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Ein Faschingsschwank aus Ost-Berlin
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Jung "Aber der Richtige - wenn's einen gibt für mich auf dieser Welt - der wird auf einmal dastehen, da vor mir, und wird mich anschau'n und ich ihn, und keine Zweifel werden sein und keine Fragen und selig wird' ich sein und ihm gehorsam wie ein Kind." Der Opernkenner weiß natürlich, dass der "Richtige", den sich Arabella in allerwunderbarsten Sopranhöhen herbeiträumt, schon Augenblicke darauf erscheint und gerade einmal eine Opernstunde später jede Menge Zweifel und Fragen da sein werden. Das richtige Leben ist halt doch anders als die Träume eines jungen Mädchens, und da macht es durchaus Sinn, wenn Regisseur Guy Joosten die Titelfigur zunächst aus der Realität herausnimmt und sie in ein Beet von roten Rosen vor der eigentlichen Bühne versetzt. Hier singen später Arabella und Noch-Märchenprinz Mandryka ihr traumschönes Duett Und Du sollst mein Gebieter sein und ich Dir untertan, und natürlich darf man das nicht glauben und schon gar nicht beim Wort nehmen, denn im nächsten Moment ist es vorbei mit der wechselseitigen Unterwürfigkeit. Gewogen und für zu leicht befunden, das ist das harsche Urteil der Regie zu so viel Gefühlsduselei, und so gibt es am Ende nur eine Konsequenz: Nichts da mit Doppelhochzeit. Die Schwestern Arabella und Zdenka verduften sich lieber ins Rosenfeld, als mit den depperten Männern einer tristen Zukunft entgegenzuschauen. (Da hätte man sich die lange Versöhnungsszene zuvor auch sparen können.) Jungmädchenträume vor ostdeutsch angehauchtem 1970er-Jahre-Mief: Arabella (hier: Jessica Muirhead)
Es gibt Gründe für den Ansatz, die Hofmannsthal-Strauss'sche Operntraummaschinerie zu entzaubern, man müsste es freilich sehr viel besser und genauer inszenieren als Guy Joosten im Verbund mit Ausstatterin Katrin Nottrodt. Statt mit dem eleganten Florett wird mit dem Vorschlaghammer auf das Stück eingeprügelt. Dabei hinterlassen Joosten und Nottrodt den Eindruck, von der Musik bestenfalls ein paar YouTube-Videos eben der genannten Highlights zur Kenntnis genommen zu haben - jedenfalls geht fast alles andere im überdrehten Regieansatz unter. Das Bühnenbild mit gemusterter Tapete und allerschäbbigstem Holzfurnier könnte auch Anna Viebrock für ein Christoph-Marthaler-Projekt entworfen haben (nur wäre es dann besser), und der unglücklich verliebte Offizier Matteo steht wohl eher in Diensten der Stasi oder NVA denn der K.u.K.-Monarchie. Der draufgängerische osteuropäische Naturbursche Mandryka kommt hier direkt aus dem Wilden Westen, allerdings in der Lesart von Bully Herbig und seinem Schuh des Manitu. Die Grafen Elemer, Dominik und Lamoral, die Arabella vergeblich umwerben: Knallchargen auf dem Kostümball (dabei gehört Arabellas Abschied von den Dreien doch zu den schönsten, melancholischsten Momenten der Oper - hier an den Klamauk verschenkt wie so vieles). Gräfin Adelaide, Arabellas Mutter: Ein sexlüsternes Flittchen, höchst interessiert am Verlobten der Tochter. Und die Fiakermilli, die bereits beim ersten Auftritt sturzbesoffen aus der überdimensionalen Torte springt, wäre doch besser im Schulmädchenreport aufgehoben. Verlobungsverhandlungen: Arabella (hier: Jessica Muirhead) und Mandryka. Hinten (mit Schweinsköpfen) die irritierten Grafen Elemer und Lamoral (hier: Günes Gürle); ganz rechts Stasi-Offizier Matteo
Wäre dieser Nonsens, der das Stück mehr parodiert als interpretiert, wenigstens ein durchorganisierter Kontrapunkt zur Musik, so ließe sich zumindest über die Idee streiten - aber es wird nie so ganz klar, ob die Regie sich selbst ernst nimmt oder nicht. Da verzieht sich Arabella vor Mandrykas Erscheinen im winzigen 70er-Jahre-Badezimmer, das prompt von dessen Diener Jelko, den Revolver im Anschlag, durchsucht wird, natürlich ohne Arabella zu entdecken. Ein unbedeutendes Detail? Sicher, würde die Regie nicht ständig detailverliebt vorgeben "genau so ist es gemeint". Matteo redet nicht nur permanent vom Selbstmord, er hält sich auch noch durchgehend die Dienstpistole an die Schläfe für den Fall, dass ihm irgendwer nicht zuhört. Und das Bühnenbild, zu Beginn halbwegs realistisch, wird immer surrealer und zeigt am Ende ein zerstörtes Dach, auf dem ein entwurzelter Baumstumpf (Achtung, Symbolik) liegt, und überhaupt steht das Hotel, in dem die Handlung angesiedelt ist, im Finale unverkennbar als Bühnenbau auf leerer Bühne: Hier dürfte auch dem letzten Trottel im Publikum klarwerden, dass die Regie kein Illusionstheater zeigen möchte. Sie hat aber auch keine Idee, was sie stattdessen mit dem Stück anfangen kann. Die Fiakermilli ist jodelnd aus der Torte geklettert. Große Begeisterung zeigt Mandryka erst später.
