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Im Blutrausch
Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then
Nebelschwaden ziehen durch den Zuschauerraum, noch bevor der erste Ton erklungen ist. Wer dabei aber an Schottlandromantik denkt, ist allerdings auf der falschen Spur - Michael Thalheimers Deutung des Macbeth, die in Kooperation mit der Vlaamse Opera in Antwerpen und Gent entstanden ist und bereits dort zu sehen war, gibt sich zeit- und ortlos. Und denkbar unromantisch. Wände aus Stahl umgeben einen Bühnenraum, der keinen Hinweis auf Bewohnbarkeit gibt und dessen Mittelpunkt eine Art Wanne bildet, in die Macbeth hineinrutscht wie in eine Falle, die später an ein Massengrab oder eine Blutwanne erinnert. Bühnenbildner Henrik Ahr hat keinen realen Raum gebaut, sondern ein abstraktes, abweisend kaltes Gebilde. Und auch wenn Kostümbildnerin Michaela Barth zottige lange Haare und Schottenröcke bemüht, dann bestenfalls in zweiter Linie eines etwaigen folkloristischen Kolorits wegen, sondern vielmehr, weil die Geschlechterrollen dadurch ins Wanken geraten (so kann man im Programmheft nachlesen) - vor allem aber wohl der archaischen Stimmung wegen. Ein Hauch Mittelalter liegt dann letztendlich doch durchaus stimmig über der Szene. Wichtiger aber: Es fließt viel Theaterblut. Lord und Lady Macbeth auf dem blutigen Weg zur Macht
In diesem lebensfeindlichen Ambiente ohne historische oder soziale Verwurzelung der handelnden Personen lassen sich nur schlecht Geschichten erzählen, da setzt die Regie schon darauf, dass man die Story grob kennt. Dabei fokussiert Thalheimer auf Macbeth und seine Lady, alle anderen Figuren bleiben mehr oder weniger Randerscheinungen. Und dann sind da natürlich die Hexen, Frauen mit uniformen weißblondierten Haaren und knappen Oberteilen; die Oberhexe geistert pantomimisch durch viele Szenen - aber das sind eher Gespenster in den Köpfen, zeigen aber auch an, dass der Macht- und Blutrausch, in den Macbeth und Gattin sich hineinsteigern, einer sexuellen Erregung nicht unähnlich ist. Durchgehend in Grautönen gehalten (fast nur das Rot des Blutes bringt Kontraste), bewegt sich die Regie konsequent in einer Nacht- und Nebelästhetik: Eine inhaltlich wie visuell durch und durch düstere Sichtweise ohne Aufheller. So wird das nichts mit Partystimmung: Lady Macbeth beim Bankett
Die Personenregie könnte hier und da sicher ausgefeilter sein, manchmal stehen die Figuren ziemlich unmotiviert an der Rampe, aber dass sich Thalheimer nicht in Kleinteiligkeit verliert, gehört auch zum Konzept, das auf Wucht und Archetypik statt auf ausgefeilte Psychologie baut. Darin entwickelt sich eine eigene Logik, etwa wenn Tote sich wieder erheben wie Banco, der Macbeth, so will es das Libretto, als Geist beim Bankett erscheint. Das aber gibt es hier gar nicht; der Chor steht, mit Luftschlangen schwer behangen wie mit Algen, die in die Tiefe ziehen, um die Spielfläche herum. Thalheimer hat auch hier kein Interesse an realistischem Erzähltheater, bleibt auf einer symbolischen Ebene, in der Banco als Toter noch nach der Krone greift - das zumindest ist Macbeth' Vision. Dass am Ende wenig Hoffnung auf bessere Zeiten bleibt, stattdessen bereits die nächste Generation Blut spuckt, unterstreicht den düsteren Ansatz. Macbeth ist als mordendes Prinzip immer und überall gegenwärtig. Nur wenn der Wald von Birnam sich bewegt, wird Macbeth untergehen: Rätselhafte Prophezeiungen der Hexen verwirren Macbeth
Die Klarheit der Szene gibt der Musik viel Raum. Am Pult der ganz ausgezeichneten Duisburger Philharmoniker betont Stefan Blunier die Brüche in Verdis Partitur, die unterschiedlichen Stilebenen, auf denen konventionelle Modelle neben ziemlich gewagten Neuerungen stehen. Immer wieder hebt er die Holzbläser hervor, die der Oper ihre eigene Farbe geben; dem entgegen steht das gefürchtete Um-ta-ta des frühen Verdi, das Blunier keineswegs überspielt, oder auch die Festmusik zum erwähnten Bankett mit ihrer fast hysterischen Fröhlichkeit, die Blunier collagenartig wie einen Fremdkörper einfügt. Der Schlachtenlärm im Finale klingt wie eine barocke Intrada. Blunier gelingt das Kunststück, die disparaten Elemente nebeneinander zu montieren und doch einen geschlossenen Gesamteindruck zu erzielen, gleichzeitig aber auch die Sänger zu begleiten und doch Motor des musikalischen Geschehens zu bleiben. Das Ende: Lady Macbeth ist dem Wahnsinn verfallen, Macbeth wird nicht mehr lange leben.
Dem isländischen Bariton Hrólfur Sæmundsson gelingt zwar nicht jeder Ton - manche Phrase klingt schlecht angesetzt und matt -, aber insgesamt ein beeindruckendes Rollenportrait des Macbeth, in den starken Momenten von imposanter Größe und Statur, dazu fesselnd in der Zerrissenheit der Figur, die düster-geheimnisvoll anlegt. Die polnische Sopranistin Ewa Płonka singt eine intensive, dabei oft stimmlich verhalten agierende Lady Macbeth, von der man sich mitunter mehr dramatischen Zugriff wünscht, die dann aber doch Reserven für große Ausbrüche besitzt. Dass sie oft im (spannungsgeladenen) Piano bleibt, gibt der Figur eine latente Gefährlichkeit. Bei beiden Hauptdarstellern hat man in dieser Premiere den Eindruck, dass sie sich in den weiteren Aufführungen noch stärker "frei"singen, noch an Souveränität gewinnen können. Gleichwohl bieten beide expressives, fesselndes Musiktheater. Bogdan Taloş steuert mit großer Stimme einen beeindruckenden Banco bei, Tenor Ovidiu Purcel einen markanten Macduff, David Fischer einen soliden Malcolm. Mit großem Ton beeindruckt der Chor der Deutschen Oper am Rhein (Einstudierung: Gerhard Michalski); wäre das ausgeprägte Vibrato zurückgenommen, könnte der Klang noch fahler und "schwärzer" sein.
Lass' alle Hoffnung fahren: Ein ganz starker Saisonabschluss an der Rheinoper - szenisch wie musikalisch düster-großformatiges Musiktheater. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Macbeth
Lady Macbeth
Banco
Macduff
Malcolm
Diener des Macbeth, Arzt, Mörder, Apparizione
Kammerfrau der Lady Macbeth
Solo-Hexe
Fleance
Apparizione
König Duncan
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