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Die Diva tritt ab
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel
Eigentlich sollte ja Umberto Giordanos Revolutionsoper Andrea Chenier gespielt werden, inszeniert von Dmitry Bertram, dem Intendanten der Moskauer Helikon-Oper. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde die Produktion kurzerhand abgesetzt. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, denn bei jeder anderen Entscheidung wären die Rheinoper und Intendant Christoph Meyer zerrissen worden. Stattdessen wurde kurzerhand vom Staatstheater Mainz Francesco Cileas Künstleroper Adriana Lecouvreur übernommen, nur ein paar Jahre nach Andrea Chenier entstanden (bei der Uraufführung 1902 sang Enrico Caruso die Tenorpartie) - Christoph Meyer wechselt sozusagen positionsgetreu. Vor allem der musikalischen Seite wegen ein Clou, der der Rheinoper zum Saisonabschluss ein echtes Sängerfest beschert. Michonnet, optisch der Gegenentwurf zum Superstar, ist ohne jede Hoffnung in Adriana (hinten) verliebt
Die umjubelte Schauspielerin Adriana Lecouvreur liebt, wen auch sonst, den Tenor, der in diesem Falle Maurizio heißt und zwecks Förderung der eigenen Schauspielkarriere der (verheirateten) Fürstin von Bouillon, einem Mezzosopran, falsche Hoffnungen macht, obgleich er eigentlich Adriana zugetan ist - das ist die Grundkonstellation für eine recht verworrene Intrige, an deren Ende die zwischenzeitlich gedemütigte Fürstin ihre Rivalin Adriana vergiftet. Die Geschichte basiert auf einem im 19. Jahrhundert vielbeachteten Schauspiel, das wiederum die historische Person Adrienne Lecouvreur (1692 - 1730), bedeutendste Schauspielerin ihrer Zeit, in den Mittelpunkt stellt. Starkult vor und hinter der Bühne also; das Theater kreist um sich selbst. Mit Francesco Cileas Musik allerdings ziemlich eindrucksvoll. Das Leben ist ein großes Theaterdrama: Diva Adriana Lecouvreur ahnt, dass sie bald aus dem Rampenlicht abtreten muss
Regisseur Gianluca Falaschi, der auch Bühnenbild und Kostüme entworfen hat, verlegt die Story aus dem Schauspielmilieu in die Welt von Revue und Hollywood-Film, zeitlich fixiert mit bewussten Ungenauigkeiten zwischen die 1920er- und 1950er-Jahre. Über Details und Logik der Handlung geht er großzügig hinweg (trotzdem lässt sich die Geschichte ganz gut nachverfolgen), vielmehr interessieren den gelernten Bühnen- und Kostümbildner die Stimmungen und die großen Bilder. Viel Glamour und Glitzer, wirkungsvolle Auf- und Abtritte, eine nicht übermäßig ambitionierte, aber solide Personenregie - das reicht, um die Sängerinnen und Sänger effektvoll in Szene zu setzen. Die eigentliche Idee der Regie, aus dem Liebesdrama das Drama der alternden Diva zu machen, die dem nächsten Star der Branche weichen muss, wirkt dabei ein wenig halbherzig; und dass womöglich das ganze Leben ein großes Theaterspiel ist (in vielen Szenen wird offen gezeigt, dass alles Kulisse ist, und was vor oder hinter der Szene spielt, muss man sich meist denken), kommt über das Niveau einer Plattitüde nicht hinaus. Man muss diese Oper auch nicht überinterpretieren; Falaschi serviert ein gut anzusehendes, vor allem in seiner ästhetischen Konzeption überzeugendes Musikdrama. Für alles weitere sorgen die Sängerinnen und Sänger. Zumindest den Hauptpartien kommt es entgegen, sich in Rampennähe ohne große Aktion auf die Musik konzentrieren zu können. Die Herzogin von Bouillon buhlt um Maurizio
In der Titelpartie glänzt Liana Aleksanyan mit vollem, auch im Piano substanzvollem Sopran mit dramatischer Kraft. Das Vibrato ist ein wenig groß und schwingt manchmal zu langsam ein, was die musikalische Linie ein wenig schwerfällig erscheinen lässt, aber gar nicht so unpassend ist - Aleksanyan gibt eine Diva, die mit Würde und ohne große Widerstandskraft dem Untergang (hier: dem Abschied vom Rampenlicht) entgegenschreitet. Sergey Polyakov als etwas zwielichtiger, an der eigenen Karriere interessierter Liebhaber Maurizio beeindruckt mit großem, leicht eingedunkeltem Tenor mit imposanter Höhe. Ramona Zaharia gibt die rivalisierende Fürstin von Bouillon mit etwas scharfem, sehr präsentem Mezzosopran als streitbare Egomanin. Ganz großartig Alexey Zelenkov als liebenswert-gutmütiger Intendant Michonnet, seinerseits in Adriana verliebt (chancenlos) und mit biederem Pullunder leicht auszumachen als Außenseiter in der Welt von Glitzer und Glamour - aber stimmlich trumpft der sonore Bariton ganz groß auf. Abschiedsvorstellung: Zum letzten Mal wird Adriana vom Publikum gefeiert.
Auch die kleineren Partien sind exzellent besetzt mit Beniamin Pop als auch stimmlich schlankem, aber zupackendem Baron von Bouillon und Matteo Mezzaro als dessen Kumpan Abbé von Chazeuil mit markantem, nicht zu scharfem Tenor, beide auch überaus elegante Bühnenerscheinungen (denen die Regie auch einiges abverlangt). Das trifft auch auf das sehr überzeugende Schauspielerquartett zu (Indre Pelakauskaite, Sarah Ferede, Florian Simson, Jake Muffett). Der zuverlässige Chor der Deutschen Oper am Rhein (Einstudierung: Patrick Francis Chestnut) bleibt unauffällig. Am Pult der guten Düsseldorfer Symphoniker sorgt Antonino Fogliani für süffigen, nicht zu dick aufgetragenen Sound.
Gianluca Falaschis an sich nicht weiter aufregende Sicht auf Liebe und Leid der Filmstars zwischen Broadway und Hollywood liefert eine stimmungsvolle Kulisse für ganz große Gesangsoper mit tollen Solistinnen und Solisten. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Ausstattung
Licht
Chor
Dramaturgie
szenische Einstudierung
Solisten
Adriana Lecouvreur
Maurizio
Michonnet
Die Fürstin von Bouillon
Der Fürst von Bouillon
Der Abbé von Chazeuil / Maggiordomo
Jouvenot
Dangeville
Poisson
Quinault
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