Dabei dirigiert Tomáš Netopil mit den guten Essener Philharmonikern eine durchaus feinsinnige, unpathetische Arabella mit fließenden Tempi und eher flüssigem Konversationston als großem Gefühl. Leider greifen die Sängerinnen und Sänger diese delikate Interpretation zu wenig auf und neigen fast durchweg zum großen (und manchmal, der Regie angemessen, groben) Ton, oft zu laut. Trompetenhaft dröhnend, gleichwohl von eindrucksvollem Format: der Mandryka von Heiko Trinsinger. Vor allem im ersten Teil in (zugegeben: von fast allen Arabella-Produktionen gewöhnter) Dauerhysterie zur Schreierei neigend: Thomas Paul mit kraftvollem, höhensicherem Tenor als Matteo. Sehr ordentlich und im wilden Treiben immerhin einen Rest an Würde bewahrend: Christoph Seidl als klangschöner Graf Waldner. Für einen kurzen Moment wird das Stück ernst genommen: Zdenka (links) und Arabella (hier: Jessica Muirhead) im dritten Aufzug.
In der hier besprochenen Vorstellung sang Barbara Senator die Arabella, und das unter Dauerhochdruck. Das hat eindrucksvolle Momente, gerade in der hohen Lage, aber die lyrische Emphase und das Mädchenhafte fehlt dann doch - manches klingt eher nach einer verhinderten Isolde denn nach Arabella. Großartig ist Julia Grüter als kleine Schwester Zdenka (die, zwei Töchter kann man sich im teuren Wien nicht leisten, als Junge reüssieren muss) mit voller, leuchtender Stimme (wie die Ausstatterin sie im dritten Akt in gerippter Knabenunterwäsche auf die Bühne stellt, grenzt beinahe an Körperverletzung). Auch stimmlich sehr eindrucksvoll Bettina Ranch als Mutter Adelaide. Giulia Montanari ist eine in jeder Hinsicht leichtgewichtige Fiakermilli, Marie-Helen Joël eine solide Kartenaufschlägerin. Santiago Sánchez (Elemer), Karel Martin Ludvik (Dominik) und Karl-Heinz Lehner (Lamoral) als Grafen-Trio gelingt es nicht, gegen ihre szenische Degradierung zu Karnevalsfiguren anzusingen, obgleich sie auch noch den (gestrichenen) Chor ersetzen müssen. Gut vorstellbar, dass dieses Ensemble die Feinheiten der Arabella, um derer Willen man das schwierige Stück dann doch gerne hört und sieht, hätte ausgestalten können. Die tumbe Regie verhindert das leider wirkungsvoll.
Arabella wird kunst- und gedankenlos an der Musik vorbei hinwegdekonstruiert - zum Abschluss der Intendanz von Hein Mulders eine der szenisch schwächsten Produktionen dieser Ära. Viel retten kann die sehr ordentliche musikalische Seite da nicht. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Co-Design Bühnenbild
Lichtdesign
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Graf Waldner
Adelaide
Arabella
Zdenka
Mandryka
Graf Elemer
Graf Dominik
Graf Lamoral
Die Fiakermilli
Eine Kartenaufschlägerin
Welko
Briefträger
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