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Bücher sind gefährlich
Von Roberto Becker / Fotos © Semperoper Dresden / Ludwig Olah An der Seite von Peter Konwitschny ist Vera Nemirova mit einer wesentlich von ihr beigesteuerten Autodafészene vor zwanzig Jahren ein Geniestreich gelungen. Sie hatte diese heikle Szene als Event im ganzen Haus (in Hamburg und dann in Wien) in die Pause und in die Realität der Mediengesellschaft hinein inszeniert. Mit der Liveübertragung der Ankunft des spanischen Königs auf überall im Haus verteilten Bildschirmen. Mit auftauchenden Sicherheitsleuten und rabiaten Polizisten. Das ganze drum und dran. Das führte (vor allem in Hamburg, als es völlig überraschend kam) natürlich zu spontanen Reaktionen des Publikums, das zum Teil dachte, es hätte das Klingelzeichen zur Fortsetzung der Vorstellung überhört. Die Publikumsäußerungen verschiedenster Art, die es daraufhin gab, bedeuteten allerdings faktisch das Gegenteil von dem, was die Zuschauer damit ausdrücken wollten. Diejenigen, die mit kräftigen Buhs protestierten, meinten den Inszenierungseinfall, nicht das Autodafé. Die anderen, die applaudierten, meinten natürlich keineswegs Autodafé, sondern die kreative Unbefangenheit des Regieeinfalls. So eine derartig dialektisch pointierte Kommunikation zwischen Bühne und Publikum gibt es nicht allzu oft.
Verdis Don Carlo, von dem mehr als ein halbes Dutzend Fassungen überliefert sind, ist der Regisseurin vertraut. Wegen der Uraufführung des von Manfred Trojahn komponierten zehnminütigen Prologs gibt es jetzt noch eine mehr. Er ist der vieraktigen, italienischen Fassung von 1884 vorangestellt. Er bietet, musikalisch eindrucksvoll mit Verdis Intentionen spielend, den Raum, um den (in der italienischen Fassung fehlenden) Fontainebleau-Akt gleichsam zusammenzufassen. Ein junges Tänzerpaar (Malwina Stepien als junge Elisabetta und Brian Scalini als junger Carlo) erzählt in der Choreografie von Alena Garrido und, anfangs überblendet von einen Video (rocafilm), zwischen blühenden Blumen von der aufkeimenden Liebe der beiden füreinander vorgesehenen Königskinder, die dann jäh zerstört wird. Das fügt sich so passgenau ein wie später das Cellosolo Mendelssohns Möwen aus dem Jahre 2012, das der ebenso vom Cellisten Norbert Anger begleiteten Klage des Königs "Sie hat mich nie geliebt" vorangestellt ist.
Dieser Don Carlo war eigentlich unter Christian Thielemann als Koproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen 2020 gedacht. Was davon coronabedingt übrig blieb, war - quasi als Platzhalter - eine kleine konzertante Aufführungsserie mit einer eigens geschaffenen kammermusikalischen Orchesterbegleitung, die auf Anna Netrebko als Elisabetta zugeschnitten war (unsere Rezension). Im Juni 2020 ein Zeichen der Selbstbehauptung an der Elbe für jeweils 300 zugelassene Zuschauer. Bei der jetzt (mit leider nur drei Vorstellungen) nachgereichten "richtigen" Inszenierung fehlte natürlich weder der große Dialog zwischen dem König und Posa, noch das Aufbegehren der Elisabetta mit der Forderung "Gerechtigkeit, mein König….." wie leider bei der Netrebko-Variante.
Die Schlüsselszene zwischen dem König und Posa hat jetzt im wahrsten Wortsinn jede Menge Platz. In der gewaltigen Klosterbibliothek hat Heike Scheele für diese Begegnung alle Lesetische beiseite geräumt und die beiden haben jede Menge Auslauf. Der König und auch Posa greifen dabei zu Büchern (welchen Inhalts auch immer) und fuchteln damit bedeutungsschwanger herum. Nemirova hat sich für das Buch an sich als leitmotivische Metapher entschieden. Auch beim Autodafé. Sie entgeht so der schon oft in Peinlichkeit entglittenen Herausforderung, Menschenverbrennung als Event für die bessere Gesellschaft darzustellen. Allerdings wird die Regisseurin damit auch (allzu) didaktisch. Sie lässt diese Menschen von heute (durch die Kostüme von Frauke Schernau wird dieser Epochenwechsel deutlich) in festlicher Abendgarderobe eifrig dabei mithelfen, eine Bücherverbrennung vorzubereiten. Bis die Flammen aus der Unterbühne tatsächlich auflodern. Was dann doch wieder alle zu entsetzen scheint. Damit aber nun wirklich jeder versteht, was gemeint ist, gibt es das berühmte Heine-Zitat "Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." als Einblendung, um dann das inhaltlich fabelhaft passende Violoncellosolo von Trojahn folgen zu lassen. Diese überdeutliche Buch-Metaphorik findet sich auch in der Zelle Don Carlos - da als leergefegtes Bücherregal im Hintergrund. Von hier aus wird er durch eine geheimnisvolle Öffnung erschossen.
Die auch in der Personenführung (besonders des Chores) holzschnittartige Inszenierung hat aber den Vorteil, dass sie der Musik genügend Raum lässt. Und da bieten die Sächsische Staatskapelle und die Sängercrew Spitzenklasse. Unter der Leitung von Ivan Repušič fügt sich der uraufgeführte Trojahn-Teil organisch in den Verdi ein, bietet sozusagen einen Auftakt von heute aus, um sich dann mit Lust Verdi hinzugeben. Mit lodernder Leidenschaft, ohne zu übertreiben, mit anschmiegsamer Melodik, ohne süßlich zu werden. Das ist durchweg hinreißend. Und das Sängerensemble lässt sich davon tragen. Wobei es Andrej Bondarenko als Marquis Posa gelingt, mit seiner kraftvoll jugendlichen, unangestrengt auftrumpfenden Leidenschaft den nachhaltigsten Eindruck zu hinterlassen. Aber auch der Don Carlo von Riccardo Massi steht ihm in nichts nach. Die Duette der beiden sind grandios. Vitalij Kowaljow gestaltet den König als handfesten, aber auch innerlich zerrissenen Herrscher. Dinara Alievas Elisabetta besticht mit ihrem schlanken aber wohlklingenden Sopran. Anna Smirnova hebt sich mit einer prägnanten Eboli davon deutlich ab und beglaubigt deren tiefen Fall überzeugend.
Don Carlo kommt in Dresden nun endlich in Gestalt der nachgeholten Inszenierung von Vera Nemirova auf die Bühne - leider nur in einer Miniserie, was vor allem wegen der musikalischen Qualität dieser Produktion bedauerlich ist. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Mitarbeit Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Choreographie Prolog
Chor
Dramaturgie
Solisten
Filippo II
Elisabetta di Valois
Don Carlo
La principessa Eboli
Rodrigo, Marchese di Posa
Graf von Lerma
Gräfin d'Aremberg
Tebaldo
Herold
Der Großinquisitor
Ein Mönch
Stimme von oben
Erster flandrischer Deputierter
Zweiter flandrischer Deputierter
Dritter flandrischer Deputierter
Vierter flandrischer Deputierter
Fünfter flandrischer Deputierter
Sechster flandrischer Deputierter
Die junge Elisabetta
Der junge Carlo
Violoncello solo
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