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Verspielte und melancholische Übergangszustände
Von Stefan Schmöe / Fotos von Bettina Stöß
Worum es geht? Irgendwie um alles. Ein "Hero", ein Held, betritt die Bühne, erlebt allerlei Anfechtungen und greift doch nach den Sternen. So könnte man Twyla Tharps für diesen Ballettabend kreiertes Ballett Commentaries on the Floating World zusammenfassen, denn tatsächlich gibt es eine Reihe von narrativen Elementen, die sich ganz grob in der beschriebenen Form ordnen lassen. Eric White ist dieser Held, tanzt sinnigerweise auch in weißem Hemd und Hose, sehr intensiv und elegant, will die Welt umarmen und schließlich auch eines der sternartigen Objekte, die am Bühnenhimmel hängen. In der Welt warten allegorische Figuren wie "Zeit" und "Jugend", aber auch ein unangenehmer "Demagoge" mit seinem "Mob". Ein Stationendrama, das aber keineswegs eine melodramatische Geschichte erzählt, sondern eher fein angedeutet wird. Commentaries on the Floating World: The North Star (Julio Morel)
Dabei ist es gar nicht der "Hero", sondern eine andere Figur, die allgegenwärtig auf der Bühne steht: "The North Star", der Polarstern, der in der Verlängerung der Erdachse am Sternenhimmel seinen festen Platz besitzt, während sich alle anderen Sterne um ihn herum zu drehen scheinen. Dieser Polarstern gibt sich sehr lässig im schlabbrigen, Iangen Shirt und enganliegenden, knielangen Hosen, barfuß, und, obwohl doch Himmelskörper, sehr erdverbunden: Julio Moral wippt im Rhythmus der Musik, bewegt sich viel, verliert aber kaum den Kontakt zum Boden. Wie Sternbilder kreisen die anderen Figuren und Gruppen um ihn. Wobei sehr unterschiedliche Stile aufeinandertreffen. Da gibt es als Kontrast zum "Mob" eine Gruppe von "Chorus Ladies", angeführt von der kühl-strengen Simone Messmer, die in einer Bewegungsfolge aus dem klassischen Repertoire für Ordnung und Disziplin steht, für Organisation im traditionellen Tanzsinn. Da wird viel auf Spitze getanzt. Und so füllt sich Twyla Tharps Universum mit etlichen Verweisen auf die Geschichte des Balletts und wird zu raffinierten Stilcollage mit wechselnde Bezugsebenen. Commentaries on the Floating World: The Hero (Eric White)
Dann gibt es ja auch noch die Musik: Aus 53 kleinen Phrasen setzt sich Terry Rileys Komposition In C zusammen (1964 war das eine der ersten Werke der minimal music), die mit großen Freiheiten gespielt werden dürfen (daher ist die Dauer auch nicht festgelegt) - in beliebiger Besetzung. Während des gesamten Stücks läuft ein Puls auf dem Ton c mit, was den Klangraum festlegt, auch wenn sich darunter vage andere Tonalitäten entwickelt. Aus dem allmählichen Wechsel der Phrasen ergibt sich eine sich langsam, aber stetig verändernde, fließende Struktur. Darauf könnte sich der Titel des Balletts Commentaries of the Floating World beziehen, aber zu viel Eindeutigkeit gibt es in der Choreographie nicht. Eine Welt im Fluss, ein ständiges Werden und Vergehen, mit dem Fixstern als allgegenwärtigem Bezugspunkt - Twyla Tharp lässt ihrem Stück große Offenheit. Commentaries on the Floating World: Dukin Seo, Michael Foster, Kauan Soares
Mit allerlei Allegorien hat auch schon Natalia Horecna in Wounded Angel in Düsseldorf gearbeitet, ohne dabei der selbstgestellten Kitsch-oder-Ironie-Falle zu entkommen. Twyla Tharps Ansatz, stärker assoziativ als konkret bildlich, gibt sich ungleich souveräner, fordert ein gewisses Maß an Pathos ein, ist aber gleichzeitig von entwaffnender Verspieltheit. Auch im Tanz ist alles fließend, organisch in den Abläufen und wie mit einem milden Lächeln dahingezaubert: Der universelle Anspruch wird nicht als Kraftakt, sondern als Geflecht von Andeutungen und Assoziationen ausformuliert. Aus dem ausgezeichneten Ensemble sei noch Feline van Dijken als "Companion", also Begleiterin oder Verbündete des "Hero" genannt, was sie mit Eleganz bewältigt. Die Düsseldorfer Symphoniker spielen unter der Leitung von James Williams hochkonzentriert; eine der Instrumentalstimmen wird von Luiza Fatyol mit schönem Sopran gesungen, eine Interessante Klangfarbe, allerdings nicht ohne eine leichte Verschiebung zur Sentimentalität - Vokalisen haben halt auch in der Filmmusik ihren Platz. Come In: Philip Handschin, Daniele Bonelli, Rashaen Arts
