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Parallele Welten Von Thomas Molke / Fotos: © Bettina Stoess Auch wenn Henry Purcell nicht der erste war, der in England die Oper in Landessprache auf die Bühne brachte, darf der "Orpheus Britannicus", wie er kurz nach seinem Tod bereits liebevoll genannt wurde, als der berühmteste Vertreter dieser Gattung neben Georg Friedrich Händel auf der Insel betrachtet werden. Dabei hat er mit Dido and Aeneas nur eine einzige Oper komponiert. Bei den anderen Werken handelt es sich "nur" um sogenannte Semi-Operas, in denen der Gesang in der Regel nur den Nebenfiguren vorbehalten ist, während sich die Hauptfiguren in der gesprochenen Rede artikulieren. Das berühmte Lamento der Dido am Ende des dritten Aktes, "When I am laid in earth", führte aber zu Recht dazu, dass seine einzige Oper alles andere überstrahlte und nicht in Vergessenheit geriet. Wann Purcells Werk entstand, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Die erste belegte Aufführung fand 1689 in Josias Priest's Boarding School for Young Gentlewomen in Chelsea statt. Aber es ist unwahrscheinlich, dass Purcell die Oper für diesen Anlass komponiert hat. Die aufwändige musikalische Gestaltung lässt vermuten, dass das Stück als Divertissement für König Karl II. gedacht war, der nach seiner Rückkehr aus dem französischen Exil wie sein Cousin Ludwig XIV. die Künste zur Verewigung seiner Macht förderte. Lange Zeit hat man auch geglaubt, dass Purcell die Oper im Herbst 1689 dem neuen König William III. gewidmet habe. Doch das scheint heute eher unwahrscheinlich, da es sicherlich nicht angemessen gewesen wäre, die Krönung mit einer Geschichte über einen Prinzen zu feiern, der seine Geliebte verlässt und damit in den Selbstmord treibt. Aeneas (Tobias Greenhalgh, Mitte hinten) kommt nach Karthago zur Königin Dido (Jessica Muirhead). Das Libretto von Nahum Tate bezieht sich zwar auf Vergils Aeneis, weist jedoch einige Unterschiede zur antiken Mythologie auf. Bei Vergil landet der Trojaner Aeneas auf seiner Irrfahrt nach Italien zunächst in Karthago bei Königin Dido und vergisst durch seine Liebe zu ihr für eine Weile seine eigentliche Bestimmung, in Italien eine neue Heimat zu suchen. Doch dann erscheint ihm der Götterbote Merkur und ermahnt ihn, Dido wieder zu verlassen. Als er dem göttlichen Befehl Folge leistet, verflucht Dido den Geliebten und schwört ewigen Hass zwischen Karthago und Aeneas' künftiger Heimat, Rom. In Purcells Oper wird eine Zauberin eingeführt, die auf Didos Liebesglück eifersüchtig ist und deshalb die Königin vernichten will. Merkur ist ein verwandelter Geist, der von der Zauberin zu Aeneas geschickt wird, um ihm zu befehlen, Dido zu verlassen. Zwar beschließt Aeneas wie bei Vergil, der göttlichen Weisung Folge zu leisten, ändert aber angesichts der leidenden Dido seine Meinung. Nun ist es die Königin selbst, die ihn zur Abreise drängt. Nachdem Aeneas Dido verlassen hat, bricht Dido in ihrem großen Lamento "When I am laid in earth" zusammen und nimmt Abschied vom Leben, ohne den Geliebten wie bei Vergil zu verfluchen. Die Zauberin (Bettina Ranch) will Dido vernichten. Das Regie-Team um Ben Baur interessiert sich vor allem für die Beziehung zwischen Dido und der Zauberin und zeichnet die beiden Figuren optisch als eine Person. Im gleichen Kostüm und mit leuchtendem Strahlenkranz auf dem Kopf sind Jessica Muirhead als Dido und Bettina Ranch als Zauberin kaum voneinander zu unterscheiden. Die Zauberin ist gewissermaßen die dunkle Seite Didos, die ihren eigenen Untergang sucht. Bedenkt man, dass Dido im dritten Akt, Aeneas' Angebot, bei ihr zu bleiben, zurückweist und ihn drängt, Karthago zu verlassen, kann man den Text durchaus so interpretieren. Schließlich hat Dido ja auch ihrem verstorbenen Gatten Sychaeus ewige Treue geschworen, die sie mit der Liebe zu dem Trojaner gebrochen hat. Das könnte erklären, wieso sie nach der Liebesbeziehung