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Orphée aux enfers
(Orpheus in der Unterwelt)


Opéra bouffe in zwei Akten
Text von Ludovic Halévy und Hector Crémieux
Musik von Jacques Offenbach


Dialoge in deutscher Sprache, Gesangstexte in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca 3h (eine Pause)

Koproduktion mit den Salzburger Festspielen und der Komischen Oper Berlin
Premiere am 11. März 2022 im Opernhaus Düsseldorf


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Rheinoper
(Homepage)
Die Hölle als die immer noch beste aller Welten

Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans-Jörg Michel

Wenn die Hölle eine Sphäre ist, in der die bürgerliche (Sexual-)Moral ihre einengenden Kräfte verliert, dann verliert diese Hölle - nennen wir sie besser "Unterwelt" - ihre Schrecken und nimmt in gewisser Weise Züge des Paradieses an: Hier ist man Mensch, hier darf man's sein. Wie man an starren Moralvorstellungen scheitern kann oder sogar scheitern muss, das hat an der Rheinoper eine Woche zuvor Tatjana Gürbaca in ihrer Inszenierung von Katja Kabanova gezeigt. Jetzt folgt mit Orpheus in der Unterwelt Barrie Koskys optimistischere Alternative - eine interessante, wenngleich doch zufällige Konstellation, denn Koskys Inszenierung ist in Koproduktion mit den Salzburger Festspielen (unsere Rezension) und der Komischen Oper Berlin bereits 2019 entstanden.

Szenenfoto

Klassische Musik kann eben auch tyrannisieren: Eurydike möchte keine Violinsoli ihres Gatten Orpheus mehr hören.

Kosky, der sich an "seinem" Haus, der Komischen Oper Berlin, zum Großmeister der Operette aufgeschwungen hat, nimmt das Genre gleichzeitig ernst und unernst. Die Bühne wird gerahmt durch ein weiteres Bühnenportal, das aus der Entstehungszeit von Offenbachs Meisterwerk (Uraufführung: 1859) stammen könnte, bei dem der Lack aber kräftig blättert (Ausstattung: Rufus Didwiszus) - da scheint eine Form des Theaters doch kräftig in die Jahre gekommen zu sein, das ist eine Botschaft; "alles nur Theater" ist eine andere. Wir begeben uns jedenfalls vordergründig auf eine Zeitreise zurück ins 19. Jahrhundert, wie die Kostüme zeigen, zurück in die Welt des verschlafenen Großbürgertums auf dem Olymp, das sich doch viel lieber in den Varieté-Theatern amüsieren möchte. Kosky zeigt beides; er stattet Jupiter (elegant und souverän: Peter Bording) mit bourgeoiser Würde aus, wie überhaupt die Göttersippe mit tollen Kleidern (Kostüme: Victoria Behr) ausstaffiert ist. Aber allenthalben - und nicht erst im Finale - wechselt die Regie ins Varieté, mit vielen hinreißenden Ballettnummern hart an der Grenze zum Slapstick (Choreographie: Otto Pichler) und jede Menge Frivolitäten. Angehängte männliche Geschlechtsteile, aufgedruckte Vaginas, extrem knappe Kostüme sowieso - Kosky hat natürlich eine gewisse Lust an der Provokation und sagt jeder Operettenbiederkeit erfolgreich den Kampf an. Insofern ist diese Produktion auch eine pralle, manchmal derbe, fast immer mitreißende Show mit hoher Schlagzahl.

Szenenfoto

Pluto in Verkleidung des Schäfers und Imkers Aristäus bringt ein veritables Bienenballett mit, um Eurydike für sich zu gewinnen.

Aber Kosky nimmt sich geradezu liebevoll der Figuren an, selbst da, wo er sie karikiert. Dieser Orpheus (mit schönem, nicht zu kleinem Tenor: Andrés Sulbarán) kann einem schon leidtun, wenn er als Musiker nicht ernst genommen wird und seine Gattin ihm das Instrument zertrümmert; die öffentliche Meinung (resolut: Susan Maclean) tritt auf wie eine Schicksalsgöttin aus der antiken Tragödie (seriöser als die eigentlichen Götter im Stück), Pluto (mit geschmeidigem, variablem Tenor: Florian Simson) bleibt ein undurchsichtiger Stratege. Und dann natürlich die Eurydike: Elena Sancho Pereg ist eine hinreißende Bühnenerscheinung, sehr attraktiv, sehr sexy, und mit quirligem Sopran, der allerdings ein wenig zu soubrettenhaft bleibt, ist sie auch stimmlich sehr präsent. Am Ende greift Kosky, der ansonsten sehr eng am Libretto bleibt und genau weiß, wie viel von der Geschichte er erzählen muss, ein klein wenig in Offenbachs Dramaturgie ein und überlässt dieser Frau die freie Entscheidung über ihr Schicksal: Sie möchte, ungeachtet der Pläne der um sie buhlenden Herren Pluto und Jupiter, eine Bacchantin bleiben.

