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Auf der Wanderschaft
Von Roberto Becker / Fotos © Semperoper Dresden / Ludwig Olah In dieser Geschichte geht's um Zerstörung, um Flucht, um Unterwerfung und Erniedrigung, ja Missbrauch. Und als Krönung, um einen skrupellosen Mordversuch an Mutter und Kind. Da es sich um den biblischen Urvater Abram handelt, der per göttlichem Dekret im Laufe des Abends in Abraham umbenannt wird, beruft der sich bei seinem menschlich-allzumenschlichen Handeln recht wortreich, diskussionsarm und widerspruchslos auf den HERRN. Das gilt auch für den Vorschlag von Abrahams Gattin Sarai, er solle sich als vorgesehener Stammvater doch der Sklavin Hagar bedienen, um zu den zeugungsfähigen Nachkommen zu kommen, die sie ihm als über 90jährige Gattin nicht mehr gebären kann. Das gilt für das Tempo, mit dem Abraham diesem Vorschlag folgt und sich gleichsam aus politischem Kalkül "opfert". Das gilt aber auch für die pure Menschenverachtung, mit der jene auserkorene Sklavin Hagar und ihr Sohn Ishmael in die Wüste gejagt werden, nachdem Sarais wundersame Greisinnenschwangerschaft mit der Geburt von Isaak endete. Die brauchen allesamt ihre Berufung auf einen allmächtigen Gott, um als Menschen noch irgendwie zu bestehen. Ohne dieses "Rausreden" bzw. das "Dazwischenreden", zum dem der HERR seine Engel immer gerade rechtzeitig schickt, würden sie nicht bestehen, wären sie als göttliche Geschöpfe ziemlich jämmerlich. Abraham und seine Ehefrau („Du musst Stammvater werden, egal wie“)
Wer heute aus dieser Überlieferung, mit der die Entstehung und das Auseinanderdriften von drei Religionen, sozusagen aus ihren eigenen Mythen, begründet wird, eine Geschichte für die Opernbühne macht, kann per se nicht vom Schutz einer allgemein akzeptierten Wahrheit ausgehen. Von einer nichtreligiösen Warte aus könnte man diese Geschichte gar für starken religionskritischen Tobak halten. Dieses die Vergangenheit beschwörende Einst taugt jedenfalls nicht als Spiegelung für ein Zukunft verheißendes Einst. Helmut Krausser hat in seinem Libretto für dieses Auftragswerk der Semperoper an den Dresdner Komponisten Torsten Rasch in einer Diktion, die von heute kommt und aufs Alttestamentarische projiziert ist, die Geschichte einer Leihmutterschaft erzählt, bei der man schnell den Respekt vor allem vor dem Stammvater und vor seiner Frau verliert. Dass Hagar und Ishmael nicht - wie von diesem Horror-Ehepaar geplant, zumindest aber in Kauf genommen wird - in der Wüste umkommen, ist jedenfalls nicht ihr Verdienst. Die Augenzeugin aus der Tiefe des Raums und der Zeit
Die Geschichte ist das eine. Sie bleibt trotzt aller Versuche, sie in einer gewissen Allgemeingültigkeit wirken zu lassen, in einer Überlieferung, gegen die sich humanistische Moral erst entwickeln musste. Torsten Raschs Komposition freilich setzt auf die große Überwältigung. Vor allem, wenn er den großen Orchesterapparat in Gang setzt und prunken lässt, kann man sich der Schönheit dieser spätromantisch musikalischen Geisterbeschwörung nicht entziehen. Da flutet das Orchester mit einer Opulenz, als wollte es Richard Strauss übertrumpfen. Rasch kommt ihm nicht ganz so nah wie kürzlich Christoph Ehrenfellner am Theater in Nordhausen mit seiner Oper Kain und Abel, in der gleichsam der Sündenfall des Patriarchats verhandelt wird. Die Sklavin ist wie geplant schwanger, die Ehefrau (rechts) frustriert
In Dresden ist es nicht nur die Staatskapelle unter Leitung des Hallenser Chefdirigenten Michael Wendeberg, die gleichwohl überzeugt, sondern auch ein hervorgehendes Protagonistenensemble. Allen voran die für Evelyn Herzlitzius kurzfristig eingesprungene Magdalena Anna Hofmann (die gerade mit einer exquisiten Isolde in Halle reüssiert hat). Es gilt auch für Markus Marquardt als Abram (bzw. Abraham) und Stephanie Atanasov als Hagar. Die göttliche Einrede des Herrn gibt es neben den Chorstimmen auch solistisch gleich dreifach, der junge deutsche Countertenor Philipp Mathmann, Tenor Philipp Meraner und der russische Bariton Ilya Silchuk treten immer im Dreierpack gleichzeitig auf. Hinzu kommt die Rolle der Augenzeugin. Die vielseitig begabte iranisch-amerikanische Performancekünstlerin Sussan Deyhim steuert aus der Tiefe des Raumes (und der Zeit) Klagegesänge über den Untergang der Stadt Ur bei. Die Leihmutter hat ihre Schuldigkeit getan und wird beiseite geschafft
Mit ihrem vokalen Einsatz und auch mit ihren Charakterskizzen müssen sie sich allesamt gegen die plakative, vor allem auf äußere Effekte setzende Inszenierung von Immo Karaman durchsetzen. Der szenische Rahmen bleibt vor allem Behauptung und verliert sich in der eigenen Originalität. Das Publikum sitzt auf der Bühne mit Blickrichtung in den leeren Zuschauerraum. Ein Laufsteg aus gespendeten Schuhen (hic!) ist die Bühne, die Illuminierung der Ränge des Semperbaus eine Zugabe, die Opulenz imaginiert (Bühne: Arne Walther, Kostüme: Anni-Josephine Enders). Auch das von László Zsolt Bordos beigesteuerte, sinnfrei dekorative Bildschirmschonerwogen bleibt Behauptung ohne Erkenntnisgewinn. Den über den Laufsteg aus Schuhen wankenden, mit allerlei Hab und Gut (und von den Zeitläuften) beladenen Elendsgestalten auf der Flucht bleiben wenigstens die (sonst immer gerne bei solchen Gelegenheiten genommenen) Koffer erspart. Für die Momente der auftrumpfenden Orchesteropulenz passte der großformatige Rahmen. Das Leihmutter-Kammerspiel hätte mehr optische Bescheidenheit vertragen, mindestens aber mehr Stilisierung zur Vergegenwärtigung erfordert.
Dresden bietet eine Uraufführung, die einen alten Stoff musikalisch luxuriös aufbereitet, aber bei der szenischen Umsetzung, der Musik misstraut. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Co-Regie
Bühne
Mitarbeit Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chor
Chor
Dramaturgie
Solisten
Abram
Sarai
Hagar
Drei Engel
Die Augenzeugin
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