das Bedürfnis hat, sich selbst zu vernichten. In Baurs Inszenierung ist neben Dido und der Zauberin auch das Gefolge parallel aufgebaut. In langen schwarzen Gewändern stellen Giulia Montanari, Christina Clark und der Opernchor im ersten Akt die Begleiterinnen der Königin dar, die ihr zur Liaison mit dem trojanischen Prinzen raten, und unterscheiden sich im zweiten Akt als Hexen optisch nur durch einen Totenkopf, den sie in den Händen tragen. Didos Schwester Belinda ist in Baurs Inszenierung Teil dieser Masse und sticht nicht individuell heraus. Aeneas (Tobias Greenhalgh) zwischen Dido (Jessica Muirhead, rechts) und der Zauberin (Bettina Ranch, links) Die Bühne ist sehr dunkel gehalten und mit mehreren Stühlen ausgestattet, auf denen der Chor auf Abstand Platz nimmt. Schließlich befinden wir uns ja immer noch in der Corona-Pandemie. Der Bodenbelag erinnert an verbrannte Asche. Wenn Dido sich nach ihrem Lamento im dritten Akt auf den Boden legt, lassen Belinda und die 2. Frau den Belag auf sie herabrieseln. Ein paralleles Bild findet man bereits im zweiten Akt, wenn Aeneas mit einem Skelett die Bühne betritt und sich neben das Skelett legt. Aeneas wird optisch alles andere als attraktiv gezeichnet. Mit seinem blutverschmierten nackten Oberkörper wirkt er recht roh und brutal und passt nicht in die klinisch reine Welt der Dido. Etwas angewidert reicht die 2. Frau ihm im ersten Akt einen Eimer und einen Lappen, um sich zu reinigen. Doch das Blut lässt sich nicht wirklich abwaschen. Aeneas' Eindringen in diese düstere Welt wird von grellem Licht begleitet, das aus dem Hintergrund auf die Bühne strahlt. Mit ihm treten ein älterer und ein junger Statist in gleicher Erscheinung auf. Dabei soll es sich wahrscheinlich um seinen Vater Anchises und seinen Sohn Ascanius handeln. Der Matrose hingegen, der im dritten Akt kurz vor der Abreise der Trojaner mit einem Spottlied über die Untreue der Seeleute auftritt, trägt ein schwarzes Gewand wie die Karthager. Er scheint sich durch seine Zeit in Afrika bereits assimiliert zu haben, bevor er mit Aeneas erneut in See sticht. Dido (Jessica Muirhead) setzt ihrem Leben ein Ende. Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Jessica Muirhead verfügt als Dido über einen vollen und runden Sopran. Ihre Interpretation des berühmten Lamentos im dritten Akt stellt einen musikalischen Höhepunkt dar. Muirhead unterstreicht in dieser Szene die Verletzlichkeit der Königin, der anders als bei Vergil und Berlioz' berühmter Vertonung, jedwede Rachegedanken am Ende fern sind. Mit sehr leisen Tönen nimmt sie Abschied von der Welt und rührt dabei zu Tränen. Tobias Greenhalgh stattet die Partie des Aeneas mit kräftigem Bariton aus. Bettina Ranch gestaltet die Zauberin, Didos Alter Ego, mit sattem Mezzosopran und intensivem Spiel. Besonders beeindruckend gelingt ihr Zusammenspiel mit Muirhead, wenn beide im zweiten Akt mit Aeneas in Aktion treten. Giulia Montanari und Christina Clark überzeugen als Didos Gefolge und Hexen mit lieblichem Sopran. Montanaris Rolle als Belinda verblasst in Baurs Inszenierung ein wenig, da sie sich optisch nicht vom restlichen Gefolge unterscheidet. Der von Patrick Jaskolka einstudierte Opernchor gefällt stimmlich und darstellerisch. Andrea Sanguineti schafft mit den Essener Philharmonikern einen leichten, leuchtenden Barockklang aus dem Graben, so dass es für die Beteiligten verdienten Applaus gibt. FAZIT Ben Baur findet mit seinem Regie-Team eine interessante Lesart des Stückes, die vom Ensemble überzeugend umgesetzt wird. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung und Bühne Kostüme Choreographische Mitarbeit Choreinstudierung Dramaturgie
Essener Philharmoniker Continuo Opernchor des Aalto-Theaters Statisterie des Aalto-Theaters
Solisten*Premierenbesetzung
Dido
Aeneas Belinda / 1. Hexe / Geist 2. Frau / 2.
Hexe Zauberin 1. Matrose
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