei den Sängern, sich allzu oft in ein pauschales Forte zu steigern - was angesichts der Besetzung der Hauptrollen zumindest insofern noch aufgeht, als diese nie vom Orchester zugedeckt werden und sich durchsetzen können, aber dem lyrischen Grundton zu wenig gerecht wird.
Die schön anzusehende, genau gearbeitete Regie wirft einen sehr differenzierten Blick auf Arabella - für den in der durchwachsenen musikalischen Interpretation trotz einiger Glanzlichter der Meinschliff fehlt.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung, Bühne, Licht
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Graf Waldner
Matteo
Adelaide
Arabella
Zdenka
Mandryka
Graf Elemer
Graf Dominik
Graf Lamoral
Fiaker-Milli
Kartenaufschlägerin
Welko
Djura / Jankel
Zimmerkellner
Drei Spieler
|
© 2021 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de