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Shakespeare-Komödie als Ballett-Klassiker Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stöß Als John Cranko 1961 zum Stuttgarter Ballett berufen wurde, hatte wohl noch keiner geahnt, dass mit ihm die Compagnie zu Weltruhm gelangen würde, der mit einem Gastspiel an der Metropolitan Opera in New York 1969 geadelt wurde. Obwohl er bis zu seinem plötzlichen Tod am 26. Juni 1973 die Ballettsparte in Stuttgart "nur" zwölf Jahre lenkte, läutete er eine Blütezeit ein, die nicht nur namhafte Choreographen wie John Neumeier und Jiří Kylián hervorbrachte, sondern auch mit großartigen Solist*innen wie Marcia Haydée und Richard Cragun verknüpft ist. Seine drei großen abendfüllenden Handlungsballette nehmen mittlerweile einen festen Platz im Repertoire ein, ein Erfolg, der nur wenigen modernen Choreographien zuteil wird. Nachdem er sich mit der 1962 uraufgeführten Choreographie von Prokofiews Romeo und Julia noch einem bestehenden Handlungsballett gewidmet hatte, schuf er drei Jahre später mit Onegin sein erstes abendfüllendes Handlungsballett, für das auch eigens die Musik zusammengestellt wurde. 1969 widmete er sich dann Shakespeares Komödie Der Widerspenstigen Zähmung. Nachdem Ben Van Cauwenbergh 2018 bereits Crankos Klassiker Onegin mit dem Aalto Ballett vorgestellt hat (siehe auch unsere Rezension), folgt nun das dritte große Handlungsballett des legendären Choreographen. Petruchio (Moisés León Noriega) will Katharina (Adeline Pastor) "zähmen". Wie schon bei Onegin zeichnet auch für Der Widerspenstigen Zähmung Kurt-Heinz Stolze für die Musik verantwortlich. Stolze arbeitete seit 1957 als Ballett- und Opernkorrepetitor in Stuttgart und entwickelte sich bis zu seinem Suizid 1970 in München zum engsten musikalischen Berater Crankos. So extrahierte er beispielsweise für Onegin Musik aus verschiedenen Werken Tschaikowskis. Für Der Widerspenstigen Zähmung bearbeitete er Musik von Domenico Scarlatti. Cranko hatte sich ursprünglich für sein Handlungsballett Musik von Gioachino Rossini vorgestellt, aber der damalige Stuttgarter Intendant Walter Erich Schäfer konnte die beiden überzeugen, Scarlattis Musik zu verwenden. Ob dabei bekannt war, dass Maurice Béjart 15 Jahre zuvor für seine Version von Der Widerspenstigen Zähmung in Paris ebenfalls Scarlattis Musik verwendet hatte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Stolze instrumentiert Scarlattis Musik nicht nur neu und variiert verschiedene Themen, sondern entwickelt sie auch im Stil des Barockkomponisten weiter, so dass sie in einzelnen Passagen an Filmmusik erinnert. Dabei wird auf retardierende Effekte zum großen Teil verzichtet und alles in den Dienst der Handlung gestellt. Bei der Uraufführung ernteten Cranko und Stolze dafür nicht nur Lob. Schließlich gebe es keine eingängigen Melodien, die im Ohr bleiben würden, wie bei den berühmten Handlungsballetten Tschaikowskys. Gremio (Denis Untila, rechts), Hortensio (Matheus Barboza de Jesus, Mitte) und Lucentio (Wataru Shimizu, links) werben um Bianca. Die Essener Inszenierung besitzt in der optischen Opulenz alles, was man von einem Ballettklassiker in der Vorweihnachtszeit erwartet. Die Kostüme von Elisabeth Dalton sind aufwendig gestaltet und lassen Shakespeares Geschichte in barockem Glanz erscheinen. Das Bühnenbild, für das ebenfalls Dalton verantwortlich zeichnet, zaubert mit aus dem Schnürboden herabfahrbaren Wänden großartige Räume, die der Geschichte einen fast kindgerechten, märchenhaften Charakter verleihen. In diesem großartigen Ambiente spielt sich die aus heutiger Sicht doch sehr fragwürdige Geschichte ab. Doch auch Cranko war sich Ende der 60er Jahre bereits der Problematik des Stückes bewusst und glaubte, dass die Zähmung der widerspenstigen Katharina, die alle Männer vergrault, durch den Edelmann Petruchio, der als Lebemann sein Geld verspielt hat und die Mitgift Katharinas daher ganz gut gebrauchen kann, nur funktioniert, wenn es tatsächlich zwischen den beiden funkt und Katharina sich in Petruchio verliebt. Mit großem Spielwitz stellte Cranko auch heraus, dass am Ende die bis dahin so liebreizende Bianca nach der Hochzeit mit Lucentio die Launenhaftigkeit ihrer Schwester übernimmt und nun ihrem Gatten das Leben zur Hölle macht. Liebend vereint: Katharina (Adeline Pastor) und Petruchio (Moisés León Noriega) Mit Adeline Pastor ist die Partie der Katharina in jeder Hinsicht perfekt besetzt. Pastor verfügt nicht nur im Spitzentanz über großartige Eleganz und begeistert durch atemberaubende Drehungen, sondern arbeitet auch darstellerisch die Launenhaftigkeit der Widerspenstigen mit wunderbarer Komik heraus. Wenn sie die Bühne betritt, weist sie die anderen allein mit ihrer Präsenz in ihre Schranken. Die Musik setzt dabei großartig um, wie sie den einen Bewerber Biancas mit einem Fußtritt davonjagt und den anderen mit einem Kinnhaken außer Gefecht setzt. Da hat auch der verzweifelte Vater Baptista (recht erhaben