Im zweiten Teil des Abends dürfte die größte technische Herausforderung für die Musiker darin bestehen, nicht wegzudösen. Come In des russischen Komponisten Vladimir Martynov (* 1946) klingt zunächst wie die allzu weichgezeichnet vom Streichorchester gespielte Version eines langsamen Satzes aus einem klassischen Streichquartett, filmmusikreif und nicht einmal mit harmonischen Überraschungen. Am Ende des in schlichter Regelmäßigkeit aufgebauten, strophenartigen Abschnitts spielen Holzblock und Glocken niedliche Dreiklangsbrechungen. (Und ja, wir sind in Düsseldorf, da darf man an die Band Kraftwerk denken, die in Das Model eben solche Dreiklangsbrechungen ganz ähnlich eingebaut hat). Diese Grundform wird in variierter Form mehrfach wiederholt. Dabei legt Martynov eine Solovioline über das Orchester (Franziska Früh, Konzertmeisterin in Düsseldorf, stemmt sich angenehm geradlinig gegen den Kitsch). Freimachen von der sedierenden Wirkung dieser gnadenlos tiefenentspannten Wohlfühlmusik kann und will sich die kanadische Choreographin Aszure Barton in ihrem 2006 in Buffalo uraufgeführten Ballett Come In nicht. Sicher, man möchte die halbe Stunde Spieldauer eigentlich permanent rufen: "Verweile doch, Du bist so schön", aber dieser Schönheit wohnt ein inflationäres Moment inne. Come In: Miquel Martínez Pedro, Philip Handschin
Die Choreographie entstand, als der große Tänzer und Choreograph Mikhail Barishnikov vorschlug, Aszure Barton möge doch etwas für ihn erarbeiten - ohne weitere Vorgaben. Im Entstehungsprozess kristallisierten sich offenbar zwei Dinge heraus: Barton übernahm etliche Alltagsgesten Barishnikovs in ihre Arbeit, ganz nebensächliche Bewegungen, verbindet diese geschmeidig mit der neoklassizistischen Tanzästhetik, und dadurch bekommt die Choreographie etwas sehr Menschliches. Und dann entschloss sich Barton, weil Barishnikov gar nicht an der Selbstdarstellung gelegen sei (wie sie im Programmheft angibt), dass ein Ensemblestück viel passender als ein Solo sei. Ursprünglich für Männer und Frauen konzipiert, ergab sich in einer späteren Produktion eine rein männliche Besetzung, die auch für diese Adaption für das Ballett am Rhein übernommen wird. Tatsächlich führt dies zu einer neuen Perspektive, weil die klassische (mindestens latent vorhandene) Spannung zwischen den Geschlechtern fehlt und sich so ein anderes Abstraktionsniveau einstellt. Im Wechsel von Soli und Ensembles, bei denen es aber immer bei einer gewissen Distanz bleibt, kristalliert sich auch hier ein andauernder Prozess allmählicher Veränderung heraus. Unaufgeregt ruhig tragen die Tänzer, in schwarze Trikots gekleidet, zwischendurch Stühle herein, setzen sich, Blicklinien durchmessen den Raum. Viel Nachdenklichkeit. Wir kommen an und gehen fort - so umreißt die Choreographin das Thema ihres Stückes. Ein paar mehr Widerstände sind im richtigen Leben allerdings doch zu überwinden.
Ein gelungener Abend: Ballettchef Demis Volpi, in dieser Produktion nicht mit einer eigenen Choreographie vertreten, stellt zwei interessante, insgesamt vielleicht ein wenig zu gefällige Arbeiten gegenüber. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamCommentaries on the
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