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Große Bilder von Macht und Tod
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Hans-Jörg Michel und Matthias Jung Beginnen wir mit einer Plattitüde: Politik ist ein schmutziges Geschäft. Mag so ein Machtkampf heute (wenigstens hierzulande) in der Regel nicht mehr auf Leben und Tod ausgetragen werden, so haben sich die grundlegenden Mechanismen kaum gewandelt: Es wird getrickst, intrigiert und getäuscht. Regisseur Robert Carsen und sein Team (Bühne: Radu Boruzescu, Kostüme: Petra Reinhardt) spielen in dieser bereits 2016 an der Opéra du Rhin im französischen Strasbourg herausgekommenen Inszenierung geschickt mit Gegenwart und Historie, deuten das Spanien des 16. Jahrhunderts zwar gut erkennbar an, bleiben in abstrakten Räumen aber zeit- und ortlos. Und weil ziemlich viel gestorben wird, ist der Tod allgegenwärtig. Nicht nur im carsentypischen Schwarz der Ausstattung, sondern in leitmotivischer Vanitas-Symbolik zwischen Totenschädel und Lilie, dem Symbol der Reinheit und Auferstehung. Carlo und Elisabetta (Foto: Hans-Jörg Michel)
Das ist inhaltlich in seiner demonstrativen Allgemeingültigkeit eher unverbindlich geraten, aber die Regie ist wohl auch stärker von der ästhetischen als der gedanklich-konzeptionellen Seite her gedacht. Carsen entwickelt große, oft sehr statische Tableaus, exquisit ausgeleuchtet (Licht: Carsen im Verbund mit Peter Van Praet). Zwischen Schwarz und Weiß gibt es bestenfalls noch das Grün der Lilienstengel und -blätter: Hier ist alles perfekt durchgestylt, aber selbst der juwelenbesetzte kaiserliche Ornat strahlt eisige Kälte aus. Carsen erschafft Bilder von ungeheurer Wucht, in den Chorszenen oft dezidiert artifiziell arrangiert, und darin kann sich in den vielen guten Momenten der Inszenierung die Musik entfalten, wobei manche Szene mehr oratorisch als dramatisch wirkt - da wird die Oper zu einem großen Requiem. Der Machtanspruch Philipps II. findet hier ein höchst eindrucksvolles szenisches Pendant, ohne dass Carsen eine Historien- oder Ausstattungsoper gestalten würde. Mit dem durch und durch großartigen Ante Jerkunica in der Rolle des Königs steht da freilich ein Sänger auf der Bühne, der mit genau geführter Riesenstimme die Autorität ausstrahlt, um mit wenigen Gesten große Spannung zu erzeugen. Eboli (Foto: Matthias Jung)
Gegen diesen fulminant singenden Philipp hat es selbst Karl-Heinz Lehner schwer, der wie schon vor einigen Wochen in der Bonner Produktion einen klar fokussierten, eindrucksvollen und stimmlich wie szenisch ungemein präsenten Großinquisitor gibt. Kein ebenbürtiger Konkurrent ist an diesem Abend der dritte Mann im Machtspiel, der Marquis von Posa: Weil Jordan Shanahan, der die Premiere noch sang, erkrankt war, kam in der hier besprochenen Vorstellung Tobias Greenhalgh aus dem hauseigenen Essener Ensemble zu seinem Debut - das er durchaus ordentlich absolviert, stimmlich aber noch in die Rolle hineinwachsen muss und gegen Jerkunica und Lehner arg brav wirkt. Den Don Carlo gibt Gaston Rivera als unpolitischen Schwärmer mit schönem und geschmeidigem Tenor, eher lyrisch geprägt. Philipp II. (Foto: Hans-Jörg Michel)
Bei den Damen hinterlässt Gabrielle Mouhlen als Elisabetta ambivalente Eindrücke. Die Stimme schwingt mit lyrischer Emphase aus und hat starke Momente; auf der anderen Seite setzt die Sopranistin viele Töne deutlich zu tief an und schleift sich von unten an die richtige Tonhöhe heran - hat man erst einmal angefangen, darauf zu achten, ist das arg störend, und der Figur verleiht es so oder so etwas Weinerliches. Großartig die mit Nachdruck und Wucht gesungene Eboli von Nora Sourouzian, die aber auch über schmeichelnd sanfte Töne verfügt. Mit Baurzhan Anderzhanov als Mönch, Liliana de Sousa als Tebaldo und Christina Clark als Stimme vom Himmel sind auch die kleinen Partien gut besetzt. Und in Carsens auf große Bilder setzenden Regie kommt es auf den (um den Extrachor verstärkten) Chor an (Einstudierung: Jens Bingert), der präzise und klangprächtig singt. Unter dem Dirigat von Andrea Sanguineti spielen die sehr guten Essener Philharmoniker ausgesprochen differenziert; die Gartenszene des ersten Aktes (gespielt wird die vieraktige Mailänder Fassung) hat flirrende Leichtigkeit, bei den Auftritten des Großinquisitors bekommt die Musik eine von den Bässen geradezu körperlich greifbar getragene Schwere - das ist ganz großes Musiktheater. Philipp und Großinquisitor (Foto: Hans-Jörg Michel)
So beeindruckt die Produktion immer dann, wenn Carsen eine Szene sofort klar umreißen kann und dann an die Musik übergibt - und uninspiriert wird es, sobald es um die recht konventionell gezeichnete Liebesgeschichte zwischen Carlo und Elisabetta geht (die wohl noch immer mehr diesem als dessen Vater Philipp, ihrem Gatten, zugetan ist). Vielleicht liegt das auch daran, dass in dieser Koproduktion sechs Jahre nach der Premiere eben nicht alles von Strasbourg nach Essen übertragen werden kann. Die schillernde Pointe, die sich Carsen für das Finale ausgedacht hat und bei der plötzlich ungeahnte Dramatik aufkommt, wirkt wenig überzeugend und will nicht recht zum Vorangegangenen passen. Wer letztendlich in diesem Machtkampf siegt, ist den meisten Zuschauern vermutlich auch reichlich egal. Politik ist eben ein schmutziges Geschäft.
Konzeptionell geht nicht alles auf in Carsens Regie, aber ein paar großartige Bilder mit toller Musik bleiben nachhaltig im Gedächtnis haften. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
szenische Einstudierung
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Filippo II., König von Spanian
Don Carlo, Infant von Spanian
Rodrigo, Marquis von Posa
Großinquisitor
Elisabetta von Valois
Prinzessin Eboli
Ein Mönch
Tebaldo
Graf von Lerma
Stimme vom Himmel
Ein königlicher Herold
Sechs Gesandte aus Flandern
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