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Keine Frage der Ehre
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu
Die Lage ist unübersichtlich. Es ist schon recht verworren, was der Ritter Iwein auf der Suche nach Abenteuern alles erlebt. Vom Hof des König Artus ausgezogen, weckt er eine "Gewitterquelle" und bringt damit eine bis dahin friedliche Welt in Unordnung. Er tötet den herbeieilenden Burgherren und verliebt sich umgehend in die Witwe - die seine Gefühle schnell erwidert. Er zieht weiter und vergisst die versprochene Rückkehr, wird verflucht und begnadigt, tötet einen Drachen und gewinnt einen Löwen zum Freund; verliert seinen Kameraden Gawein und findet ihn wieder und versöhnt sich mit der geliebten Burgherrin Laudine. Damit in dieser Familienoper auch die jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauer bei so vielen Abenteuern nicht den Überblick verlieren, spricht der Löwe (brillant: Puppenspieler und Schauspieler Christoph Levermann, ganz ordentlich: Bariton Michael Krinner in den gesungenen Passagen), im zweiten Teil Hofdame Lutete (sprechend wie singend sehr intensiv und ausdrucksstark: Katharina von Bülow) in der Art eines Melodrams über die vom Orchester gespielte Musik hinweg und führt durch die Handlung. Und trotzdem wird selbst dem opernerfahrenen Zuschauer nicht alles klar. (Warum etwa bekommt das Schachspiel im zweiten Teil plötzlich eine so große Rolle?)
Das Libretto von Andrea Heuser basiert auf dem Kinder- und Jugendroman Iwein Löwenritter von Felicitas Hoppe, der seinerseits ein mittelalterliches Epos von Hartmann von Aue aufgreift. Für das Programmheft hat Tilman Spreckelsen einen lesenswerten Aufsatz mit dem Titel "Ehre, was ist das?" verfasst, der sich mit ritterlichem Heldentum und dessen Reflexion auseinandersetzt. Das hätte das Thema dieser Oper sein können, die sich aber schnell im Handlungsgestrüpp verheddert. Es ist dauernd etwas los, und vielleicht ist es die Angst vor aufkommender Langeweile, die die Librettistin wie den Komponisten Moritz Eggert dazu getrieben hat, atemlos und oft in schrecklich holprigen Reimen Szene an Szene zu hängen. Eggerts Musik bebildert plakativ im spätromantischen Duktus das Geschehen und liefert letztendlich so etwas wie einen Soundtrack zur Bühnenerzählung. Viel zu selten kommt sie zu größerer Entfaltung. Was Oper ausmachen könnte, nämlich musikalisch das zu erzählen, was szenisch nicht darstellbar ist, das kommt allzu kurz. Und die Partitur, die mit Chor und Orchester aus dem Vollen schöpfen kann, mag handwerklich ganz ordentlich gearbeitet sein; größeren Wiedererkennungseffekt und einen eigenen Stil erlangt sie nicht.
Das erste große Abenteuer: An der Gewitterquelle besiegt Iwein den "Gegner", einen Burgherren
Dabei schlagen Eggert und Heuser durchaus einen Bogen zur mittelalterlichen Vorlage. "Swer an rehte Guete / wendet sîn Gemuete, / dem volget S?lde und Êre!" ("Wer seinen Sinn auf das wahre Gute richtet, der erfährt Glück und Ehre!"), diese Textzeile wird leitmotivisch immer wieder aufgegriffen. Eggert gibt ihr eine kleine Prise mittelalterliches Kolorit, aber viel zu wenig, als dass sich daraus eine musikalische Klammer entwickeln könnte. Die Idee verpufft. Sicher ist die Musik ganz unterhaltsam, wirkt aber oft austauschbar und findet keine wirklich Anknüpfung an das Sujet. Und letztendlich klingt hier alles gleich wichtig; es fehlt eine Entwicklung auf ein Ziel hin. Auch wenn die Musik durchkomponiert ist, schimmert das Schema der Nummernoper stark durch. Es ist ein wenig so, als blättere man ein Bilderbuch durch, jede Seite für sich ganz hübsch, aber wenn man etwas auslässt oder auch den Schluss unterschlägt, macht das auch nichts. Oder vielleicht doch eher wie eine Folge unverbindlich aneinander gereihter Bilder auf dem Smartphone wie in der Rahmenhandlung, in der die gelangweilten Teenager Leon und Gereon quasi in die Geschichte hineinfallen und zu Iwein und dessen Freund Gawein werden. In der neuen Fantasiewelt droht freilich eine ganz ähnliche Langeweile durch permanente Reizüberflutung. Wobei diese überflüssige Rahmenhandlung in die Kategorie "Wir-holen-die-Kinder-da-ab-wo-sie-stehen" fällt. Warum aber trauen sich Heuser und Eggert nicht (und dem Publikum nicht zu), einfach zu zeigen, dass hinter dem Theatervorhang ganz andere Welten entstehen?
Regisseur Aron Stiehl inszeniert die Oper im Ambiente eines Barocktheaters mit vielen gestaffelten Kulissenvorhängen (Bühne: Thomas Stingl) und fantasievollen Kostümen (Sven Bindseil), manchmal mit Nähe zum Comic. Der Chor tritt oft auf wie aus Papier geschnittene Figurinen, und das alles gibt dem Stück etwas Artifizielles, allerdings auch Kleinformatiges wie in einem Puppen- und Papiertheater im Kinderzimmer. Es gibt eine Menge zu sehen, und langweilig wird es nicht; aber die Regie unterstreicht damit auch die Harmlosigkeit der Oper.
Iwein und Laudine, glücklich vereint; hinter ihnen stehen ihre Herzen - links das von Laudine, rechts das von Iwein.
Die Idee, die Herzen der ineinander verliebten Iwein und Laudine als eigene Figuren auf die Bühne zu stellen, überzeugt nicht recht, auch wenn Ava Gesell (Iweins Herz) und Sarah-Lena Winterberg (Laudines Herz) sehr schön singen. Anton Kuzenok singt den Iwein mit sicherem, etwas ungestümem Tenor, Lada Bockova ist eine klangschöne Laudine. Kraftvoll und überzeugend agieren Jakob Kunath als Gawein und Pavel Kudinov als Burgherr und wilder Mann. Der Opernchor (Einstudierung: Marco Medved) hat durchaus gut zu tun und ist sehr präsent. Das Beethoven Orchester unter der Leitung von Daniel Johannes Mayr zeichnet die Farbigkeit der Partitur sehr schön nach.
Große Oper mit Chor und Orchester für die Kleinen (ab 8 Jahren) - alles ganz hübsch und unterhaltsam gemacht, aber der ganz große Zauber will sich nicht einstellen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Löwe (Puppenspieler)
Löwe (Sänger)
Lutete
Iwein (Leon)
Iweins Herz
Gegner / Wilder Mann
Gawein (Gereon)
Laudine
Laudines Herz
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