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Leichtfüßige Reise in die chinesische Märchenvergangenheit
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Thilo Beu
Der Konflikt entpuppt sich als arg leichtgewichtig: Ohne nennenswerte Anstrengung kann der beim Volk überaus beliebte Dichter Li-Tai-Pe die Intrige aufklären, die ihm den Kopf kosten soll. Habe er doch, so setzen Neider in die Welt, bei der Brautwerbung für den Kaiser von China die koreanische Prinzessin gleich selbst verführt. Nur blöd, dass der einzige vermeintliche Zeuge sich nur zum Schein auf eine Falschaussage einlässt, denn der ist eigentlich gar nicht, wie alle denken, ein harmloser Page, sondern eine Frau in Männerkleidern, und zwar die ihrerseits in Li-Tai-Pe verliebte Yang-Gui-Fe, ein "Mädchen aus dem Volke". Selbst besorgt um die Verführungskünste des Dichters, ist sie ihm nicht von der Seite gewichen. Von so viel Treue überwältigt, nimmt der Poet sie auf der Stelle zur Frau. Alles wird gut, und statt hoher Staatsämter begehrt Li-Tai-Pe nur eines: Eine ausreichende Alimentierung in Form edler Weine.
Komponist Clemens von Franckenstein (1875 - 1942), von 1912 - 1918 Intendant der Münchner Hofoper und später, als es keinen Hof mehr gab, von 1924 - 1934 Intendant der Bayerischen Staatsoper, hat mit der im 8. Jahrhundert in China angesiedelte Märchenoper ein nach der Uraufführung 1920 recht populäres Werk geschaffen mit einer Hauptfigur, die irgendwo zwischen Wagners Obermeistersinger Hans Sachs und dem unverwüstlichen Genussmenschen Falstaff angesiedelt ist, allerdings deutlich höher singt, nämlich in exponierter Tenorlage - Mirko Roschkowski bewältigt die Partie mit hellem Timbre und sicheren Höhen ganz ordentlich, auch wenn man der Stimme etwas mehr "Unterbau" wünscht; er verkörpert den unerschütterlichen Gemütsmenschen durchweg überzeugend. Dass die Oper letztendlich mehr lyrisch als komödiantisch angelegt ist, liegt an der Figur der träumerischen Yang-Gui-Fe (mit anrührendem, in den Aufschwüngen mitunter zerbrechlich anmutendem, aber immer souveränem Sopran: Anna Princeva), denn die ist trotz ähnlicher Konstellation (Frau verkleidet sich als Mann, um dem Geliebten nahe zu kommen) ganz sicher keine Verwandte von Beethovens heroischer Fidelio-Leonore, sondern viel eher die glücklichere Schwester von Puccinis so traurig sterbender Liú, die ihren Kalaf durch Selbstmord vor dem Zugriff Turandots rettet - aber das wurde erst ein paar Jahre später komponiert. Das Rollenmodell der zarten und doch tapferen, gegenüber dem Mann letztendlich doch bei allem Heldenmut unterwürfigen Frau hat natürlich einige Patina angesetzt, um es vorsichtig zu formulieren. Die Inszenierung von Adriana Altaras lässt das unkommentiert stehen, und das ist nicht einmal schlecht so: Da setzt die Regie wohl auf ein kritisch mitdenkendes Publikum.
oben: Yang-Gui-Fe und Li-Tai-Pe vor Großstadtkulisse
Gut und Böse sind ein bisschen zu einfach verteilt im Libretto von Rudolf Lothar (bekannter dafür, dass er für Eugen d'Albert das Textbuch zu Tiefland schrieb). Der beim Volk beliebte Li-Tai-Pe hat als Unterstützer noch den Gelehrten Ho-Tschi-Tschang an seiner Seite (sehr präsent: Giorgios Kanaris), und die neue kaiserliche Verlobte, die koreanische Prinzessin Fey-Yen (mit mädchenhaftem, nicht zu kleinem Sopran: Ava Gesell) bemüht sich allzu eilfertig um die Begnadigung der Übeltäter. Wenn Li-Tai-Pe und Yang-Gui-Fe am Ende per Schiff in vermutlich einsame Gefilde entschwinden, wo der viel besungene Kormoran am Ufer steht, lässt einen das etwas ratlos zurück: Ob Li-Tai-Pe dort ohne Publikum und mit eher schwieriger Alkoholversorgung glücklich wird? Es bleibt ein metaphysischer Aufbruch in eine bessere Welt.
Warum ist das Werk nach 1944, als die letzten Opernhäuser im Reich geschlossen wurden, gänzlich von den Spielplänen und aus dem Bewusstsein verschwunden? Dieser Frage geht die Bonner Oper in ihrem Projekt
Ankunft der koreanischen Prinzessin (im Boot): Der Kaiser (links) wartet ab, die Intriganten (auf der Treppe links und rechts) starten ihren Verleumdungsversuch, den der vermeintliche Page (2. v.r. auf der Treppe) platzen lassen wird.
Ein Problem ergibt sich sicher aus ganz aktuellem Kontext, nämlich der deutsch-europäische Blick auf eine fremde Kultur, was schnell dem Vorwurf der unzulässigen Aneignung ausgesetzt ist - ob zu Recht oder nicht, darüber entscheiden mitunter Nuancen, ganz sicher auch der Standpunkt. Regisseurin Adriana Altaras bleibt hier, so der Eindruck, ziemlich vorsichtig, überblendet die Welt des Märchens immer wieder mit Bildern des modernen China: Menschenmengen in Einkaufsstraßen, Hochhauskulisse. Den ersten Akt, der in einer Schenke angesiedelt ist, verlegt sie in eine ziemlich moderne Kaschemme, die Bösewichte sehen aus wie fiese Geheimdienstoffiziere der jüngsten Vergangenheit. Der dritte Aufzug zeigt historische Zeichnungen, die am ehesten auf ein Bilderbuchchina hindeuten, aber in diesem Kontext auch die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit des europäischen China-Bildes anzeigen. Eher ein Fehlgriff sind dagegen vier Mandarine, die mit Trippelschritten als komödiantische Figuren angelegt sind, ohne dass man da eine Brechung oder einen doppelten Boden erkennen könnte. Vermutlich könnte Li-Tai-Pe auch als naives Märchen erzählt werden. Die Oper mag weit von der musikalischen Avantgarde ihrer Zeit entfernt sein; als gelungener sommerlicher Saisonabschluss in Bonn erhebt die lyrische Komödie durchaus einen Anspruch auf einen Platz im Repertoire.
Eine echte Entdeckung: Clemens von Franckensteins lyrisch-spätromantische Märchenkomödie kommt in einer musikalisch wie szenisch überzeugenden Produktion beim Publikum gut an.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Kaiser Hüan-Tsung
Dichter Li-Tai-Pe
Ho-Tschi-Tschang, Doktor der Kaiserlichen Akademie
Yang-Kwei-Tschung, Erster Minister
Kao-Li-Tse, Kommandant der Garden
Ein Herold
Ein Wirt
Ein Soldat
Fei-Yen, eine koreanische Prinzessin
Yang-Gui-Fe, ein Mädchen aus dem Volke
Mandarine
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