Szenenfoto

Großbürgerliches Familienfoto: Die olympischen Götter mit Patriarch Jupiter im Zentrum

Ein Clou dieser Inszenierung ist der Umgang mit den Dialogen, die ja allzu oft einem international besetzten Ensemble Mühe bereiten. Kosky lässt sie alle von einer einzigen Person sprechen, nämlich von John Styx, dem einstigen Prinzen von Arkadien, der jetzt so eine Art Vermittler zwischen Leben und Tod ist (der Styx ist der Grenzfluss zwischen den Reichen der Lebenden und der Toten). Der Schauspieler Max Hopp spielt und spricht hochvirtuos und sehr musikalisch in unterschiedlichen Stimmlagen (und die anderen Darsteller bewegen mit verblüffender Präzision die Lippen dazu), aber er ahmt sie nicht nach, und so liegt ein permanentes Moment der Verfremdung über der Szene. Aber Hopp macht auch noch allerhand Geräusche, etwa das Öffnen von Türen, die Schritte - das ist eine oft sehr witzige Soundcollage wie in einem Zeichentrickfilm, und entsprechend ist die Körpersprache der Figuren immer ein wenig überzogen (manchmal verliert sich die Regie freilich in diesen Szenen, da hätten ein paar Straffungen nicht geschadet). Die Genauigkeit, mit der jede kleine Bewegung dabei inszeniert und choreographiert ist und synchron zur Sprache (aber auch zur Musik) abläuft, kann man gar nicht genug hervorheben - und entsprechend das von der Statisterie (und den Bühnentechnikern) über den ausgezeichneten Chor (Einstudierung: Patrick Francis Chestnut) und das aberwitzig agierende Tanzensemble bis zu den Solist*innen durchweg exzellente Ensemble (szenische Einstudierung: Esteban Muñoz, choreographische Einstudierung: Silvano Marraffa) nicht hoch genug loben: Eine Meisterleistung.

Szenenfoto

Einst war John Styx der Prinz von Arkadien, jetzt ist er Aufpasser für eine zunehmend gelangweilte Eurydike in der Unterwelt

Und dann ist da natürlich noch das ebenfalls ganz famose Orchester (mit tollen Soli in den Holzbläsern). Am Pult steht Adrien Perruchon, der schon die Aufführungen dieser Produktion an der Komischen Oper dirigiert hat und viel Feingefühl für diese Musik besitzt, ihr Esprit und Leichtigkeit gibt. Bei allem Witz gibt es die kleinen elegischen Momente, etwa bei Eurydikes Tod, der zum musikalischen Übergang in eine andere Welt wird und deutlich macht: Aller Trubel hier ist ernst grundiert. Witz und Ernst sind hervorragend austariert. Wenn Jupiter sich Eurydike als Fliege nähert, klingt das ja oft ein wenig nach Kindergeburtstag; hier umschwärmen sich zwei durchaus vorsichtig Abwartende, und da macht diese Musik die erotische Spannung des Moments hörbar. Oder der galop infernal, der berühmteste aller Can Cans, der mit enormer Binnenspannung ganz subtil das Tempo anzieht uns sich damit weit entfernt vom banalen Klatschmarsch.

Szenenfoto

Konkurrenten um Eurydikes Gunst: John Styx (stehend) Jupiter (mit Blitz) und Pluto

Kosky kann auch deshalb szenisch kräftig zulangen, weil er weiß, dass die Musik das abfedert. Und ganz ohne Schrecken kommt seine Hölle auch nicht aus; da sitzt ein riesiger Teufel auf einem gigantischen Rad, das auf die Industrialisierung verweist wie auch auf das allmächtige Schicksal; da reißen sich die Tänzer plötzlich die Köpfe ab. Der Tod ist uns eben doch sehr nah, mögen wir uns auch mit noch so viel Theater dagegenstemmen. Zu Eros gehört auch hier Thanatos. Wenn im Schlussapplaus die Regenbogenflagge mit dem zusätzlichen Aufdruck "Peace", vom Ensemble aufgespannt wird, unterstreicht das die Aktualität des Werkes und der Regie gerade in diesen Tagen: Ein eindringlicher Appell für Individualität und Selbstbestimmung.


FAZIT

Offenbach at his best: Barrie Koskys kraftvolle und lustvoll zwischen Varieté und Zeichentrickfilmästhetik hin und her springende Regie wird an der Rheinoper musikalisch wie szenisch ganz ausgezeichnet umgesetzt. Unbedingt ansehen und -hören!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Adrien Perruchon

Regie
Barrie Kosky

Bühne
Rufus Didwiszus

Kostüme
Victoria Behr

Choreographie
Otto Pichler

Licht
Franck Evin

Chor
Patrick Francis Chestnut

Dramaturgie
Maurice Lenhard
Susanna Goldberg



Statisterie der
Deutschen Oper am Rhein

Chor der
Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

John Styx
Max Hopp

Eurydike
Elena Sancho Pereg

Orpheus
Andrés Sulbarán

Pluto
Florian Simson

Cupido
Romana Noack

Venus
Heidi Elisabeth Meier

Jupiter
Peter Bording

Juno
Katarzyna Kuncio

Mars
Torben Jürgens

Diana
Valerie Eickhoff

Merkur
Sander de Jong

Tänzer*innen
Danielle Bezaire
Jessica Falceri
Luissa Joachimstaller
Ran Takahashi
Brittany Young
Kai Braithwaite
Kai Chun Chuang
Michael Fernandez
Daniel Ojeda
Lorenzo Soragni
Alessio Urzetta
Daniel Vliek




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

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