dargestellt von Marek Tůma) keine Möglichkeit, seine Tochter in ihre Schranken zu weisen. Mit Moisés León Noriega taucht als Petruchio ein Mann auf, dem man es wirklich zutraut, diese eigenwillige Frau "in den Griff zu bekommen". Noriega begeistert mit kraftvollen Sprüngen und Drehungen und spielt die Leichtlebigkeit des Edelmanns mit großer Komik aus. Schon bei der ersten Begegnung zwischen den beiden, merkt man, dass es bei Katharina "funkt". Dieser Mann hat etwas, was die Widerspenstige fasziniert. Doch im ersten Pas de deux, das Pastor und Noriega mehr wie einen Kampf als wie einen Tanz zelebrieren, scheint Katharina noch die Überlegene zu sein. Mit großartiger Komik wird dann die Hochzeit umgesetzt, wobei auch der Priester (Marius Ledwig) vor Schlägen sowohl von Katharina als auch von Petruchio nicht verschont wird. Mit viel Humor wird der Ritt zu Petruchios Haus umgesetzt, wenn Pastor und Noriega mal auf und dann wieder unter dem Pferd hängen, und Noriega nach weiteren Auseinandersetzungen seine frisch Angetraute auf der Strecke einfach zurücklässt. Auch hier begeistert Pastor wieder mit überbordender Komik und lässt sich noch lange nicht unterkriegen. Mit seinen vier Dienern treibt Petruchio dann ein böses Spiel bei der Ankunft seiner neuen Gattin, das durch die herzhafte Darstellung Pastors und Noriegas erneut zum Schmunzeln verleitet, auch wenn die dargestellte Situation eigentlich nicht lustig ist. Das zweite Pas de deux stellt ebenfalls eigentlich einen Kampf zwischen den beiden dar, den Noriega und Pastor mit großartiger Akrobatik umsetzen. Aber schließlich kommt dann doch die Liebe durch, und die beiden finden inniglich zueinander, auch wenn der Ritt zurück zu Katharinas Elternhaus noch einmal eine Kraftprobe zwischen den beiden darstellt, bei der Katharina erstmals nachzugeben scheint. Wenn die beiden dann bei Biancas Hochzeit ankommen, sind sie in edlen Kostümen ausstaffiert und Katharina wirkt auf den ersten Blick "gereift". Wenn Katharina allerdings ihre Schwester und die beiden anderen Ehefrauen Unterwürfigkeit lehrt, kommen in Pastors Spiel erneut die alten herrischen Züge der Widerspenstigen durch. Das Schluss-Duett präsentieren Noriega und Pastor dann als inniges Pas de deux, in dem die Liebe zwischen Katharina und Petruchio bewegend zum Ausdruck gebracht wird. Bianca (Larissa Machado) und Lucentio (Wataru Shimizu) beim Pas de deux Einen besonderen Stellenwert erhalten in Crankos Choreographie auch die drei Verehrer Biancas. Da ist zunächst Denis Untila zu nennen, der den etwas älteren Gremio mit großartigem Spielwitz präsentiert. Er spielt einen stets niesenden Gesangslehrer, der die Töne alles andere als sauber trifft. Dies wird von den Bläsern der Essener Philharmoniker unter der Leitung von Wolfgang Heinz großartig begleitet. Wenn Gremio zu Beginn des Abends der angebeteten Bianca sein Ständchen bringen will und sich immer wieder in seinem Mantel verheddert, wird diese Szene von Untila mit wunderbaren Slapstick-Einlagen umgesetzt. Matheus Barboza de Jesus gibt als leicht effeminierter Hortensio einen Bewerber um Biancas Gunst, den man ebenfalls nicht richtig ernst nehmen kann. Auch er punktet durch große Komik. Da hat Wataru Shimizu als Lucentio eigentlich ein leichtes Spiel. Mit Larissa Machado, die der Bianca bezaubernde Grazie verleiht, wird er sich schnell einig und lässt die beiden Dirnen (Yulia Tsoi und Mika Yoneyama mit humorvollem Spiel) beim Karneval in Biancas Kostüm auftreten, so dass Gremio und Hortensio fälschlicherweise diese beiden heiraten. Machado und Shimizu begeistern ebenfalls mit einem betörenden Pas de deux. Anders als bei Katharina und Petruchio ist ihr Glück allerdings nicht von Dauer. Machado macht am Ende deutlich, dass Bianca von ihrer widerspenstigen Schwester doch einiges abgeguckt hat. Die Compagnie begeistert auch in den Ensembles und im großen Pas de six kurz vor der Hochzeit mit großer Homogenität. Wolfgang Heinz führt die Essener Philharmoniker mit leichter Hand durch die Partitur, die zwar musikalisch nichts Eingängiges hat, das Geschehen auf der Bühne aber passend beschreibt. So gibt es am Ende zu Recht frenetischen Jubel für alle Beteiligten. FAZIT Dieser humorvolle Ballettabend bietet eine willkommene Abwechslung im Bereich des großen klassischen Handlungsballettes und dürfte in Essen für zahlreiche ausverkaufte Veranstaltungen sorgen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Choreographie
Einstudierung
Bühne und Kostüme
Licht
Essener Philharmoniker
Cembalo und Klavier Student*innen der Folkwang Hochschule der Künste Schülerinnen des Gymnasiums Essen-Werden Statisterie des Aalto-Theaters
*Premierenbesetzung
Baptista, ein reicher Edelmann
Katharina, seine Tochter
Bianca, seine Tochter
Gremio, Biancas Freier
Lucentio, Biancas Freier
Hortensio, Biancas Freier
Petruchio, ein Edelmann
Dirnen
Wirt / Priester
Petruchios Diener
Pas de six
Compagnie Aalto Ballett Essen
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