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Wenn das Horn zum Selbstmord ruft
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu
Gleich von drei Männern wird die Sopranistin, sie heißt Elvira, umworben. Der erste, Ernani, ist Tenor (und schon deshalb gehört ihm die Gunst Elviras), ein Verbrecher aus verlorener Ehre, der gute Bandit und Revolutionär. Der zweite, Silva, ist Bass und ebenso betagt wie machtbewusst; Elvira soll die Freude seines hohen Alters sein. Der dritte, Carlos, ist Bariton und König von Spanien, wird im Verlauf der Oper zum Kaiser Karl V. gewählt und ist, nicht zuletzt durch die Auflagen der Zensur im Jahr 1844, ein lernfähiger und zum Verzeihen fähiger Monarch. So erlässt er eine Amnestie für die widerwillig vereinten Verschwörer Ernani und Silva, die einen verhängnisvollen Pakt geschlossen haben: Ernani hat den sofortigen Selbstmord geschworen, wenn Silva es will; das bühnenwirksame Signal dazu ist ein geheimnisvoller Ruf des Horns. Der ertönt dann im Finale just in dem Moment, als Ernani und Elvira glücklich vereint die gemeinsame Zukunft besingen wollen.
Ein Schauspiel von Victor Hugo liefert das romantische Gebräu, dass der junge Verdi effektsicher ausschlachtet. Eine klar umrissene Figurenkonstellation, dazu viel Chor - der Verbreitung steht wohl vor allem Verdi selbst im Weg, der nach dieser guten Oper eben noch bessere komponiert hat. Das Bonner Ensemble liefert hand- oder besser: stimmbandfeste Gründe für Ernani. George Oniani gibt den Titelhelden unerschütterlich und ohne jede Weinerlichkeit mit standfestem, höhensicheren Tenor. Federico Longhi ist ein markanter, kühl kalkulierender und gefährlicher, vokal wie szenisch präsenter Carlos. Pavel Kudinov singt und spielt einen körperlich gebrechlichen, stimmlich aber höchst vitalen Silva. Und Yannick-Muriel Noah muss als Spinto-Sopran alles können, dramatische Attacke wie Lyrismen und noch Belcanto dazu, was sie alles in allem mit vollem und warm timbrierten Sopran, manchmal etwas ungenau fokussiert, sehr ordentlich bewältigt.
Elvira und König Carlos
Allen kommt zugute, dass meistens vorne an der Rampe gesungen wird und dass sich die szenische Aktion dabei in Grenzen hält. Auch Chor und Extrachor (Einstudierung: Marco Medved) agieren mit voller Klangpracht. Der insgesamt etwas verwackelte Beginn der Oper mag den wegen vieler Krankheits- und Quarantänefälle derzeit schwierigen Probenbedingungen geschuldet sein; nach kurzer Findungsphase hat der umsichtige Dirigent Will Humburg das Ensemble fest im Griff und dirigiert mit dem sehr guten Beethoven-Orchester einen schwungvollen, mitreißenden Verdi, und die gefürchtete Umtatatata-Begleitung vieler Nummern gerät keineswegs trivial, sondern wird mit federnder Energie zur Triebfeder der Musik. Ausgezeichnet auch die wiederholt eingesetzte Bühnenmusik (Leitung: Elia Tagliavia), mit der Verdi tolle Klangräume schafft.
Dass die Vorzüge des Werkes in der Musik und weniger im abenteuerlichen Textbuch liegen, das unterstreicht auch Regisseur Roland Schwab mit seiner immer einerseits wieder auf Tableaus, gleichzeitig aber auf Desillusionierung setzenden Inszenierung. Bühnenbildner Alfred Peter hat für die Innenräume einen durchbrochenen Kubus geschaffen, der auf einem gut sichtbaren Metallgestell über der Bühne schwebt, und statt weiterer Kulissen sieht man die Theatermaschinerie. So wird, nicht unplausibel, auch die Dramaturgie respektive Mechanik der Opernhandlung thematisiert: Hier geht es eben auch um die Wirkungsmechanismen von Theater. Um die durch die Kaiserwahl zeitliche Fixierung auf das Jahr 1519 kümmert sich das Regieteam nicht weiter; ein Kronleuchter aus dem bürgerlichen Zeitalter sowie die nicht ganz eindeutig fixierbaren Kostüme von Renée Listerdal, die ebenso an den Risorgimento wie den Faschismus oder Militärpolizei unserer Tage denken lassen, weiten den Horizont bis in die Gegenwart.
Mit dem fatalen Hornruf zwingt Silva (Mitte) Ernani zum Selbstmord, den auch Elvira nicht verhindern kann.
Stimmungsvoll, wenn auch mit Hang zum Kitsch, wird es im dritten Bild, das anlässlich der Kaiserwahl in einer Krypta des Aachener Dom spielt, hier statt der Gruft mit Särgen eine ansteigende Treppe mit vielen Totenschädeln zeigt (viel Bühnennebel). Ernani stirbt unter Sternenhimmel. Aber da ist der Kubus, der zu Beginn noch wie ein Renaissancekonstrukt aussah, bis auf die Stahlbetonfundamente zerbombt. Recht konventionell bleibt die Personenregie, die vor allem mit Ernani und Elvira nicht viel anzufangen weiß. Nebenaktionen im Chor wie tänzelnde Soldaten oder schnell gezückte Schusswaffen sind eher der Klamottenkiste als dem psychologisierenden Werkzeugkasten entnommen. Letztendlich bewegt sich die Regie dann doch sehr an der Oberfläche.
Krieg geht immer; aber darüber hinaus fällt der Regie zu Ernani nicht allzu viel ein und sie rückt folgereichtig die tolle Musik in den Vordergrund. Die wird sehr eindrucksvoll dargeboten.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Solisten
Ernani
Don Carlos
Don Ruy Gomez de Silva
Elvira
Giovanna
Don Riccardo
Jago
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